Ava Patell

Smartphone Sweetheart


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In solchen Phasen schien sein Körper in eine Art Sparmodus zu schalten und nur Hanni war es zu verdanken, dass er überhaupt noch etwas im Kühlschrank hatte. Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, was vor sich ging. Er sah in solchen Momenten nicht auf sein Handy. Er hatte gar keinen Blick dafür.

      Aus den Stunden wurden Tage, aus den Tagen wurden Wochen. Und die zwei Protagonisten begannen ihn langsam aus ihren Fingern zu entlassen. Ihre Geschichte war erzählt. Auf gut 640 Seiten fand sich der seltsame Fall von Tischlermeister James Forster, der überraschend bei einer Lieferung einen Mord beobachtet, welcher auf einem von ihm gefertigten Stuhl geschieht, woraufhin er von Leuten verfolgt wird, die er nicht kennt. Hilfe erhielt er von einem kleinwüchsigen Privatermittler, dem er bei seiner überstürzten Flucht beinahe die Haare abgefackelt hätte. Es war verrückt, es war spannend, es war witzig und Emmett war so zufrieden damit wie schon lange nicht mehr mit einem Buch. Er hatte kaum etwas dazu beigetragen. Die Figuren hatten ihre Geschichte erzählt. Er hatte sie niedergeschrieben. In ihrer Rohfassung. Er wusste nicht, warum es so war, aber er hatte schon früh gelernt, sich auf dieses Vorgehen einzulassen. Früher hatte er es mit einem Storyboard versucht, mit stundenlangen Grübeleien darüber, wie er die Handlung eines Romans am besten aufbauen konnte und wie das Ende auszusehen hatte. Mit dem Ergebnis, dass es nie funktioniert hatte. Die Figuren übernahmen ab einem bestimmten Punkt die Kontrolle und enthoben ihn damit jeglicher Verantwortung, was die Handlung und ihre Konsequenzen anging. Er war nur noch ein Mittel zum Zweck, da diese imaginären Personen keine Finger besaßen, um ihre Geschichte selbst aufzuschreiben. Dazu war er jetzt da und seit er aufgegeben hatte alles planen zu wollen, lief es richtig gut mit der Schriftstellerei und er konnte davon leben.

      Ein Ziel, das auch in einer anderen Stadt ein anderer Mann verfolgte. Matthew schloss die Augen und atmete tief ein und wieder aus. Es roch nach Farbe, nach Holz, nach frischer Bettwäsche. Alles war neu, nicht nur der Geruch, auch die Geräusche im Haus. Ein Knacken hier, ein Knistern da, ein Luftzug... Er runzelte die Stirn. Die Worte kamen ihm bekannt vor, auch wenn er gerade nicht sagen konnte, woher. Er dachte an den Tag zurück, an all die Gespräche und Orte. Er hatte heute viel Zeit im Taxi verbracht und vier neue Menschen kennengelernt. Investoren. Es war schon beinahe Winter und Matthew fragte sich, wann dieses eine bestimmte Gefühl vergehen würde. Er stutzte und griff dann nach seinem Handy, rief den Nachrichtenverlauf mit John Doe auf.

      › Kennen Sie das Gefühl, sich nirgends Zuhause zu fühlen?‹ , schrieb er langsam. › Diese innere Unruhe, weil Geist und Körper nicht wissen, wo sie hingehören?‹ Es war dämlich, John Doe überhaupt wieder zu schreiben. Dennoch schickte Matthew die Nachricht ab und er seufzte dabei. Unruhig tippte er auf die Tasten, so leicht, dass sie keinen Buchstaben auf dem Display hinterließen. Es war Wochen her, dass er von dem Unbekannten gehört hatte und er rechnete auch jetzt nicht mit einer Antwort. Doch mit dieser Nachricht brachte er sich ohne es zu ahnen wieder in Erinnerung und bald schon zeigten ihm drei kleine Punkte, dass John schrieb.

      Als Emmett die Nachricht las, war er überrascht. Er hatte Mr. M total vergessen. Über all die letzten Wochen, die mit einem Mal so voller Arbeit waren. Korrektur lesen. Lektorats-Termine. Telefonkonferenzen mit seiner Verlegerin.

      › Ja und nein.‹ , schrieb er und stutzte dann, nachdem er die Nachricht abgeschickt hatte. Sie kam ihm ungenügend vor. › Es gibt Tage, an denen weiß ich genau, wo ich hin gehöre. An denen ich weiß, wo mein Platz in der Welt ist. Aber das hält nur so lange an, wie ich nicht in die Zukunft denke. Wenn ich das tue, dann weiß ich genau, was Sie meinen, Mr. M. Ich weiß für den Moment wo ich hin gehöre, aber ich weiß auch, wie ich mir meine Zukunft vorstelle und wie sehr mein jetziges Leben davon abweicht. Ich weiß nicht, wie ich diese zwei losen Fäden jemals verbinden soll. Oder ob ich das überhaupt jemals kann.‹ Er sah einen Moment auf die Nachricht. Wie oft hatte er das gedacht? Doch ausgesprochen hatte er das nie. Nicht einmal Hanni gegenüber. Sie ahnte es wohl, er hatte es angedeutet. Aber niemals so konkret benannt wie jetzt Mr. M gegenüber. Und das, nachdem er so lange nichts mehr von ihm gehört hatte. Und auch selbst von sich nichts hatte hören lassen. Verrückt. Einfach verrückt.

