Stephan Kesper

Sealed


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dir keine Sorgen«, sagte Manchester, »auf dem Gelände befinden sich nur Wissenschaftler, die sich für das Teleskop oben auf dem Berg mehr interessieren als für alle Frauen dieser Welt«, er lachte leise.

      »Aber warum gibt es dann diesen hohen Zaun?«

      »Vor allem wegen der Tiere. Ein Elch oder ein Bär könnte eine Messung komplett unbrauchbar machen. Und dann gibt es noch die Versicherungen, die Vorgaben machen. Aber letzten Endes befinden sich hier nur Geräte, mit denen normale Leute nichts anfangen können. Auch wenn das VLBT mehr als eine Milliarde gekostet hat, könnte ein Dieb nichts davon teurer verkaufen als den blanken Materialwert. Und an solche Materialien kommt er vermutlich einfacher heran. Mal abgesehen davon, dass hier rund um die Uhr Leute aufpassen und er einen verdammt langen Fluchtweg ohne Abzweigungen hätte.«

      Sie standen vor der Tür zum Kontrollraum. Manchester zog seine Karte durch den Kartenschlitz und der Öffner summte. Der Kontrollraum war genau das, was der Name vermuten ließ: ein großer, rechteckiger Raum. Dort saßen an diversen Tischen verteilt Menschen vor Computerbildschirmen. Zwei Beamer projizierten allerhand Daten an die Wände.

      Einige der Wissenschaftler benutzten Laptops, andere stationäre Rechner. Sie alle hatten Zugriff auf das wissenschaftliche Netz vor Ort, in dem sämtliche Daten des Teleskops und der daran befestigten Detektoren und Sensoren in die lokale Storage-Cloud gespeichert wurden. Von dort konnten die Astronomen die Daten gleichzeitig abrufen, für sich nachbearbeiten und auswerten. Gleichzeitig mit hunderten anderer Astronomen weltweit, die ebenfalls auf diese Daten unmittelbar zugreifen konnten.

      Hendrik sah einige Doktoranden um einen Tisch herum sitzen. Auf ihren riesigen Bildschirmen hatten sie mehrere Fenster geöffnet, in denen Daten angezeigt wurden oder Berechnungen abliefen. Zwischen all den Programmen und Shell-Fenstern lag ein kleiner Rahmen, in dem eine uralte Version von Quake-Arena lief. Offensichtlich machte ihnen das so viel Spaß, dass die gesetzteren Astronomen ihnen von Zeit zu Zeit böse Blicke zuwarfen.

      Hendrik zeigte auf die Doktoranden und frage: »Dürfen die das?«

      »Die sind selbst verantwortlich für ihre Zeit. Sollten sie die mit Quatsch verplempern, werden sie nicht mehr eingeladen. Aber bei denen mache ich mir da keine Sorgen. Zwei von ihnen haben bereits diverse Ehrungen erhalten und ich glaube, mehrere Universitäten schlagen sich bereits um sie. Ich denke, sie müssen auf irgendetwas warten und vertreiben sich so die Zeit.«

      Er setzte sich und zog für Hendrik einen Stuhl heran. Dann zeigte er auf seinen Bildschirm und erklärte, was gerade am Teleskop gemacht wurde.

      »Wie du sicher weißt, sind die meisten Dinge, die man mit solchen optischen Teleskopen beobachtet, sehr weit weg. Und sie sind dazu noch so lichtschwach, dass man sehr viel Licht einsammeln muss, um überhaupt etwas erkennen zu können. Und da das Licht so schwach ist, muss man es halt eben über lange Zeit einsammeln. Daher dauert es manchmal so lange, dass die Astronomen Zeit haben, Spiele zu spielen«, er sah lächelnd zu den jungen Leuten herüber.

      »Unser Timeslot – also die Zeit, in der wir das Teleskop unter unserer Kontrolle haben – wird heute Nacht gegen halb zwei sein.«

      »Wir?«

      »Ja, du und ich«, lachte Manchester, »und natürlich noch ein paar Kollegen von der Universität zu Hause, die eine parallele Datenanalyse im Labor machen.«

      »Die sind auch gerade wach?«

      Manchester nickte.

      »Könnten sie das nicht auch morgen machen?«

      »Sie könnten, aber sie wollen nicht.«

      »Hey, Professor M., haben Sie ein Wunderkind dabei?«, einer der Quake-Spieler stand neben dem Tisch. Er trug ein offenes knallbuntes Hawaii-Hemd über einem weißen T-Shirt, dreiviertellange Skater-Hosen, die modischen Arbeitsschuhe, die auch Rachel so gerne trug – nur vier Nummern größer – und in seinen wilden, dunklen Haaren steckte eine Sonnenbrille.

