Gerhard Grollitsch

An den Grenzen der Wirklichkeit


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Dank, mir fällt ein Stein vom Herzen.“

      Sie schob verlegen ihren Teller weg und schaute mich ernsthaft an. „Das heißt aber nicht …“

      Ich unterbrach sie. „Mach dir keine Sorgen. Ich freue mich einfach, dass ich dich kennen lernen durfte.“

      Ich merkte, wie sie sich entspannte, und wagte es nicht mehr, weiter in sie zu dringen.

      Ich habe immer gehört, Frauen plaudern gerne. Ich hatte gehofft, sie würde Privates preisgeben, etwas über ihr Umfeld, ihre Familie oder dergleichen.

      Obwohl wir uns noch gut eine halbe Stunde unterhielten, erfuhr ich eigentlich nichts, so dass ich zu dem Schluss kam, sie wollte kein Gespräch über ihre Familie. Da ging es ihr wohl wie mir. Auch ich war auf meine Familienverhältnisse nicht stolz und vermied es möglichst, darüber zu reden. So blieb unsere Unterhaltung auf Belanglosigkeiten beschränkt, und doch hatte ich das berauschende Gefühl, ihr etwas näher gekommen zu sein.

      Sie schaute auf die Uhr.

      „Es war sehr nett mit dir, aber jetzt muss ich leider wieder in den Hörsaal.“

      Sie durfte mir nicht entgleiten. Deshalb fragte ich etwas zu hastig: „Wann kann ich dich wiedersehen?“

      Sie schaute zum Fenster. Dann wandte sie mir ihr liebliches Gesicht zu.

      „Ach weißt du, ruf mich einfach an.“

      Rasch stand sie auf und hielt mir ihre Hand hin.

       Erika

      „Erika, ich habe für heute Abend jemanden eingeladen und möchte, dass du sie kennen lernst.“

      Erstaunt schaute ich zu meinen Vater. Das musste wohl was Ernstes sein, denn noch nie hatte er seit dem Tod meiner Mutter eine Beziehung gehabt, jedenfalls soweit ich das wusste.

      „Ja wirklich?“, fragte ich nur.

      „Ich habe beim Sandwirt einen Tisch reserviert. Für vier Personen. Frau Daniels hat einen Sohn, der für unsere Firma interessant sein könnte, und den möchte ich mir gerne näher ansehen.“

      „Wo hast du die Frau kennen gelernt?“

      „Auf einer Tagung der Industriellenvereinigung in Wien.“

      „Ach, deshalb warst du in letzter Zeit öfter in Wien“, sagte ich und lächelte verständnisvoll.

      Ein Paar steuerte auf uns zu. Mein Vater sprang auf und eilte der Dame entgegen. Die Art, wie er sie umarmte, ließ keinen Zweifel, dass die beiden miteinander schon viel, viel weiter waren, als ich angenommen hatte.

      Der junge Mann hinter ihr, der sie um Haupteslänge überragte, stand verlegen daneben, bis mein Vater so weit war, sich von der Dame zu lösen und sie an unseren Tisch zu führen.

      „Elvira, darf ich dir meine Tochter Erika vorstellen.“

      Frau Daniels hielt mir ihre beringte Hand entgegen.

      „Ich freue mich. Ihr Vater hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Das ist Theobald, mein Sohn.“

      Der junge Mann reichte mir die Hand und verbeugte sich knapp. „Doktor Daniels.“

      Was für ein steifer Knabe, dachte ich.

      Mein Vater hätte kein besser passendes Lokal für seine Gäste finden können. Für sein Einfühlungsvermögen bewunderte ich ihn wieder einmal.

      Die Atmosphäre dieses Restaurants wurde den gehobenen Ansprüchen, die Frau Daniels offensichtlich stellte, durchaus gerecht. Die warme Holztäfelung, das gedämpfte Licht und das lautlos, kaum wahrnehmbar agierende Personal machten es sehr exquisit.

      Während alle die Speiskarte studierten, hatte ich zwischendurch Gelegenheit, Frau Daniels zu beobachten.

      Ich musste zugestehen, dass sie eine attraktive Person war, die zwar den Zenit ihres Lebens überschritten hatte, ich schätzte sie ihres Sohnes wegen an die sechzig, die aber, als offensichtlich gute Kundin der Kosmetikindustrie, keineswegs so alt wirkte.