      Matthew nickte leicht und schrieb sofort zurück, schmunzelte jedoch über den Namen, den ihm John Doe verpasst hatte. › Ich bin meiner Zukunftsvorstellung in den letzten Tagen näher gekommen, dennoch fühle ich mich noch nicht Zuhause. Was daran liegen mag, dass ich umgezogen bin. Ich hoffe, dass es daran liegt und dass ich mich nach und nach hier eingewöhnen werde.‹ Matthew war sich nicht sicher, ob er dem Fremden nicht auf den Geist ging. Er hätte genauso gut mit seiner Schwester schreiben können oder mit Daniel, seinem besten Freund, doch gerade die unbekannte Entfernung zwischen ihm und John Doe machte es so reizvoll, ihm zu schreiben. Ganz so als könnte man die Glaskugel einer Wahrsagerin befragen, die zwar nicht die Zukunft voraussagte, aber einem eine andere Meinung bot. Es sollte ja Menschen geben, die Billardkugeln oder Würfel befragten, was sie wann tun sollten. Vielleicht war der Fremde ja sein Würfel. Diesmal kam die Antwort auch wieder zügig, fast ohne Verzögerung.

       ›Nur in eine neue Wohnung oder auch in eine neue Stadt?‹

      John Doe schien neugierig zu sein, aber er war bereit, dieser Neugier zumindest ein Stück weit entgegen zu kommen.

      › Auch in eine neue Stadt.‹ , schrieb Matthew deshalb zurück. Die kleine Nachttischlampe warf ein ungewohntes Licht in den Raum. Draußen war es schon längst dunkel und das Handy vibrierte in seinen Fingern, als die Antwort kam.

      › Also kennen Sie noch niemanden, Mr. M? Eine wirklich sehr gute Freundin von mir würde Ihnen jetzt raten, einfach rauszugehen, in irgendeinen Club oder eine Bar und dort Leute kennenzulernen. Dann fühlen Sie sich nicht mehr so isoliert.‹

      »Oh na ja...«, murmelte Matthew vor sich hin, nachdem er die Worte gelesen hatte.

      › Nicht mehr heute. Ich fühle mich im Übrigen auch nicht isoliert. Meine Schwester wohnt nur noch eine halbe Stunde von mir entfernt und außerdem bin ich es gewohnt, viel umzuziehen. Das war jetzt der...‹ Kurz musste er nachrechnen. ›... fünfte Umzug in den letzten 20 Jahren.‹ , schrieb er zu Ende. › Sind Sie gerade unterwegs?‹

      Emmett hob die Augenbrauen, während er die Beine auf die Couch zog, auf der er gerade saß. Er war wirklich erstaunt. Das waren eine Menge Umzüge für eine Person. Und er fragte sich prompt, wie alt Mr. M war. Sicherlich war er keine 20 mehr. Vielleicht um die 50? Oder auch 60. Aber machte man sich in einem solchen Alter noch selbstständig? Nun, warum eigentlich nicht? Man wurde heute immer älter und älter und geschenkt wurde einem nichts. Warum also nicht, wenn es die Gesundheit zuließ? Er schüttelte den Kopf, als er merkte, dass er gedanklich abschweifte und tippte eine Antwort.

      › Nein. Ich gehe im Allgemeinen nicht sehr gerne aus. Nicht...im üblichen Sinne zumindest.‹ Die Frage, die als Antwort kam, hatte er beinahe erwartet.

       ›Was machen Sie stattdessen?‹

      ›Ich hab doch schon erwähnt, dass ich verrückt bin.‹ , tippte Emmett schmunzelnd. › Ich gehe schon gerne aus. Aber ich bin kein großer Freund von Clubs. Sie sind einfach nur furchtbar laut und voll... Ich mag Cafés. Die kleinen, urigen. Wo man hervorragenden Kuchen bekommt. Ich gehe gerne in Galerien und sehe mir Kunst an. Die gute Kunst. Nicht die moderne. Wobei nichts daran verkehrt ist, moderne Kunst zu mögen, aber ich kann mit einem Bild, das aussieht, als wäre der Künstler in Farbe getunkt darüber gerollt, nichts anfangen. Ich gehe gerne spazieren. Oder sitze einfach nur mit einer Decke und einem guten Buch im Park.‹ Über sich selbst schüttelte er den Kopf. Jetzt klang er beinahe als wäre er 60 Jahre alt. Oder 80. Vielleicht auch eher 100. › Sehen Sie? Das ist genau der Grund, warum meine beste Freundin sagt, ich sei niedlich, aber nicht sexy.‹

      Laut lachte Matthew auf. Bis jetzt hatte er John Doe für einen jungen Erwachsenen gehalten, vielleicht Mitte 20. Wie das alles angefangen hatte, dieser Streich und dann die Freundin, die gern in Clubs und Bars ging. Dagegen sprach Matthews Meinung nach die Selbständigkeit und nun dieses Bild vom Ausgehen.

      › Als ich das gelesen habe, dachte ich für einen Moment, Sie wären vielleicht doch älter als ich gedacht hätte, Johnny, aber die letzten Sätze haben das Bild wieder geradegerückt.