      »Ja, er wird mein Nachfolger an der Universität. Ich arbeite ihn gerade ein.«

      Der junge Mann lächelte und ging mit einem gigantischen Kaffee-Becher in der Hand wieder zum Tisch der Quake-Spieler.

      »Willst du auch einen Kaffee? Bedien dich einfach, der ist kostenlos.«

      »Möchtest du auch einen?«, fragte Hendrik.

      »Nein, danke. Wenn ich ihn jetzt schon trinke, werde ich zu früh wieder müde.«

      Hendrik ging zur Kaffeemaschine, nahm sich eine Tasse und drückte auf der Maschine den Knopf mit der Aufschrift: »Kaffee schwarz«. Hinter ihm standen zwei Männer, die sich in einer Sprache unterhielten, die Hendrik nicht einordnen konnte. Sie klang hart und abgehackt. Er schüttete sich noch etwas Milch in den Kaffee und ging zu seinem Stuhl.

      »Was für eine Sprache sprechen die da drüben?«

      »Die an der Kaffeemaschine?«

      »Ja.«

      »Das sind Deutsche vom Max-Planck-Institut für Astronomie. Einige deutsche Organisationen sind mit 25% an dem Teleskop beteiligt. Hast du nicht Deutsch als Fremdsprache in der Schule gewählt?«

      »Nein, meine Mutter meinte, dass Spanisch wichtiger sei und dass sie mir Deutsch auch selbst beibringen könnte, wenn ich wollte. Aber dann hätte ich sie eigentlich verstehen müssen«, Hendrik überlegte. »Vielleicht sprechen sie einen Dialekt, den ich nicht kenne.«

      »Kommt deine Mutter nicht aus den Niederlanden?«

      »Ja, aber viele Niederländer sprechen gut Deutsch.«

      Manchester hatte offensichtlich alles, was er an seinem Laptop zu tun hatte erledigt, lehnte sich im Stuhl zurück und faltete seine Hände hinter seinem Kopf. Er sah müde aus und im hellen, diffusen Licht der OLED-Felder an der Decke, traten seine Augenringe noch deutlicher hervor, als am Nachmittag.

      »Tja, das ist die Haupt-Tätigkeit eines Astronomen während einer Beobachtungsphase: Warten.«

      »James, erzähl dem Jungen keinen Unsinn. Nachher studiert er noch so etwas Schlimmes wie Politikwissenschaften.«

      Ein kleiner Mann mit dunkler Haut, pechschwarzen Haaren und freundlichen, braunen Augen stand plötzlich neben ihnen. Um seinen Hals hing eine Brille an einer goldenen Kette. So etwas hatte Hendrik bisher nur bei älteren Damen gesehen.

      »Avi!«, Manchester sprang auf und umarmte den Mann wie einen alten Freund.

      »Hendrik, das ist Professor Avi Goldbach.«

      Hendrik schüttelte die Hand des Mannes.

      »Du kannst mich ruhig Avi nennen. Auf einem Berg sind Titel nichts wert, denn jeder hat einen.«

      »So poetisch wie immer. Ich wusste nicht, dass du hier bist. Was ist denn so wichtig, dass es dich aus deinem Büro getrieben hat?«

      »So dies und das. Man sitzt in seinem Büro, denkt so vor sich hin und plötzlich«, er schnippte mit den Fingern, »ist man in ein Forschungsprojekt verwickelt und hat eigentlich gar keine Zeit dafür.«

      »Du Armer, hat dich wieder jemand gezwungen, Geld anzunehmen?«

      »Ganze Koffer voll. Die Suche nach Exoplaneten ist immer noch so publikumswirksam, dass sie mir meine eigene Forschung für fünf Jahre finanzieren, wenn ich ein Jahr lang nach Planeten suche.«

      »Klingt nach einem guten Deal.«

      »Ja, aber es ist fürchterlich langweilig. Man untersucht eine Sonne und – puff – findet fünf Planeten. Aber man untersucht die Planeten nicht, es geht eigentlich nur darum, so viele Planeten wie möglich zu finden. Aber seien wir doch mal ehrlich: Nach dem aktuellen Verständnis der Entstehung von Sternen sind Planeten ein absolut unausweichliches Nebenprodukt. Es wäre mal eine besondere Ausnahme, wenn wir einen Stern fänden, der keine Planeten besäße. Es sei denn, der Stern ist ein roter Riese, der seine Planeten schon aufgefressen hat.«

      Sie lachten. Avi nahm Hendrik für eine Weile unter seine Fittiche. Er zeigte