Gerd Pfeifer

...des Lied ich sing'


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sein Vermögen zu verbrauchen. Und selbst wenn er sich täuschen sollte und alle Berater Unrecht haben – es würde ihn nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Hoffentlich. Er braucht nicht mehr viel. Allerdings verzieht er jedes Mal die Lippen zu einer skeptischen Grimasse, wenn er sich selbst davon überzeugen will, asketisch oder auch nur bescheiden leben zu können. Den Aufwand, den er gegenwärtig für sich treibt, hätte er früher verschwenderisch genannt.

      Er kann sich erinnern, wie sehr ihn das Geld schmerzte, das er für die Schnittblumen ausgab, die nach spätestens zwei Tagen im Mülleimer landen würden, als er Ellens Eltern zum ersten Mal besuchte. Sie hatte es für an der Zeit gehalten, ihn in die Welt der Opernliebhaber einzuführen. Madame Butterfly war die erste Oper, die er sehen und hören sollte. Puccini schreibe Opern mit zeitgenössisch impressionistischer Melodik; die an sich gefälligen Melodien seien von Dramatik erfüllt und schmeichelten daher auch dem weniger geübten Ohr. So ähnlich drückte sie sich aus, um ihn auf den ungewohnten Hörgenuss – sie mochte Opern wirklich gern – vorzubereiten. Damit er die Handlung verstehen könne, händigte sie ihm rechtzeitig ein kleines beigefarbenes Textheftchen aus, dessen schwülstige Verse er getreulich las. Aber es wäre sicher unhöflich gewesen, ihr zu erzählen, welche Gefühle die als Arien gekennzeichneten Holperverse bei ihm auslösten. Dennoch war er voll gespannter Erwartung, ob ihm wenigstens die Musik gefallen würde.

      "Es wäre schön, wenn Sie mich abholten, dann könnten wir uns gemeinsam hinfahren lassen", hatte Ellen gesagt und eine Flut von Gefühlen, Ängsten und Animositäten ausgelöst.

      Offenbar spürte sie, wie sehr sie ihn erschreckt hatte, denn sie lachte und meinte: "Keine Angst, ich werde Sie nicht in eine Falle locken, und meine Eltern werden keinen künftigen Schwiegersohn erwarten. Sie möchten nur wissen, wer in der Oper an meiner Seite sitzt."

      Dennoch wiegte Doktor Max, der leibhaftige Arzt aus dem Preußischen Verein für Kraftsport e.V., bedenklich seinen Kopf, als Georg ihn beim Hanteltraining beiseite nahm und ihn fragte, was er anziehen müsse und was Ellens Eltern von ihm erwarten könnten.

      "Das sieht aber bedenklich nach Verlobigung aus", warnte er.

      Georg schüttelte heftig seinen Kopf: "Unsinn! Sie ist fünf Jahre älter als ich; nicht einmal ihre Hand habe ich bis heute gehalten."

      "Umso schlimmer! Sie glaubt bestimmt, dass du es ernst meinst."

      "Quatsch! Sie hat gesagt, dass wir gemeinsam in die Oper gehen. Sonst nichts."

      "Na, ja, du musst es wissen."

      Und dann instruierte er ihn, dass er Blumen mitzubringen habe. Für Ellen und für ihre Mutter. Die Einführung in die Familie war damals eben doch fast ein Heiratsversprechen.

      "Keine Geschenke für den alten Herrn."

      Georg fragte sich, ob Doktor Max loyal genug war, ihm zuverlässig zu raten. Oder würde er ihn hinterhältig ins offene Messer rennen lassen? Einfach so. Aus Spaß. Um seine Überlegenheit zu demonstrieren. Ellen hatte schon oft genug über Georg gelacht. Glaubte er. Und verzieh ihr ohne beleidigt zu sein. Aber es wäre entwürdigend, wenn er sich bei ihren Eltern zum Narren machte. Andererseits – wen außer Doktor Max könnte er fragen, wie man sich bei einer solchen Gelegenheit benimmt? Er kannte niemand, der schon einmal in der Oper war, und bestimmt keinen, der den Eltern eines Mädchens Blumen mitgebracht hatte, als er sie abholen kam. Er musste sich auf Doktor Max verlassen.

      Schließlich erwies sich alles als ganz einfach. Das Hausmädchen nahm ihm die Blumen ab, nachdem Ellens Mutter sie pflichtgemäß bewundert hatte. Ellen behielt ihren kleinen Strauß eine Weile in der Hand, dann war auch er plötzlich verschwunden. Georg wusste nicht, wo er geblieben war. Der alte Herr war freundlich und eigentlich völlig uninteressiert an dem jungen Mann, der seine Tochter in die Oper führte. Ellens Gesangsunterricht schien er für eine typisch weibliche, aber verzeihliche Marotte zu halten, und ihre Tätigkeit als Buchhändlerin für den ebenso modischen wie untauglichen Versuch, sich in einer Welt, die von Männern wie selbstverständlich beherrscht wird, zu emanzipieren. Anscheinend war er froh, dass ihr nichts Kostspieligeres als Singen und das Anpreisen von Büchern als Freizeitbeschäftigungen eingefallen waren. Frau Kleeberg lud ihn zu einem gelegentlichen Abendessen ein, eine Aufforderung, die niemand ernst zu nehmen schien, und dann war das Taxi da. Ellen und er stiegen ein, und mehr war nicht geschehen. Er hatte es überstanden. Es war keine Zeit gewesen, sich lächerlich zu machen.

