Gerd Pfeifer

...des Lied ich sing'


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dass seine Glückwünsche ehrlich gemeint waren. Er freute sich wirklich und trotz aller Skepsis mit ihr. Selbstlos – wie er sich im gleichen Augenblick zugutehielt – hoffte er, dass ihre kindlichen Träume sich erfüllen würden. Auch wenn es schade war um das leicht mit ihr verdiente Geld.

      Am nächsten Morgen besuchte er den lokalen Direktor der Brauerei, der bisher schützend seine Hand über ihn gehalten hatte. Schon während der Nacht, als er grübelnd auf Maries erinnerungsträchtiger Matratze lag, war ihm klar geworden, dass er seinen bisherigen Gönner gleichsam durch eigene Schuld verloren hatte, als er sich in Hamburg auf die Seite seiner Mutter stellte, die ihr Café brauereifrei betreiben wollte. Ohne den Bierliefervertrag seiner Eltern mit der Brauerei, die hier in Berlin die Bierschwemme, in der er arbeitete, mit einem Pächter betrieb, war er schutzlos. Die Brauerei hatte in Altona einen, wenn auch eher unbedeutenden Umsatzträger verloren, und Georg, der Sohn, würde dafür büßen. Es gab keinen Grund, den Spross eines Abtrünnigen zu protegieren.

      Georg war nicht beleidigt oder empört, höchstens ein wenig belustigt über die kleinlichen Krämerseelen selbst in den oberen Etagen der Brauereihierarchie. Und etwas selbstgefällig war er auch, weil er einen Mechanismus kaufmännischen Denkens und Handelns durchschaute. Wahrscheinlich dachte der Brauereimensch, als Georg um einen Besuchstermin bat, er wolle sich über die schlechte Behandlung beschweren und um Wiedereinstellung bitten. Vielleicht erhoffte er sich auch die Neuaufnahme der Geschäftsbeziehungen mit Georgs Eltern, nun da sie sahen, welche Folgen die Weigerung hatte, den Bierlieferungsvertrag auf das neue Café auszudehnen.

      Georg grinste selbstsicher bei dem Gedanken an das eigentliche Thema des Gesprächs, das er souverän und alles andere als kniefällig zu führen gedachte.

      Er musste lange im Vorzimmer warten. Wahrscheinlich sollte ihm seine niedere Position vor Augen geführt werden. Aber er war ein geduldiger Mensch und ziemlich immun gegen Einschüchterungsversuche. Das brachte seine körperliche Überlegenheit gegenüber fast jedermann mit sich. Glaubte er.

      Schließlich wurde er ins repräsentative Zimmer des Herrn über die Lieferverträge eskortiert. Er hatte fast eine Stunde gewartet. Niemand entschuldigte sich, weder die ältliche Schreibdame aus dem Vorzimmer, noch der schnurrbärtige Sekretär mit dem Schreibbrett in der Hand. Und der scheinbar allmächtige Direktor versuchte, den Eindruck zu erwecken, es sei eine kaum glaubliche Zumutung, ihn bei seinen lebenswichtigen Überlegungen über Gegenwart und Zukunft der Brauerei zu stören.

      Georg hielt die Situation für eher amüsant. Alle Äußerungen, Worte, Gesten, die Mimik, selbst die Absichten und Gedanken der handelnden Personen waren vorhersehbar – primitiv wie das Imponiergehabe aufgeblasener Frösche in einem Dorfteich. Er fragte sich, wie die Anderen ihr ritualisiertes Gehabe ernst nehmen konnten. Sie waren mit Eifer bei der Sache, überzeugt von der Wichtigkeit der Worte und Personen. Georg lächelte den Direktor an und hoffte, so etwas wie gutmütiges Verständnis auszudrücken. Aber der dicke Mann hinter dem Schreibtisch schien Lächeln in dieser bedeutenden Umgebung für Unterwürfigkeit zu halten und blickte probeweise noch ein wenig finsterer als bisher. Es war eine lächerliche Vorstellung. Georgs drei Gesprächspartner allerdings waren offensichtlich davon überzeugt, das richtige Verhalten zu zeigen. Obgleich er sich überlegen fühlte, verbarg Georg seine Belustigung und brachte in dürren Worten sein Anliegen vor:

      "Ich möchte eine Gaststätte von Ihnen pachten. Das notwendige Geld habe ich gespart. Die Kenntnisse, sie erfolgreich zu führen, besitze ich. Sie können das leicht meiner Personalakte entnehmen. Ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis ist mir ausgestellt worden und gesund bin ich auch. Wenn ich unter diesen Voraussetzungen für Sie als Pächter in Frage komme, bitte ich, geeignete Objekte zu benennen, damit ich sie besichtigen kann."

      Eigentlich hatte er in seiner bis hierher auswendig gelernten Anfrage – wie das Gespräch weiter verlaufen würde, hing von seinem Gegenüber ab – den Begriff 'Angebot unterbreiten' verwenden wollen. Aber vielleicht wäre die Formulierung angesichts der Wichtigtuerei seiner Gesprächspartner ein Affront gewesen. Es war unzweckmäßig, sie mit überdeutlichem Selbstbewusstsein zu provozieren. Schließlich ging es um seine berufliche Zukunft.

