Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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Maßregeln ergriffen. Der Fürst wurde in sein Zimmer getragen; obgleich er wieder zu sich gekommen war, dauerte es doch sehr lange, bis er das volle Bewußtsein wiedererlangte. Ein Arzt, der herbeigerufen war, um den verwundeten Kopf zu untersuchen, verordnete ein Wundwasser und erklärte, daß die Verletzungen in keiner Weise gefährlich seien. Als der Fürst (es war darüber schon eine Stunde vergangen) endlich anfing, seine Umgebung ordentlich zu erkennen, schaffte Kolja ihn in einem Wagen aus dem Gasthaus zu Lebedjew. Dieser nahm den Kranken mit großer Freundlichkeit und vielen Verbeugungen auf. Es wurde um seinetwillen auch der Umzug nach dem Landhaus beschleunigt, und am dritten Tag befanden sich alle schon in Pawlowsk.

      Lebedjews Landhaus war nicht groß, aber bequem und sogar hübsch. Der zum Vermieten bestimmte Teil war besonders schön ausgestattet. In einer ziemlich geräumigen Veranda beim Eingang von der Straße in die Wohnung waren mehrere Orangen- und Zitronenbäume und Jasminsträucher in großen grünen Holzkübeln aufgestellt, was nach Lebedjews Ansicht einen überaus reizvollen Anblick bot. Einige dieser Gewächse hatte er mit dem Landhaus zugleich erworben und war von dem Effekt, den sie in der Veranda hervorbrachten, so entzückt gewesen, daß er unter Benutzung einer sich bietenden Gelegenheit beschloß, zur Vervollständigung noch eine Anzahl ebensolcher Gewächse in Kübeln auf einer Auktion zu erstehen. Als endlich alle diese Gewächse nach dem Landhaus geschafft und aufgestellt waren, lief Lebedjew mehrmals am Tage die Stufen der Veranda hinab auf die Straße und bewunderte von dort aus sein Besitztum, wobei er jedesmal im stillen die Summe erhöhte, die er dem künftigen Mieter seines Landhauses abzuverlangen gedachte. Dem Fürsten, der infolge der seelischen Leiden und der physischen Abgeschlagenheit sehr schwach war, gefiel das Landhaus ausnehmend. Übrigens sah der Fürst am Tag des Umzugs nach Pawlowsk, das heißt am dritten Tag nach dem Anfall, äußerlich bereits wieder fast wie ein gesunder Mensch aus, wiewohl er sich innerlich immer noch nicht genesen fühlte. Er freute sich über einen jeden, den er in diesen drei Tagen um sich sah: über Kolja, der fast gar nicht von ihm wegkam, über die ganze Familie Lebedjew (ohne den Neffen, der verschwunden war, man wußte nicht wohin), über Lebedjew selbst; sogar den General Iwolgin, der ihn noch in der Stadt besuchte, empfing er mit Vergnügen. Am Tag des Umzugs selbst, der erst gegen Abend sein Ende erreicht hatte, war um ihn in der Veranda ziemlich viel Besuch versammelt; zuerst war Ganja gekommen, den der Fürst kaum wiedererkannte, so hatte er sich in dieser ganzen Zeit verändert, indem er namentlich viel magerer geworden war. Darauf waren Warja und Ptizyn erschienen, die ebenfalls in Pawlowsk zur Sommerfrische wohnten. Der General Iwolgin, der sich bei Lebedjew fast für die Dauer einquartiert hatte, schien auch mit ihm zusammen umgezogen zu sein. Lebedjew bemühte sich, ihm den Zutritt zu dem Fürsten zu verwehren und ihn bei sich festzuhalten; er verkehrte mit ihm freundschaftlich: sie waren anscheinend schon lange miteinander bekannt. Der Fürst bemerkte, daß sie an all diesen drei Tagen manchmal miteinander lange Gespräche führten, nicht selten schrien und stritten, sogar, wie es schien, über wissenschaftliche Gegenstände, wohl zu Lebedjews großem Vergnügen. Man konnte selbst meinen, daß ihm der General für diese Disputationen unentbehrlich war. Aber Lebedjew dehnte die Vorsichtsmaßregeln, die er mit Bezug auf den General zur Anwendung brachte, seit der Übersiedlung nach dem Landhaus auch auf seine Familie aus; mit der Begründung, der Fürst dürfe nicht gestört werden, ließ er niemand zu ihm; sobald er nur im entferntesten Verdacht schöpfte, daß seine Töchter, Wjera mit dem Kind nicht ausgenommen, nach der Veranda gehen wollten, wo sich der Fürst befand, stürzte er sofort auf sie los, trampelte mit den Füßen und jagte sie fort, trotz aller Bitten des Fürsten, jedermann zu ihm zu lassen.

      »Erstens hört sonst aller Respekt auf, wenn man ihnen dergleichen gestattet; und zweitens schickt es sich auch nicht für sie ...«, erklärte er schließlich auf eine direkte Frage des Fürsten.