      Die fand sich erst einige Zeit später, als er doch noch zu einem formlosen Abendessen eingeladen worden war. An die Peinlichkeit, mit zwei Blumensträußen in der Hand in der S-Bahn zu stehen, hatte er sich inzwischen gewöhnt. Einmal glaubte er, Marie habe ihn gesehen, als er den Blumenladen verließ. Aber er hatte sich wohl getäuscht. Oder sie war taktvoller als er es bisher für möglich gehalten hatte, denn sie sagte nichts, als er – ohne Blumen – zu ihr kam.

      Dass Ellen kurz vor dem Abendessen hellauf lachte und selbst ihre Mutter, die – davon war er überzeugt – gewöhnlich viel rücksichtsvoller als ihre Tochter auf seine Ungeschicklichkeiten reagierte, sich eines Schmunzelns nicht erwehren konnte, war auf eine Bemerkung zurückzuführen, die er eigentlich als vorsichtiges Kompliment verstanden wissen wollte.

      "Wie zu einer Gala gedeckt", hatte er beim Anblick des Esstischs unter dem Kristalllüster bewundernd gesagt. "Woher wissen Sie, wie zu einem Festessen eingedeckt wird?"

      Ellen klärte ihn auf, dass in einem bürgerlichen Haushalt stets an einem gedeckten Tisch des Speisezimmers gegessen wird. Ihre Mutter formulierte es eleganter:

      "Wenn mein Mann zu Hause isst oder Gäste anwesend sind, wird üblicherweise im Speisezimmer serviert. Nur wenn Ellen und ich allein zu Abend essen, was leider viel zu oft geschieht, geht es manchmal etwas formloser zu."

      Hätte Ellens Vater mit am Tisch gesessen, wäre Georg die Szene sicher äußerst peinlich gewesen. Aber allein mit den beiden Frauen, die es offenbar gut mit ihm meinten, war ihm die Situation gerade noch ertragbar erschienen.

      Wie die silbernen Bestecke gehandhabt wurden, die im Hause der Kleebergs anscheinend ständig in Gebrauch waren, hatte er den Gästen abgeschaut, die er hin und wieder in den Clubräumen des Bierlokals bedient hatte. Auch sein Lexikon des Gastgewerbes war ihm eine Hilfe gewesen. In seinem Elternhaus und bei allen anderen, die er näher kannte, beschränkten sich die Tischsitten auf die Vermeidung des Unappetitlichen. Mahlzeiten wurden nicht zelebriert. Essen war eine Notwendigkeit. Daran auch noch Zeit und Förmlichkeiten zu verschwenden, wäre unziemlich gewesen. Ein mit Leinen und versilberten Bestecken gedeckter Tisch war gut zahlenden Gästen vorbehalten, und die gab es selten in der Gastwirtschaft seines Vaters.

      Nicht nur die bürgerlichen Szenen im Speisezimmer der Kleebergs waren eine unbekannte Welt für ihn. Ellen hatte ihn eingeladen, an einer sonntäglichen Matinee teilzunehmen. Sie würde – solo und im Duett – singen und ein paar Musiker der Hochschule würden Schubert und Mendelssohn spielen.

      Er war zu festlich für ein Morgenkonzert angezogen, und nachdem er einmal zu früh zu klatschen begonnen hatte und niedergezischt worden war, hielt er sich mit Beifallsbekundungen, selbst nach Ellens Liedern, vornehm zurück. Er wusste nicht, ob sie seinen peinlichen Beifall bemerkt hatte. Jedenfalls sagte sie nichts, und auch ihre Mutter, die weiter vorn saß und während der Pause mit anderen Damen und mit Ellens Gesangslehrer in ein Gespräch vertieft war, das er nicht durch sein Hinzutreten zu stören wagte, äußerte sich später nicht zu dem beschämenden Vorfall.

      Die Lieder, die da gesungen wurden, bedeuteten ihm nichts. Im Stillen stimmte er Ellens Vater zu, der die Matinee für Zeitverschwendung und alle Menschen, die damit den Morgen verbrachten, für kulturbeflissene Tagediebe hielt. Dennoch war er natürlich stolz auf seine Tochter, und seiner Frau erlaubte er in unübersehbar liebevoller Herablassung das Vergnügen, sich in dieser Gesellschaft heimisch zu fühlen.

      Georg mochte den alten Herrn, der abfällig über das Bildungsbürgertum redete und gleichzeitig Frau und Tochter bewunderte, die dazugehörten. Er sprach mit Ellen über die Wertschätzung, die er für ihren Vater empfand; und sie schaute ihn erstaunt an – ein wenig respektvoll, glaubte er –, lächelte leicht, nahm seinen Arm und sagte nichts.

      Jedes Mal wenn sie ihm