Ursula Tintelnot

Die Füchsin


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ge­fehlt.«

      Sie um­armt Va­le­rie und steigt in ih­ren SUV. Bei vier Kin­dern, viel­leicht bald fünf, braucht sie den auch.

      Va­le­rie fragt sich, wäh­rend sie zum Je­nisch­park hoch­stram­pelt, wie Mira sich ent­schei­den wird. Ob sie sich of­fen weh­ren wird oder heim­lich die Pil­le wei­ter­nimmt? Sie er­reicht Hoch­rad und biegt kur­ze Zeit spä­ter in die Max-Brau­er-Al­lee ein. Als sie am Paul­sen­platz an­kommt, steht die Son­ne schon tief. Va­le­rie stellt ihr Fahr­rad un­ter dem Schild ab, das ver­bie­tet Fahr­rä­der, Kin­der­wa­gen, Kin­der­spiel­zeug und Rol­ler hier ab­zu­stel­len. Kei­ner der Haus­be­woh­ner hält sich dar­an oder regt sich dar­über auf, au­ßer dem al­ten Zau­sel un­ter dem Dach, der we­der das eine noch das an­de­re be­sitzt.

      Sie steigt hin­auf in ihre Eta­ge. Mira, denkt Va­le­rie auf dem Weg nach oben, ist har­mo­nie­süch­tig. Sie wird sich nicht mit Bru­no aus­ein­an­der­set­zen.

      Die Kat­ze maunzt schon hin­ter der Tür.

      »Hast du mich ver­misst?«

      Ihr ers­ter Weg führt sie in die Kü­che. Sie öff­net eine Dose Kat­zen­fut­ter, kippt den In­halt in einen Blech­napf und stellt ihn auf den Fuß­bo­den. Im Schlaf­zim­mer ent­le­digt sie sich ih­rer Schu­he und geht mit blo­ßen Fü­ßen auf den Bal­kon. Die Pflan­zen brau­chen drin­gend Was­ser. Vom Spiel­platz drin­gen Kin­der­stim­men und Hun­de­ge­bell zu ihr em­por. Sie sieht auf die Uhr. Zeit für ein Glas Wein. Sie packt ein paar Krä­cker, ein Stück Zie­gen­gou­da und grü­ne Oli­ven auf einen Tel­ler. Da­mit lässt sie sich auf dem Bal­kon nie­der und sieht zu, wie der Him­mel sich rosa ver­färbt. Kein gu­tes Wet­ter mor­gen.

      9 Ende Juli

      Adam er­wacht und stellt er­leich­tert fest, dass er im ei­ge­nen Bett liegt und nicht Chris­ti­nas Drän­gen nach­ge­ge­ben hat. Sei­ne Träu­me ha­ben ein an­de­res Sze­na­rio ab­ge­bil­det. Er will nicht an den gest­ri­gen Abend den­ken und ver­drängt die Traum­bil­der, in de­nen Chris­ti­na eine tra­gen­de, re­spek­ti­ve lie­gen­de Rol­le in­ne­ge­habt hat.

      »Schläfst du, Dada?« Sein rech­tes Au­gen­lid wird vor­sich­tig nach oben ge­zo­gen. Ben schaut ihn an. »Wach«, sagt er zu­frie­den.

      Adam zieht den Klei­nen an sich. »Gut ge­schla­fen?«

      Ben nickt eif­rig und gibt ihm einen feuch­ten Kuss.

      »Und jetzt frisst dich das Kro­ko­dil«,

      Adam greift blitz­schnell wie­der nach ihm und kit­zelt ihn durch, bis sie bei­de au­ßer Atem sind. Bens La­chen ent­schä­digt Adam für al­les, was er für ihn auf­ge­ge­ben hat.

      Was ge­nau hat er ei­gent­lich auf­ge­ge­ben? Einen Job bei ei­nem Dok­tor­va­ter an der Uni, der sei­ne Er­kennt­nis­se bei der For­schung für sei­ne ei­ge­nen aus­gab? Fünf­und­zwan­zig über­teu­er­te Qua­drat­me­ter in der Schan­ze, eine Bude, vor der Tag und Nacht Ver­kehrs­lärm zu hö­ren war? Er er­in­nert sich an Tage, die nicht en­den, an schlaf­lo­se Näch­te, an Freun­de, mit de­nen er bis zum Mor­gen in den Knei­pen trank. Jetzt sinkt er am Abend tod­mü­de, er­schöpft und zu­frie­den ins Bett. Stil­le hüllt ihn ein. Er weiß, was er ge­tan hat. Ihm fehlt nichts, er sucht nichts, er hat et­was Neu­es ge­fun­den, das ihn völ­lig aus­füllt.

