Stephan Kesper

Sealed


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Er sah sich um, fand aber niemanden, der wie ein Jim aussah. Manchester bestellte einen Kaffee, Rachel eine Diet-Coke und Hendrik ebenfalls einen Kaffee, er wollte die Fahrt nicht vollständig verschlafen.

      »Ganz schön langweilige Gegend, was?«, fragte Rachels Vater, als die Kellnerin hinter dem Tresen verschwand.

      Hendrik nickte nachdrücklich. Rachel schwieg und las weiter die Karte durch.

      »Wollt Ihr etwas essen? Könnte noch eine Weile dauern, bis wir ankommen und ich habe keine Ahnung, ob wir zwischendurch noch einen Stopp machen können.«

      »Ich nehme ein Club-Sandwich. Wenn es zu viel ist, kann ich den Rest mitnehmen«, sagte Rachel bestimmt.

      Hendrik stimmte zu: »Gute Wahl, das nehme ich auch.«

      Als die Kellnerin die Getränke brachte, bestellten sie drei Club-Sandwiche und warteten.

      »Wie lange wird es noch dauern, Mr. Manchester?«

      »Ich schätze noch etwa zwei Stunden, aber auf den Bergstraßen weiß man nie, wie man durchkommt. Und du kannst mich ruhig James nennen, wenn wir von nun an zusammenarbeiten«, er zwinkerte mit seinem linken Auge.

      »Okay, James«, Hendrik musste lachen.

      Als die Sandwiche kamen, traute Hendrik kaum seinen Augen. Er schätzte, dass eine kleine Familie davon hätte satt werden können.

      Sie bestellten sofort einiges an Alu-Folie, in der Gewissheit, dass eine Portion für sie drei gereicht hätte.

      Als sie nach dem Essen aus dem Restaurant kamen, schlug ihnen die heiße Luft wie ein dickes Kissen ins Gesicht. Es fiel ihnen schwer, die zähe Luft zu atmen, der Asphalt unter ihren Füßen brannte durch ihre Schuhe hindurch und die Sonne begann unmittelbar, auf jede unbedeckte Stelle der Haut einzustechen. Sie gingen so schnell wie möglich zum Wagen, aus dem sie erst einmal mit offenen Türen die Luft herauslassen mussten. Die Sitze hatten sich derartig aufgeheizt, dass Rachel beim Einsteigen kurz aufjaulte. Nach einigen Minuten arbeitete die Klimaanlage und machte die Temperatur angenehmer. Sie erreichten den Fuß der Berge nach einer halben Stunde und endlich wurde die Fahrt interessanter. Es gab wenigstens ein paar Kurven und viele recht bizarre Felsformationen. In einem Örtchen namens »Globe« verließen sie den Highway 60 und wechselten auf den Highway 70.

      »Die Stadt sieht aus wie aus einem Western«, sagte Rachel, als sie durch Safford kamen.

      »Stimmt, fehlt nur noch Clint Eastwood, der mit seinem Pferd zum Saloon reitet«, Rachels Vater sah belustigt in die Runde aber die mangelnde Reaktion der Jugendlichen sagte ihm, dass sie keine Ahnung hatten, wer dieser Clint Eastwood war.

      In Swift Trail Junction verließen sie endgültig die »guten« Straßen und begaben sich auf einen Weg in die Berge hinein. In immer engeren Kurven schlängelte sich die Straße die Flanken der Berge hinauf. Die Bäume behinderten die Aussicht, aber die Luft wurde angenehm. Sie schalteten die Klimaanlage aus und öffneten die Fenster. Warmer Wind brauste durch den Innenraum, doch ab und zu fielen kühle Brisen von den Berghängen herab.

      Seit gut einer Stunde hatten sie keinen anderen Wagen mehr gesehen und sie fuhren immer weiter in die Wildnis hinein. In einer Haarnadelkurve standen sie plötzlich dem riesigen Truck eines Park-Rangers gegenüber. Die Wagen fuhren langsam aneinander vorbei, bis die Fahrerfenster auf gleicher Höhe lagen und sie anhielten.

      »Guten Tag auch«, sprach sie der Ranger mit einem breiten Dialekt an. Er hatte lange, glatte, schwarze Haare, die unter seinem breiten Hut herausquollen und seine Gesichtsform wie auch seine tief-schwarzen Augen verrieten sofort seine indianische Abstammung. An seinem Handgelenk trug er einen breiten, silbernen Armreif, in den ein riesiger Türkis eingefasst war.

      »Wenn Sie zum Campingplatz wollen, haben Sie die Abfahrt verpasst. Da oben gibt es nicht mehr viel außer dem Observatorium.«

      »Genau da wollen wir hin«, antwortete Manchester freundlich.

