Stephan Kesper

Sealed


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bevor der Wagen abbog, nach ihm umsah.

      »Und? Wie war es?«, fragte sie dann, als sie mit ihrem Sohn alleine in der Auffahrt stand.

      »Es war groß«, antwortete er und ging zur Tür.

      Sie blieb verwirrt stehen und sah ihrem Sohn hinterher.

      * * *

      Der August verging wie im Flug. Rachel und Hendrik trafen sich täglich am See und brachten nur noch ihre Badesachen mit. Seit ihrem Tag am Strand hatte er kein Mathematikbuch mehr dabei gehabt, wenn sie sich trafen. Anfang September, in den letzten Tagen ihrer Ferien, konnten ihre Eltern sie kaum noch zu Hause antreffen. Sie gingen morgens zum See und blieben den Tag dort. Rachels Haut hatte über den Sommer eine so tiefbraune Farbe angenommen, dass sie mit einer Inderin verwechselt werden konnte.

      Ende August hatte es eine Zeit gegeben, in der Hendrik dachte, dass der Sommer seine Kraft verloren hätte. Doch dann wurde es noch einmal heiß und im Augenblick erlebten sie den wärmsten September-Anfang seit Beginn der Aufzeichnung der Wetterdaten, wie es abends von den Meteorologen im Fernsehen behauptet wurde.

      Sie saßen in der Sonne und keine noch so kleine Welle störte das Wasser des Sees. Wind gab es keinen und die Luftfeuchtigkeit erreichte eine Höhe, dass sie das Atmen schwer machte.

      Rachel trug ihren neuen, weißen Bikini, der ihre Haut noch dunkler erscheinen ließ. Auch Hendriks Haut hatte zum ersten Mal seit langer Zeit, eine bräunliche Farbe angenommen.

      Das Verhältnis von Rachel zu ihrem Vater hatte sich weiter gebessert, was Hendrik zu Manchesters Liebling machte. Ihre Mutter hatte einen Waffenstillstand mit ihrem Mann vereinbart und Rachel machte dies glücklich, was Hendrik in ihren Augen sehen konnte.

      An jenem Freitag wurde es nachmittags plötzlich düster. Es schoben sich große, dunkle Wolken vor die Sonne und kündigten einen lange ersehnten Regen an. Auf der Wiese, auf der sie den Sommer verbracht hatten, wuchs nur noch raues, vertrocknetes Gestrüpp. Die Blätter der Bäume hingen aufgerollt und gelb an den Zweigen. Aber der Regen ließ auf sich warten und sie schwitzten in der schwülen Hitze, von der sie hofften, dass sie endlich in ein Gewitter umschlug.

      »Komm, lass uns ins Wasser gehen«, Rachel stand auf und reichte Hendrik ihre Hand.

      Das Wasser brachte kaum Abkühlung, die Sonne hatte den Sommer über aus dem See eine warme Badewanne gemacht. Sie schwammen weiter hinaus als sonst. Dort, fast in der Mitte des Sees kamen sie sich näher und Rachel legte ihre Arme um Hendriks Hals. Sie küsste ihn leidenschaftlich und schob seine rechte Hand unter ihr Oberteil.

      Ein Blitz schlug in der Nähe ein und gleichzeitig krachte der Donner über den See. Rachel sprang fast senkrecht aus dem Wasser und fiel wieder zurück, sah sich ängstlich um.

      »Wir sollten schnell aus dem Wasser raus«, rief Hendrik. Sie sah ihn mit aufgerissenen Augen an und schien nicht zu begreifen, in welcher Gefahr sie schwebten.

      Er übernahm die Führung und zog sie hinter sich her. Sie schafften es fast bis zum Ufer, als der nächste Blitz einschlug und sein Donner fühlte sich an, wie ein Erdbeben. Sofort merkte Hendrik, wie Strom durch sie hindurch fuhr. Glücklicherweise befanden sie sich weit genug entfernt und die Stromstärke konnte ihnen nichts anhaben. Das meiste musste in den Boden abgeleitet worden sein.

      Rachel kreischte vor Angst und versuchte, sich an Hendrik festzuklammern. Sie rutschte ab und ging plötzlich unter. Hendrik tauchte ihr in Panik hinterher. Er griff nach ihrem Arm und schaffte es, sie beide unbeschadet auf ihre Decke zu bringen. Sie schrie die ganze Zeit.

      »Was ist los?«, frage er sie verzweifelt, doch dann sah er endlich ihren völlig verdrehten Fuß. Sie musste einen Krampf im Bein haben. Er hielt sie fest an Ferse und Spann und drehte ihn in die natürliche Position. Er kämpfte, so fest er konnte, gegen die Muskelspannung an.

