Gerd Pfeifer

...des Lied ich sing'


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      "Aber vielleicht weeßt du's ja doch. Du bist een janz stilles Wasser."

      Sie erwartete, dass er nun mit seiner Potenz prahlte. Aber ihre treuherzige Schamlosigkeit machte ihn stumm. Natürlich zog sie naive Schlüsse aus seiner Sprachlosigkeit. Viel­leicht machte sie sich sogar über seine Fassungslosigkeit lustig. Er wusste, wie verletz­lich er war, wenn er belächelt wurde. Also versuchte er gerade noch recht­zeitig die Flucht nach vorn.

      "Und ich soll dir helfen", stellte er abschätzig fest und hoffte, dass ihr Versuch, ihn auf ihr Niveau zu ziehen, durch seine nicht zu übersehene Arroganz fehlschlagen würde.

      Sie spürte, dass er nahe daran war, ihr eine hochmütige Absage zu erteilen, und wurde schlagartig demütig. Es war wie ein unbewusster Reflex, den sie im Umgang mit zahlenden Männern gelernt hatte. Beinahe übergangslos fiel sie in die Rolle des bewun­dernden Weibchens:

      "Ich bitte dich darum."

      Sie redete wieder Hochdeutsch. Er grinste zufrieden, hielt sich aber mit Äußerungen zurück. Sie musste nicht wissen, wann er mit sich im Reinen war. Dennoch ahnte er nicht, worauf das alles hinauslaufen sollte.

      "Und wie soll das vor sich gehen?", fragte er, benahm sich aber gleichzeitig derart selbstgewiss, dass sie glauben musste, er wisse genau, was sie von ihm erwartete. Darum ersparte sie sich eine Antwort und versuchte stattdessen, ihn mit Versprechungen zu locken:

      "Et soll dir ooch nich zum Schaden jereichen."

      Er hob unschlüssig seine Schultern und gab einen zögernden Laut von sich. Er wusste immer noch nicht, was sie eigentlich von ihm wollte.

      "Du kannst eenen Teil des Geldes haben oder in Naturalien bezahlt werden."

      Wenn sie versuchte, Hochdeutsch zu sprechen, machte sie den Eindruck eines kleinen Mädchens, das sich bemühte, artig zu sein. Aber nun ahnte er, welche Rolle er übernehmen sollte. Er wollte es genau wissen. Sie sollte es mit ihren Worten erklären.

      "Red' nicht um den heißen Brei! Sag' mir in allen Einzelheiten, was du von mir willst!"

      Sie blieb unter einer Straßenlaterne stehen, die noch nicht gelöscht war, und fasste nach seiner Hand. Wahrscheinlich sollte es eine Unterwerfungsgeste sein.

      "Ick wusste, dass auf dich Verlass is. So ein Dreckschwein soll mich nich mehr schlagen dürfen."

      Aber Georg machte seine Hand frei und insistierte: "Und wie soll das praktisch vor sich gehen?"

      Sie schilderte es ihm. Mit beschönigenden Worten. Soweit sie dazu in der Lage war: Er solle sich in der Nähe aufhalten, wenn sie ihren Nach-Feierabend-Geschäften nachging. Sobald sie Gefahr witterte, würde sie rufen oder schreien, je nach Schwere der Bedrohung. Dann hätte er in Erscheinung zu treten. Und gegebenenfalls einzuschreiten.

      "Du würdest zehn Prozent kriegen - - oder wat de sonst von ma willst."

      Sie klapperte tatsächlich mit ihren Augenlidern.

      Schließlich einigten sie sich auf ein Viertel ihres nächtlichen Einkommens.

      Das war preiswert. Er wusste, was die Luden in Hamburg erhielten. Im Zweifel alles. Aber Hilde – eigentlich hieß sie Wilhelmine – war keine Professionelle. Und er war es auch nicht. Er leistete ihr eine Art Freundschaftsdienst. Mehr nicht. Da waren fünfundzwanzig Prozent genug.

      Und im Übrigen erhielt er seine Naturalie heute schon. Als Vorschuss. Umsonst.

      Sollte er Gewissensbisse oder ähnliche Skrupel gehabt haben – er verdrängte sie. Darüber hinaus war er sein Geld wert. Hilde wusste es. Und er auch. Spätestens als sie eines Nachts in einem zwielichtigen Hotel zu dreien über sie herfallen wollten und er alle drei angetrunkenen Tölpel mitsamt ihren Messern, die sie plötzlich in ihren Händen hielten, die Treppe hinunterwarf. Sie dankte ihm auf ihre Art.

      Er hatte sich ausbedungen, dass niemand von seinem Beistand erfahren dürfe.

      "Du erzählst keinem Menschen etwas von mir."