      Der Ranger sah Manchester abschätzend an und dann die Jugendlichen. Er schien sich zu wundern: Eine solche Gruppe wäre in seiner Vorstellung wohl besser auf dem Campingplatz aufgehoben. »Achten Sie bitte darauf, kein offenes Feuer zu entfachen und Ihre Abfälle in den dafür vorgesehenen Containern zu entsorgen. Und bleiben Sie im Auto, hier laufen einige unfreundliche Gesellen herum. Einen schönen Tag noch«, er verabschiedete sie mit zwei Fingern, die er sich lässig an die Hutkrempe hielt und gab Gas.

      »Was meint er wohl mit 'unfreundlichen Gesellen'?«, fragte Rachel.

      »Bären?«, fragte ihr Vater und zog die Augenbrauen hoch.

      Die Straße folgte einem Höhenzug entlang eines steilen Abhangs, der ihnen einen atemberaubenden Blick über das Flachland weit unter ihnen gab. Schließlich erreichten sie ein neu aussehendes, mit Stacheldraht bewehrtes und gute drei Meter hohes Metalltor, das die Straße versperrte. Manchester stieg aus und öffnete es mit einem Schlüssel, den er an seinem Bund trug.

      Das Gelände umgab ein ebenfalls drei Meter hoher, gut gepflegter Zaun, in – soweit Hendrik sehen konnte – einwandfreiem Zustand. Sie brauchten noch eine viertel Stunde, bis sie den Wohntrakt erreichten. Rachel ließ ein: »Puh, endlich«, heraus und Hendrik konnte seinen Blick nicht von dem riesigen Kasten abwenden, der etwa hundert Meter über ihnen auf einem Bergrücken stand. Alleine die Größe des Gebäudes erschien ihm, auch aus dieser Entfernung, irrwitzig und er fragte sich automatisch, was so etwas in der Wildnis zu suchen hatte. Tagsüber blieb es zu, erst in der Dämmerung würden sich die gigantischen Luken öffnen und die beiden parallel angebrachten Teleskope auf die Sterne richten.

      Noch bevor sie den Wagen verließen, kam eine etwa 50-jährige Frau aus dem Wohntrakt. Sie trug eine Jeans, ein kariertes Holzfällerhemd und ein entwaffnend freundliches Lächeln auf ihrem Gesicht, das ausschließlich um die Augen herum einige Lachfältchen aufwies.

      »James, wie schön dich wiederzusehen«, sie schüttelte ihm die Hand, doch dann entschied sie sich anders und umarmte ihn.

      »Und ihr müsst Rachel und Hendrik sein, nicht wahr?«, sie begrüßte sie ebenfalls sehr herzlich.

      »Das stimmt«, sagte Manchester, »und vor euch steht die bedeutendste Astrophysikerin der USA: Dr. Elenore Thomson.«

      »Ach, halt doch den Mund«, feixte Thomson, »hier nennen mich alle nur Ellie. Ihr müsst ja ziemlich müde sein von der langen Reise. Kommt, ich zeig Euch erst einmal, wo es etwas zu essen gibt.«

      Sie führte sie in die Kantine, einen recht großen Ess- und Aufenthaltsbereich, in dem aktuell nur zwei Männer saßen und sich leise unterhielten. Sie teilte drei elektronische Karten aus, die zum Bezahlen in der Kantine verwendet wurden.

      »Nehmt Euch, was Ihr wollt, mit den Dingern könnt ihr alles bezahlen.«

      »Ich konnte leider keine zusätzlichen Zimmer bekommen, wir sind total ausgebucht.«

      »Das macht nichts«, antwortete Rachel, »wir haben ein Zelt dabei.«

      »Oh, gut. Das wird bestimmt lustig. Es gibt nur einige Regeln, die Ihr einhalten müsst.«

      »Es wäre gut, wenn du sie ihnen gleich beibringst«, sagte Manchester.

      »Okay, also zunächst: tagsüber ist das meiste erlaubt. Denn am Tag laufen praktisch nur die Untersuchungen am Sonnenteleskop und das ist nicht besonders empfindlich. Ihr müsst in der Nähe der Unterkunft nur leise sein, da die meisten Kollegen bis in den frühen Nachmittag hinein schlafen. In der Kantine und abseits der Wohnbereiche könnt ihr Euch austoben. Sobald die Sonne untergeht und die Untersuchungen beginnen, gelten anderer Regeln. Mobiltelefone sind zum Beispiel verboten. Sie stören die empfindlichen Empfänger, also müsst Ihr sie bei Sonnenuntergang ausschalten. Taschenlampen sind in der Nähe des Teleskops verboten. Am besten ist es, wenn Ihr gar nicht in die Nähe des Teleskops geht. Schon die Erschütterungen, die Ihr erzeugt, wenn Ihr über die Straße geht, können die Messungen stören.«

      »Wie machen es denn die Wissenschaftler?«, fragte Rachel.

      »Die gehen auch nicht zum Teleskop hinauf, sie sitzen alle im Kontrollraum, zwei Häuser weiter.