      Flüch­tig sieht er Se­me­les lä­cheln­des Ge­sicht vor sich. Was wür­de sei­ne Schwes­ter sa­gen, wenn sie ihn jetzt sähe? »Ich habe im­mer ge­sagt, an dir ist ein Gärt­ner ver­lo­ren­ge­gan­gen.«

      Nein, er hat nichts auf­ge­ge­ben, er hat et­was be­kom­men.

      »Dada!« Ben zerrt an sei­ner Hand.

      »Ich kom­me«, sagt Adam.

      Er nimmt Ben auf den Arm und geht mit ihm in die Kü­che. Bel­la we­delt ihm ent­ge­gen. Von Chris­ti­na ist nichts zu hö­ren und zu se­hen, sie scheint noch zu schla­fen.

      Sie wird Kopf­schmer­zen ha­ben, denkt er.

      Adam füllt Bel­las Napf. Ben hockt sich ne­ben das Hünd­chen und schaut ihm beim Fres­sen zu. Adam be­rei­tet für Ben Jo­ghurt mit Obst zu. Für sich selbst legt er Speck in eine Ei­sen­pfan­ne und schlägt drei Eier dar­über.

      »Das riecht sehr le­cker.« Han­nah er­scheint lä­chelnd in der of­fe­nen Kü­chen­tür.

      »Moin«, sagt Adam.

      Han­nah hat sich ein Tuch ums Haar ge­bun­den und sieht in ih­rem bun­ten Som­mer­kleid rei­zend aus.

      »Gu­ten Mor­gen.« Chris­ti­nas Auf­tritt ist eher auf­rei­zend. Sie trägt nichts au­ßer ei­nem win­zi­gen Schlüp­fer und dunk­len Rin­gen un­ter den Au­gen. Sie drän­gelt sich an Han­nah vor­bei, geht auf Adam zu und küsst ihn auf den Mund. »Wo ist das Ba­de­zim­mer?«

      »Zwei­te Tür links«, sagt er und reißt die Pfan­ne vom Herd. »Ver­dammt!« Er öff­net den Müll­ei­mer und kippt den ver­kohl­ten In­halt hin­ein. »Was gibt’s?«

      Han­nah steht im­mer noch wie er­starrt in der Tür, als die Ba­de­zim­mer­tür sich hin­ter Chris­ti­na schließt. Sein Han­dy brummt auf der Tisch­plat­te. Jetzt nicht, denkt er. Han­nah be­wegt sich wie­der.

      »Also, was willst du?«

      »Papa hat Zahn­schmer­zen, er muss zum Arzt.«

      Auch das noch! Adam seufzt. »Macht nichts. Ich fahr nach­her die Be­stel­lun­gen selbst raus.«

      »Ich kann mit­kom­men, wenn …«

      »Nee, lass mal. Küm­me­re dich um Hin­nerk. Sag ihm gute Bes­se­rung.«

      »Hat sie dich rum­ge­kriegt?«

      »Was meinst du?«

      Han­nah nickt in Rich­tung Ba­de­zim­mer. »Der Hun­ger­ha­ken da.«

      »Was geht das dich an?«

      Han­nah sieht ihn wü­tend an, dreht sich um und ver­lässt mit stei­fem Rü­cken die Kü­che. Ihr Kör­per drückt ab­grund­tie­fe Ver­ach­tung aus.

      »Bis mor­gen«, ruft Adam ihr hin­ter­her.

      »Viel­leicht.«

      »Wei­ber«, sagt Adam ge­nervt. Aber er weiß, dass Han­nah am nächs­ten Tag da sein wird. Er hört ein Mo­ped da­von­fah­ren.

      »Wei­ber.« Ben wie­der­holt das neue Wort.

      »Alle.«

      Ben schiebt sei­nen Tel­ler von sich weg, steigt vom Stuhl und krab­belt un­ter den Tisch zu Bel­la. »Wei­ber«, sagt er zu der Hün­din.

      Adam grinst in sei­nen Kaf­fee­be­cher.

      »Ist sie weg, dei­ne Klei­ne?« Chris­ti­na be­tritt mit ge­schürz­ten Lip­pen, voll­stän­dig an­ge­zo­gen die Kü­che.

      Bel­la knurrt lei­se un­ter dem Tisch.

      Ben mur­melt: »Wei­ber.«

      »Sie ist nicht mei­ne Klei­ne. Setz dich. Kaf­fee? Eier und Speck? Jo­ghurt?«

      »Nur Kaf­fee.«

      Er fragt sich, wie Frau­en es schaf­fen, so zu tun, als sei nichts ge­we­sen. Ihm ist der Abend noch pein­lich ge­nau in Er­in­ne­rung.

      »Ha­ben wir … Ich mei­ne, du weißt schon …«

      »Nein?«