      Nach einigen Minuten und mehreren Blitzen, die jeweils die Anspannung in Rachels Bein weiter verstärkten, entspannte sie sich endlich und Rachel konnte aufstehen. Hendrik reagierte mehr automatisch, als dass er nachdachte. Sie mussten dort weg, solange die Blitze um sie herum einschlugen. Er packte alles zusammen, zog Rachel ihr Kleid an, setzt sie auf den Sattel ihres Rades und schob sie den Weg nach Lakeview hoch. Auf halbem Weg zum Haus der Manchesters, begann der Regen. Es fühlte sich an, als ob jemand Eimer voll Wasser über ihnen ausgoss. Blitze schossen aus den Wolken und Hendrik bemerkte erleichtert, dass der Donner erst einige Sekunden danach die Fensterscheiben der Häuser erschütterte und zum Klirren brachte.

      Völlig durchnässt erreichten sie das Haus. Hendrik schob das Rad mit Rachel darauf direkt durch die Seitentür in die Garage hinein. Rachel stand neben sich, sie zitterte, hielt ihre Arme vor ihrem Oberkörper verschränkt und sagte kein Wort.

      Hendrik brachte sie in ihr Zimmer und holte aus dem Bad Handtücher. Er zog das Kleid über ihren Kopf, trocknete sie ab und legte sie aufs Bett. Sie ließ es geschehen, als ob sie eine Puppe wäre. Dann ging er zum Fenster, um hinaus zu sehen. Gute zehn Zentimeter stand das Wasser auf der Straße. Er hatte Schwierigkeiten, die Häuser auf der anderen Straßenseite zu sehen. Die Bäume wurden vom Wind brutal hin und her geworfen, Blätter und ganze Äste wurden abgerissen. Sie fielen in das Wasser auf der Straße und trieben langsam davon.

      Blitze tauchten die Häuser von Zeit zu Zeit in gespenstisches, weißes Licht. Und Hendrik zählte die Sekunden, bis der Donner kam. Wieder vergrößerte sich die Entfernung und der Donner klang gedämpfter. Plötzlich stand Rachel hinter ihm und legte ihre Arme um ihn. Er streichelte ihre Unterarme und spürte an seinem Rücken, wie sie atmete. Wie sich ihr Brustkorb im regelmäßigen Rhythmus weitete. Sie hatte sich beruhigt und atmete viel langsamer.

      Dann ließ sie ihn los. Er drehte sich um und erkannte im grauen Zwielicht der Gewitterwolken, dass sie nackt vor ihm stand. Um die kleinen Vorhöfe ihre Brüste hatte sie Dreiecke weißer Haut, wo ihr Bikini sie vor der Sonne geschützt hatte. Genauso »unten« und – so vermutete Hendrik – auf ihrem Hintern.

      So weit waren sie noch nie gekommen, also endete hier seine Erfahrung und er wurde unsicher, was er tun sollte. Er entschied sich, näher zu kommen. Sie küssten sich leidenschaftlich und seine Erregung kannte keine Grenzen, abgesehen von denen seiner noch feuchten Jeans.

      Sie begann ihn auszuziehen.

      »Kommen deine Eltern nicht bald nach Hause?«

      Sie schüttelte den Kopf, »ich habe das Haus bis Sonntagabend für mich alleine«, dann sah sie ihm in die Augen, »oder für uns?«

      Er hatte natürlich kein Kondom dabei, aber was er an diesem Nachmittag erlebte, war auch so unendlich schön und er würde es niemals vergessen. Die über den Sommer angestaute Erregung explodierte in Rachels Zimmer während des Gewitters und weit in die Abendstunden hinein.

      Im Dunkeln lagen sie eng aneinandergeschmiegt, erledigt, erleichtert, stolz und etwas erwachsener. Hendrik dachte sich einen Vorwand für seine Eltern aus, damit er das Wochenende bei Rachel bleiben konnte. Als er seine Mutter anrief, durchschaute sie die Situation natürlich sofort und riet ihm, vorher noch die Packung Kondome zu holen, die sie ihm schon für die Reise eingepackt hatte. Er hasste seine Mutter manchmal für ihre europäische Direktheit.

      * * *

      Im Nachhinein betrachtete Hendrik dieses Wochenende als das letzte Wochenende des Sommers. Mit dem Gewitter kam eine Kaltfront, die einen beträchtlichen Temperatursturz mit sich brachte. Ihre Badesaison – und alles, was damit zusammenhing – war damit beendet. Ihre gemeinsamen Aktivitäten gingen natürlich weiter, die sich unangenehmer weise in ihren Zimmern und damit unter indirekter Beobachtung ihrer Eltern abspielen mussten.

      Mit Rachels Vater hatte Hendrik regelmäßige Treffen vereinbart, in denen er ihn in die Algebra und Differentialgeometrie einführte, die er zum Verständnis von Manchesters Theorie benötigte.

      Mitte September begannen die Regenfälle - keine Gewitter, nur die stetigen, nicht mehr enden wollenden Niesel- und Dauerregen, die der Grund für die Entstehung der feuchten Urwälder im nördlichen Westen der USA waren.

      An einem verregneten Dienstag, Ende September begleitete