Rafael di Giorgio

Das Miami Syndikat


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Ihre strahlenden Augen, wie sie ihn ansprach, wie sie ihn anschaute, wie nur das Wunder der Liebe es schaffte aus einem Blick ein Liebesgedicht zu machen. Die Geborgenheit.

      Er hörte draussen das Geräusch eines Feuerzeugs. Ging zum Fenster und sah durch die leichten Gardinen… ihn… einfach rauchend. Er ging auf dem warmen Holzboden zum Schrank im Flur und nahm die Schrotflinte. Ohne ein Geräusch zu machen, schob er die Patronen in den Lauf. Seine kleinen Finger schmerzten und hatten kaum die Kraft dazu. Die Kraft kam aus seinem Wunsch Gerechtigkeit walten zu lassen. Und zwar sofort. Seine Gefühle waren taub, er spürte nichts. Wie ein Roboter ging er geräuschlos die Treppe hinunter. Er legte die Waffe auf den Boden. Sie war schwer und er wusste, dass der Rückstoss gewaltig war. Vor der Eingangstür, auf dem Boden, mit dem Kolben auf die Wand fixiert, drückte er den Abzug. Die Patrone durchbrach die Tür und er hörte das Geräusch, das er nie wieder vergessen würde. Das Geräusch einer Patrone, die menschliche Knochen zerfetzte. Er öffnete die Tür und sah ihn. Aufs Gesicht gefallen, der Rücken wie ein Bogen nach oben gerichtet. Er hörte das Zischen der Luft in seinen Lungen. Und obwohl er nur zehn Jahre alt war und noch ein Kind, verspürte er Gerechtigkeit. Die Zigarette brannte noch in seinem Mund und der Kleine sah in dem Blick dieses Monsters alles was er sehen wollte. Panik, Angst und Hoffnungslosigkeit. Minuten lang schaute er ihn an, schaute wie das Leben aus ihm heraustropfte. Minuten lang…

      Das leise, kurze Weinen…

      Die Nachbarn fanden ihn am nächsten Tag immer noch auf der Treppe, wo er den Mörder seiner Mami anschaute. Mit kaltem, starrem Blick.

      Von diesem Tag an war er gebrochen. Und seit diesem Tag träumte er nicht mehr von dem Tag im Wald mit seiner Mami. Von dem Tag, an dem er vollkommenes Glück empfand. In seiner perfekten, kleinen Welt, die jetzt nicht mehr existierte. Und er versprach sich diese Welt wieder zu erschaffen. Egal wie lange es dauern würde, egal wie steil, steinig und schmerzhaft der Weg sein mochte. Er würde ihn bestreiten. Wortlos, kompromisslos. Und er würde sie alle dorthin führen. Und die perverse, dumme Welt mit ihren eigenen Waffen besiegen. Denn die Welt war ein Spielplatz für Monster geworden.

      Rico

      Männer sind die fleischgewordene Intelligenz! Darüber braucht man nicht zu diskutieren oder zu streiten. Was aber die Frauen sind ist noch unklar. Jedoch steht fest, dass sie aus einer Parallelwelt eines immanenten Universums kamen. Und unwiderruflich. (Vielleicht werden wir zusammen herausfinden was sie waren und sind, weil dieses Buch ziemlich lang ist!) Es ist ein heisser Sommertag. Die Sonne scheint so gnadenlos, dass ein schlauer Imbissverkäufer eine Menge Geld machen würde wenn er gesund und fettfrei seine Würstchen auf meinem Schädel braten würde. Denn die Brattemperatur würde stimmen. An solchen Tagen denke ich oft an den Menschen, der die Klimaanlage erfunden hat und ich weiss nicht mal, wie er heisst. Nur seine Initialen: A. C. In meinem Van läuft die Klimaanlage geräuschlos. (Ob in anderen Vans nicht geräuschlos, bleibt ein Mysterium. Und das schon am Anfang des Buches!)

      Wir befinden uns auf dem grossen Parkplatz vor der Uni. Ein Parkplatz, so gross wie ein Fussballstadion, nur viel grüner und mit tausend und einem Baum. An solchen Plätzen hat man nicht das Problem, dass man keinen Parkplatz findet, sondern, dass man nicht weiss auf welchem man parken soll. Die Suche dauert also genau so lange wie in einem kleinen, überfüllten Parkhaus. Das gefällt mir bei den Amis. Alles ist gross, sehr gross, enorm und ich habe das Gefühl, dass ich mich wiederhole, was die Beschreibungen betrifft. Ihr könnt es euch aber trotzdem nicht vorstellen. (Weil eure Vorstellungskraft ziemlich begrenzt ist. Woher ich das weiss? Ihr würdet doch selber Bücher schreiben und nicht meine lesen.) In der Mitte des Parkplatzes steht ein riesiger Springbrunnen. Wassertropfen treffen ahnungslose Studenten, auf irgendwelchen runtergeklappten Autositzen Liebende, in Cabrios schauende Gaffer, Passanten, Vögel, Tiere und Bäume. (Falls ich jemanden vergessen habe, Reklamationen unter 0190 und dann eine beliebige Nummer. Nette Damen werden euch helfen eueren Frust abzubauen!)