      Er drohte ihr. Dennoch erzählte sie ihrer Freundin Marie von ihm. Während einer Samstagnacht trafen sie sich zu dritt.

      "Wir sind im Excelsior verabredet", verkündete Hilde stolz.

      Das Hotel Excelsior war ein zweitklassiges Haus in einer Nebenstraße des Kurfürstendamms, dort wo er seinen Glanz zu verlieren beginnt. Aber für Hilde war das Hotel ein Aufstieg. So vornehm war sie noch nie verabredet gewesen.

      "Wir treffen beide denselben Mann. Marie hat das arrangiert."

      "Wenn es euch nichts ausmacht - - "

      Er hatte weder Hilde noch ihrer Freundin etwas zu verbieten.

      "Er zahlt gut", erstickte Marie alle vielleicht doch noch versteckten Einwände, "und ohne zu handeln."

      So lernte er Marie kennen.

      Ein paar Tage später sprach Hilde ihn während einer Zigarettenpause im Hinterhof der Neuköllner Bierschwemme leise an, obgleich sie sonst jeden auffälligen Kontakt am Arbeitsplatz vermieden.

      "Kannst du heute Abend Marie begleiten?"

      Zögernd sagte er zu. Er hätte nicht sagen können, warum ihn ein ungutes Gefühl beschlich, als er Hildes Freundin ins Hotel brachte. Marie schien kein guter Umgang zu sein. Seit Hilde sie ständig traf, vernachlässigte sie ihre Arbeit vor der Theke. Sie war müde und unfreundlich. Ihre nächtlichen Ausflüge häuften sich. Die Bekanntschaften wurden wahllos.

      Für Georg waren die Nächte in den fragwürdigen Hotels leicht verdientes Geld. Selten nur musste er einschreiten, und wenn ihm danach war, schlief er mit Hilde – vorher, nachher oder wenn sie nicht verabredet war. Und nun kam Marie dazu. Ein unbefangener Beobachter würde behaupten, er hätte zwei Mädchen laufen. Die Situation behagte ihm nicht.

      Nach zwanzig Minuten, die er rauchend und wartend auf dem Hotelflur verbracht hatte, gesellte sich Marie wieder zu ihm. Sie nahm seinen Arm und grinste ihn an:

      "Das war wohl nichts. Er war schon fertig, als es noch gar nicht angefangen hatte."

      Sie gab ihm sein Geld.

      Sie gingen durch den warmen Sommerabend. Marie erzählte, dass sie Hilde schon seit ihrer gemeinsamen Kindheit kannte. Sie seien in der gleichen Gegend aufgewachsen.

      "Nach der Schule haben wir uns aus den Augen verloren."

      Wieder getroffen hätten sie sich in der Bierschwemme, in der Hilde und er, Georg, langweilige Säufer bedienten. Sie sei damals schon freiberuflich tätig gewesen. Sie lachte:

      "Ich hatte einen gutaussehenden Mann am Arm, der mich freihielt, als Hilde uns bediente und wir uns wiedererkannten."

      Georg fragte sich, ob sie ihm die Zufriedenheit mit ihrem Leben vorspielte. Im Grunde interessierte es ihn nicht. Er hing seinen eigenen Gedanken nach, während sie munter plapperte. Dann stockte das einseitige Gespräch und nach einer kleinen Weile des Schweigens fragte sie:

      "Bringst du mich nach Haus?" Und als er zögerte, fügte sie hinzu: "Ich wohne allein."

      Es wurde eine unvergessene Nacht.

      Wenn er mit Hilde schlief, gingen sie routiniert miteinander um. Sie wussten, was sie wollten und was der andere zu bieten hatte. Sie waren aneinander gewöhnt wie ein altes Ehepaar. Mit Marie war alles anders. Es machte ihr Spaß, mit ihm zu spielen, ihn zu verlocken, ihn hinzuhalten, mit ihm zu experimentieren, sich ihm zu versagen, um ihn Augenblicke später zu wilden Zirkusnummern zu provozieren. Endlich schlief er erschöpft ein. Aber noch im Morgengrauen weckte sie ihn mit verlangenden Zärtlichkeiten und geflüsterten Hinweisen, was er zu tun habe.

      Zum ersten Mal seit er in Berlin war, kam er zu spät zum Dienstbeginn.

      Marie mit ihrer ausgelassenen Fröhlichkeit und einem unerschöpflichen Verlangen nach seinen Umarmungen zerstreute seine Bedenken, die er wegen seines nächtlichen Nebenerwerbs gegenüber seinem Arbeitgeber hegte. Er war schon immer mit wenig Schlaf ausgekommen. Aber nun schmolzen seine Ruhephasen auf drei bis vier Stunden