      »Aber warum denn?« erwiderte der Fürst, der ihn gern von seinem Verfahren abbringen wollte. »Wirklich, Sie quälen mich mit all dieser Beaufsichtigung und Behütung. Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, daß es mir langweilig ist, allein zu sein, und Sie selbst ennuyieren mich durch Ihr beständiges Gestikulieren und Umhergehen auf den Zehen noch mehr.«

      Der Fürst wies damit darauf hin, daß Lebedjew, obwohl er alle seine Angehörigen wegen der angeblichen Ruhebedürftigkeit des Kranken wegtrieb, doch selbst während dieser ganzen drei Tage alle Augenblicke zum Fürsten hereinkam und jedesmal zuerst die Tür öffnete, den Kopf hereinsteckte, sich im Zimmer umsah, als ob er feststellen wollte, ob der Fürst auch noch da sei und nicht davongelaufen wäre, und dann auf den Zehen, langsam, mit schleichenden Schritten sich dessen Lehnstuhl näherte, so daß er seinen Mieter manchmal unversehens erschreckte. Fortwährend erkundigte er sich, ob der Fürst etwas brauche, und wenn der Fürst ihm endlich bemerkte, er möge ihn in Ruhe lassen, so machte er gehorsam, und ohne ein Wort zu erwidern, kehrt, ging wieder auf den Zehen zur Tür zurück und gestikulierte, während er so ging, die ganze Zeit über, wie wenn er zu verstehen geben wollte, er sei nur so ohne besondere Absicht hereingekommen, werde kein Wort weiter reden, gehe ja schon wieder hinaus und werde nicht mehr wiederkommen; aber nichtsdestoweniger erschien er nach zehn Minuten oder höchstens einer Viertelstunde von neuem. Kolja, der freien Zutritt zum Fürsten hatte, erregte dadurch Lebedjews höchstes Mißfallen, ja dieser fühlte sich sogar dadurch schwer gekränkt. Kolja merkte, daß Lebedjew halbe Stunden lang an der Tür stand und horchte, was er mit dem Fürsten sprach und teilte diese seine Beobachtung natürlich dem Fürsten mit.

      »Aber Sie halten mich ja unter Schloß und Riegel, wie wenn Sie mich als Ihr Eigentum erworben hätten«, protestierte der Fürst. »Wenigstens auf dem Land möchte ich es anders haben; lassen Sie es sich gesagt sein, daß ich empfangen werde, wen ich will, und gehen werde, wohin es mir beliebt.«

      »Ohne den allergeringsten Zweifel«, versetzte Lebedjew mit lebhaften Gestikulationen.

      Der Fürst betrachtete ihn aufmerksam vom Kopf bis zu den Füßen.

      »Wie ist das, Lukjan Timofejewitsch? Haben Sie Ihr Schränkchen, das in Ihrer Wohnung über dem Kopfende Ihres Bettes an der Wand befestigt war, hierher mitgebracht?«

      »Nein, das habe ich nicht getan.«

      »Haben Sie es wirklich dort gelassen?«

      »Es war nicht möglich, es mitzunehmen; ich hätte es aus der Wand herausbrechen müssen; es sitzt ganz fest darin.«

      »Aber vielleicht haben Sie hier ein ebensolches?«

      »Sogar ein besseres, sogar ein besseres; ich habe es mit dem Landhaus mitgekauft.«

      »Ach so! Wem haben Sie denn vorhin den Zutritt zu mir verwehrt? So etwa vor einer Stunde?«

      »Das ... das war der General. Ich habe ihn allerdings nicht hereingelassen, und er paßt auch wirklich nicht für Sie. Ich schätze diesen Mann sehr hoch, Fürst; er ... er ist ein bedeutender Mensch; glauben Sie es etwa nicht? Na, sehen Sie, aber trotzdem ... trotzdem wäre es das beste, durchlauchtigster Fürst, wenn Sie ihn nicht empfangen wollten.«

      »Aber warum denn nicht? möchte ich doch fragen. Und warum stehen Sie denn jetzt auf den Zehen, Lebedjew, und kommen immer zu mir, als ob Sie mir ein Geheimnis ins Ohr sagen wollten?«

      »Ich bin ein gemeiner Mensch, ein gemeiner Mensch, das fühle ich«, antwortete Lebedjew ziemlich unmotiviert und schlug sich affektvoll auf die Brust. »Aber wird der General für Sie nicht gar zu gastfreundlich sein?«

      »Was heißt das: gar zu gastfreundlich?«

      »Er ist sehr für Gastfreundschaft. Erstens richtet er sich bei mir schon ganz häuslich ein; nun, das mag noch hingehen; aber er ist unternehmend und dringt sogleich in die Verwandtschaft ein. Er und ich, wir haben schon mehrmals unsere Familienverhältnisse untersucht, und es hat sich dabei herausgestellt, daß wir miteinander verwandt sind. Und noch gestern hat er mir auseinandergesetzt, es lasse sich auch beweisen, daß Sie mütterlicherseits ein entfernter Neffe von ihm seien. Wenn also Sie sein Neffe sind, dann sind auch wir beide, Sie und ich, miteinander verwandt, durchlauchtigster Fürst. Das ist ja nun noch nichts Schlimmes, eine kleine Schwäche; aber soeben hat er mir versichert, daß er sein ganzes Leben lang, von der Zeit an, wo er noch Fähnrich war, bis zum elften Juni vorigen