      Sie ist blond, ihre glänzenden Beine machen mich unruhig. Sie sieht den Blick in meinen Augen und sagt:

      «Komm Baby, hab Geduld! Ich muss zur Vorlesung aber in ein paar Stunden bin ich wieder bei dir!» Ich sehe sie an und frage mich womit ich es verdient habe der Verursacher ihres zufriedenen Blickes zu sein? Mit den kleinen, eleganten, begleitenden Augenringen. Und wenn ihr kleinen, neugierigen Leser gesehen hättet was gestern Nacht los war, würdet ihr erkennen, dass die Entdeckung des Feuers, des Rades, des Ottomotors, der Wirtschaftslehre des Kommunismus und der erste gefälschte Schritt auf dem Mond nichts im Vergleich zu meiner Leistung waren. Ich bin froh, dass die Evolution mich nicht mit solchen Kurven und solcher Haut ausgestattet hat, weil ich sonst ununterbrochen mit mir spielen würde. Falls ihr immer noch glaubt Berge in der Schweiz wären schön, habt ihr diese hier nicht gesehen, unter einem viel zu kleinen, zu engen, zu grünen und zu durchsichtigen T-Shirt, das mehr zeigt als versteckt. Ein paar Stunden würde sie weg sein! Die schöne Kreatur. Viel zu lange!

      «Mach dir keine Sorgen! Ich habe noch zu tun und werde gar nicht merken, dass du weg bist!» sage ich cool und rolle mit den Augen, um die Aussage glaubwürdiger zu machen. In meiner kleinen, einfach gestrickten Welt.

      «Bis dann! Und bleibe anständig!» sagt sie noch und fordert gleichzeitig das Unmögliche. Von einen Mann. Ein Widerspruch in sich. Diese zwei Worte, Mann und anständig auf der gleichen Buchseite tun schon einfach nur weh. Weil “anständig” ein Begriff ist, dessen ethischen Ursprung eine Frau ausgedacht hat.

      «Immer, Baby! Und wenn ich es nicht bin, denke ich nur an dich!» Ob sie das genau in dieser Form hören wollte? Ich weiss es nicht. Aber ich versuche es zumindest.

      Der Visionär

      Ein Kapitel der Geschichte ging zu Ende. Langsam und schmerzhaft. Und die Politik konnte nichts dagegensetzen. Die Wirtschaft noch weniger. Die kapitalistische Markwirtschaft kollabierte. Und in dieser Welt, in der die Zusammenhänge und Abhängigkeiten der Märkte immer komplexer wurden, wurde klar, dass die Titanic der Wirtschaft, die globalisierte Welt, gross und unsinkbar, genau so enden würde wie das Schiff. Ironischerweise würden die kleinen Holzboote sich auch jetzt über Wasser halten. Einfach in der Bauweise, primitiv, leicht steuerbar. Längst vergangen waren die Zeiten als alte, bärtige, englische Gentlemen wirtschaftliche und gesellschaftliche Konzepte erstellten. Konzepte, die der Welt aus dem dunklen Feudalismus halfen und sie in eine unglaubliche, wirtschaftlichen Revolution stürzte. Alte Philosophen, die uns mit Ideen, Visionen und Konzepten hätten bereichern müssen. Nur wir waren blind, wollten das letzte Kapitel derer genialen Werke nicht lesen. Und auch nicht den Untertitel. Konsequent. Und jetzt nahm der Fluch unserer Dummheit Gestalt an und führte uns die Bedeutung des Untertitels “Kritik der politischen Ökonomie”(1) vor Augen.

      Das Model der kapitalistischen Markwirtschaft hatte ausgedient. Die Abnutzung des Konzeptes verlangte nach einer neuen Lösung. Karl Marx warnte genau vor dem Zeitpunkt, an dem sich die Welt jetzt befand. An dem Punkt an dem alles damit gemessen würde ob Geld mehr Geld generiert. Geld als absoluter Massstab. Als absolute Referenz. Die weitreichenden Wirkungen des herrschenden Wirtschaftsmodells wurden immer offensichtlicher und verlangten Opfer. Die Politik war nur noch eine Marionette einer Wirtschaft, die auf blindes, extremes Wachstum setzte. Einer Wirtschaft, die das globale Spiel der Macht bestimmen wollte und jetzt bestimmte. Einer Wirtschaft, die Kriege aus verschiedenen Gründen einfädelte, mal politische, mal religiöse, um zum einzigen wichtigen Ziel zu kommen: die Kontrolle über Rohstoffe, über Märkte, über Währungen. Wer die Kontrolle über Rohstoffe hatte, hatte die Kontrolle über Hunger. Über Armut und Reichtum. Menschenrechte wurden über Bord geworfen, internationale Abkommen wurden nicht mehr respektiert, wer Waffen hatte, hatte das Sagen. Schlimmer noch, bestimmte was richtig war. Inoffiziell natürlich. Denn offiziell war die “zivilisierte Welt”nur bemüht “Demokratie” einzuführen. Die Demokratie zeigte aber immer offensichtlicher ihre Schwächen. Demokratie war ein System, das zuliess, dass wirtschaftliche Mächte Märkte aggressiv erweiterten und kontrollierten, ohne Rücksicht auf Traditionen und Kultur. Ein System, dass nach feudalen Methoden Rohstoffe beanspruchte. Wer die Waffen, das Geld und die Mittel hatte, bestimmte für die ganze Welt was gut und was nicht gut war und konsolidierte das