      Auf ihrem silbrigen Haar lag ein blauer Schimmer, der durch das Kerzenlicht am Tisch changierte. Ihr Schmuck war echt und die Kleidung erlesen. Eine reiche Frau, so hatte es jedenfalls den Anschein.

      Mein Blick schweifte zu Theobald, Doktor Daniels, wie er sich mir respekteinflößend vorgestellt hatte.

      Groß, hager und unnahbar war mein erster Eindruck gewesen, aber jetzt, da er saß, schien er mir zugänglicher zu werden, trotz seiner Brille, die professionelle Distanz vermittelte.

      Das Essen war hervorragend, die Nachspeise ein Traum, und dann saßen wir beim Wein und Vater versuchte ein Gespräch in Gang zu bringen.

      „Sie waren bisher an der technischen Universität Wien beschäftigt“, wandte er sich Doktor Daniels zu.

      „Ja, als Assistent habe ich dort meinen Doktor gemacht.“

      „Darf ich fragen, zu welchem Thema?“

      „Über den Einfluss oszillierender Massenkräfte auf verschiedene Drehkraftamplituden.“

      „Das ist sehr theoretisch.“

      „Ich habe ja auch auf der Uni als Wissenschaftler gearbeitet.“

      Nachdenklich betrachtete Vater sein Weinglas.

      „Sie wären bei mir der richtige Mann. Einen Theoretiker brauche ich, Praktiker habe ich genug. Ich möchte die in meinem Betrieb benötigten Maschinen selbst herstellen, und dazu ist Entwicklung notwendig“, sagte er und fügte mit einem Blick zu Frau Daniels hinzu: „Außerdem will ich mich etwas zurückziehen. Das kann ich nur, wenn ich eine vertraute Führungskraft gewinne.“

      „Sie können mit mir rechnen, Entwicklungsarbeit interessiert mich.“

      „Morgen reden wir eingehender darüber, aber jetzt widmen wir uns den Damen.“

      Er nahm sein Glas und prostete uns zu.

      Nun schenkte er seine Aufmerksamkeit der Frau neben ihm, und wir beide waren uns selbst überlassen.

      Um die entstandene Pause zu überbrücken, fragte ich ihn nach seinen Hobbys.

      „Ach wissen Sie, dazu habe ich nie Zeit gehabt.“

      „Irgendein Sport?“, fragte ich.

      „Eigentlich nichts Besonderes. Schwimmen kann ich leidlich, bei allen anderen Disziplinen in der Schule war ich nicht sehr geschickt. So habe ich mich halt auf den Lehrstoff konzentriert. Und was machen Sie?“

      Ich hatte den Eindruck, dass sich, als ich ihm mitteilte, was ich studiere, leichte Geringschätzigkeit in seiner Miene breit machte, und zerknirscht dachte ich: Nicht jeder kann Wissenschaftler sein. Dann aber siegte mein Selbstbewusstsein und ich überließ ihm in der Folge den sehr holprig geführten Dialog. Was hätte ich auch mit ihm reden sollen. Als ich vorsichtig Kunst und Theater ins Gespräch bringen wollte, kam kein Echo. Einen letzten Versuch riskierte ich noch.

      „Welches sind Ihre Lieblingsblumen?“

      „Lieblingsblumen?“, fragte er. „Hab ich eigentlich nicht. Und Ihre?“

      „Weiße Lilien.“

      Ich war froh, als wir uns endlich verabschiedeten.

      Am nächsten Morgen war ich sehr überrascht, als er mit einem großen Strauß weißer Lilien vor der Tür stand.

       Hermann

      Tagelang zerbrach ich mir den Kopf, was ich mit Erika unternehmen sollte, um mich ihr angenehm zu machen. Ich war nicht gewohnt mit Mädchen auszugehen. Mir würde genügen, nur mit ihr beisammen zu sein, aber das, so glaubte ich, wäre ihr sicher zu wenig.

      Am besten, ich würde jemanden meiner jüngeren Kollegen fragen.

      „Wo geht ihr mit Mädchen hin, wenn ihr sie einladen wollt?“

      „Natürlich