      Während der Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre waren zahlreiche gastronomische Betriebe in finanzielle Bedrängnis geraten. Viele Brauereien besaßen Pachtgrundstücke, für die sie händeringend Betreiber mit ausreichend Kapital suchten. Die Zeitungen schrieben darüber, in der Branche wurde davon gesprochen, und gerade in Berlin mit den zahlreichen Eckkneipen war die prekäre Situation der Brauereien angesichts zahlloser Leerstände nur zu offensichtlich. Es war der rechte Augenblick, selbständig in das Geschäft einzusteigen. Aber es war natürlich auch die Zeit, in der die Brauereien mit allen Tricks arbeiteten, um die allgemeine Krise mit nur einem blauen Auge zu überstehen.

      Georg kannte die Verschlagenheit der für Pachtverträge zuständigen Bierbrauer. Ihre Vertragstexte waren voller Fallstricke. Er rechnete mit Netzen, Schlingen und Hinterlist. Es würde ein abgefeimtes Kräftemessen geben, auf das er sich freute, weil er überzeugt war, das Schlachtfeld als strahlender Sieger zu verlassen.

      Es dauerte länger als ein halbes Jahr, bis er das richtige Objekt zur Verwirklichung seiner Pläne gefunden und über den Text des Pachtvertrags Einigkeit hergestellt war. Ein paar Mal drohte die Brauerei mit dem Abbruch der sich hinziehenden Verhandlungen, in denen er immer neue Forderungen stellte. Er befand sich ohne Zweifel in der besseren Verhandlungsposition. Oder er besaß die besseren Argumente, und insbesondere sah er keinen Grund, auf seine persönlichen Verhandlungspartner, die nur Angestellte waren, besondere Rücksicht zu nehmen. Schließlich besaß er das Geld, und sie wollten ihm etwas verkaufen.

      Georg genoss seine Macht. Vor allem aber lernte er etwas über seine Fähigkeit, sich durchzusetzen. Es war ein erhebendes Erlebnis. Die großen Herren der Brauerei und ihre angestellten Lakaien schrumpften in seiner Gegenwart zu stammelnden Gegnern, die vergeblich nach Argumenten suchten, wenn er schon wieder eine neue Forderung stellte.

      Er bedauerte es, als die Verhandlungen schließlich doch noch zu einem Ende kamen, weil ihm nichts mehr einfiel, was er billigerweise – oder auch unberechtigt – hätte verlangen können.

      Dass er sein Team, mit dem er die Übernahme der Hotelgaststätte mit Barbetrieb, zu deren Anpachtung er sich entschlossen hatte, organisieren würde, aus der Berliner Bierschwemme seines bisherigen Arbeitgebers zu rekrutieren gedachte, hatte er mit keinem Wort erwähnt. Die Personalabteilung der Brauerei würde es früh genug erfahren. Es war nicht nötig, die Leute vorzeitig gegen sich aufzubringen. Schließlich würde auch die Brauerei profitieren, wenn er das heruntergewirtschaftete Objekt am Meer wieder in die Gewinnzone führe.

      Er würde der dritte Pächter des Restaurants in dem vor fünf Jahren errichteten Hotel an der Ostsee sein. Der erste hatte der Brauerei eine zu hohe Pacht bewilligt und war darüber zugrunde gegangen. Der zweite war nicht viel klüger. Die mit ihm vereinbarte Festpacht war immer noch ruinös gewesen, und vor allem hatte er zu viel für das Inventar gezahlt. Georg hatte den früheren Pächter besucht, um ihn über das Objekt auszuhorchen. Gegen die unverbindliche Zusage, ihm wenigstens das Hotelsilber zum Originalpreis abzunehmen, hatte er eine Kopie des gekündigten Pachtvertrags und die alten Buchführungsunterlagen erhalten. Die Brauerei, die der bisherige Pächter für sein Scheitern verantwortlich machte, wusste nichts über Georgs Recherchen. Und so konnte Georg seine Verhandlungen mit Kenntnissen führen, die er als naheliegende Schlussfolgerungen ausgab, die aber in Wirklichkeit aus den Büchern seines Vorgängers stammten.

      Das Silber kaufte er natürlich nicht zum Neupreis. Die Brauerei pfändete es. Georg übernahm es dann zum gleichen Spottpreis, den die Brauerei in der Versteigerung gezahlt hatte. Die übrigen Gerätschaften bekam er praktisch geschenkt. Es hatte sich gelohnt, ohne Zeitdruck zu verhandeln, und er schwor sich, niemals als erster einen Gastronomiebetrieb anzupachten.

      Einmal noch sah er Marie. Sie saß allein in einem Café am Kurfürstendamm. Georg erkannte sie im Vorübergehen und setzte sich unaufgefordert zu ihr. Seine Gegenwart machte sie unsicher. Vielleicht war sie auch ängstlich und fürchtete, er könne sie erpressen oder zu etwas nötigen, das sie nicht bereit war, ihm freiwillig zu geben.

      Er beruhigte sie: "Habe ich dich jemals verletzt?"

      Sie