Lena Knodt

Blackwood


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hatte.

      »Drei Krüge Bier«, orderte der kleinste von ihnen und der Wirt nahm sogleich eifrig Gläser vom Regal.

      »Scheinbar ist ihr Geld mehr wert als unseres«, sagte Jack spitz, doch Lively reagierte nicht auf ihn. Neugierig musterte sie die Neuankömmlinge.

      Der linke Mann war klein und drahtig, hatte strohblondes Haar und ein wettergegerbtes Gesicht. Der Mittlere sah ihm so ähnlich, dass sie Brüder sein mussten. Nur der rechte stach hervor. Er war größer als die beiden und hatte feine Züge, die fast jugendlich wirkten. Seine Haare waren schwarz und standen ihm in alle Richtungen vom Kopf ab. Als er lachte, überzog sich sein ganzes Gesicht mit Falten. Sein markanter Kiefer wirkte im Zusammenspiel mit seinen klaren Augen durchaus attraktiv, doch das war es nicht, was Lively interessierte. Es war eher eine Ahnung, ein sanftes Ziehen in ihrer Brust, das ihr sagte, dass sie diesem Menschen ihre Aufmerksamkeit schenken sollte.

      Wieder legte er den Kopf in den Nacken und lachte. Er hatte ein einnehmendes Lachen, das jeden Winkel der Wirtschaft erfüllte. Ein Lachen, das sagte: »Hier bin ich«. Ein Lachen, das gehört werden wollte.

      Der Wirt kam mit drei gefüllten Bierkrügen an. Er knallte sie auf den Tisch, sodass der Schaum zu beiden Seiten spritzte.

      Lively wandte den Blick ab, bevor ihr Starren auffiel.

      Jack hatte scheinbar nicht mitbekommen, wie abgelenkt sie gewesen war. Er starrte nur verträumt zur Theke.

      Nun kam der Wirt mit zwei gefüllten Tellern aus einer Kammer hinter dem Schankbereich hervor und steuerte tatsächlich auf sie zu. Wortlos schob er sie auf den Tisch, sodass ein Drittel von Livelys Suppe auf dem Holz der Tischplatte landete.

      »Danke«, sagte Jack, aber sie schwieg. Solch unhöflichen Menschen waren ihrer Meinung nach freundliche Worte nicht wert. Und es war schon etwas außergewöhnliches, wenn sie Menschen als unhöflich bezeichnete, denn ihre Messlatte lag wirklich nicht hoch.

      Ihr Bruder machte sich gleich über das warme Essen her, aber sie würdigte es keines Blickes. Möglichst unauffällig beugte sie sich nach hinten, schob den Stuhl ein paar Zentimeter und versuchte zwanghaft, die Worte der drei Männer zu verstehen. Doch es lagen einige Meter zwischen ihnen und das Klappern von Jacks Löffel brachte sie immer wieder aus dem Konzept. Genervt warf sie ihm einen Blick zu, schluckte die giftigen Worte aber herunter.

      »Sie ist meine Schwester, Chase. Sprich nicht so über sie.« Das war die Stimme des Mannes mit den schwarzen Haaren. Lively erkannte sie sofort, denn sie war ähnlich eindringlich wie sein Lachen. Unauffällig rückte sie ein weiteres Stück nach hinten, bis sie mit der Lehne gegen einen Stuhl des Nachbartisches stieß.

      »Hab dich nicht so. Willst du nicht auch, dass sie langsam einen Mann fürs Leben findet?«

      »Sicher, aber nicht dich.«

      Lively konnte die Stimmen der beiden anderen nicht unterscheiden, was es ihr schwer machte, dem Gespräch zu folgen.

      »Nur weil ihr in eurem Schlösschen wohnt, macht euch das nicht zu Adligen, Adrian. Deine Familie ist nicht besser als meine.« Das musste einer der Blonden sein. Obwohl seine Stimme am Anfang scherzhaft geklungen hatte, war sie jetzt ehrlich verärgert.

      Adrian. War das sein Name? Und was meinte der andere mit Schlösschen? Sicher nichts in diesem Dorf. Eine Ahnung machte sich in ihr breit und sie zwang sich, genauer hinzuhören.

      »Mag sein, trotzdem ist meine Schwester zu gut für dich. Abgesehen davon, dass sie sowieso noch nie Interesse an dir gezeigt hat und es nie tun wird.«

      »Das denkst du vielleicht. Wenn du wüsstest, was sie mir in deiner Abwesenheit für lüsterne Blicke ...« Es folgte ein Schmerzensschrei und lautes Fluchen. Hoffentlich hatte er ihn gut getroffen.

      Nun schaltete sich auch der dritte wieder ein und Lively schaffte es nicht mehr, das Stimmengewirr auseinanderzuhalten.

      »Liv?«

      Sie zuckte zusammen und schaute zu Jack, der mit seiner Hand vor ihren Augen herum wedelte.

      »Was?«, fragte sie barsch.

      »Bist du noch bei mir? Du hast dein Essen nicht angerührt.«

      Wortlos beugte sich Lively über den Teller und schaufelte die Suppe in sich hinein. Sie schmeckte nach kaum mehr als Wasser, nur die winzigen Klöße verbreiteten etwas Aroma. Die drei Männer hinter ihr scherzten weiter und sie filterte die Informationen, die sie gerade bekommen hatte: Irgendwo in der Nähe dieses Dorfes musste es eine Art Anwesen geben, in dem Adrian und seine Schwester wohnten.

      Lively hatte keine Ahnung, ob und in welcher Weise ihr das noch nützlich sein würde, aber sie gab die Hoffnung nicht auf. Dieses Dorf war nicht sehr groß, es gab nicht annähernd so viele Einwohner wie in der Stadt, in der sie lebten – es konnte also eigentlich jeder in diese Geschichte verstrickt sein, über die sich Aileen so vehement zu reden weigerte. Außerdem war da immer noch dieses merkwürdige Ziehen in ihr.

      Sie hörte hinter sich Stühlerücken und warf einen schnellen Blick über die Schulter. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung, als sie sah, dass sich tatsächlich Adrian erhob, seinen Begleitern zunickte und sich auf den Weg zur Tür machte, wahrscheinlich, um sich zu erleichtern.

      »Ich bin gleich wieder da«, zischte sie Jack zu. Ihr Bruder hob eine Augenbraue, fragte jedoch nicht nach. Sie würde ihm später alles erklären.

      Lively wartete noch ein paar Sekunden, damit es nicht allzu auffällig war, und ging dann zur Tür und nach draußen.

      Kalter Wind schlug ihr entgegen und sie verfluchte sich dafür, den Mantel drinnen gelassen zu haben. Suchend sah sie sich um und erkannte Adrian, der gerade um eine Ecke verschwand.

      Sie atmete die klirrende Luft tief ein und lief ihm nach. Es lag Schnee in der Luft. Vor der Ecke bremste sie ab, umrundete sie dann und stieß fast mit Adrian zusammen, der mit verschränkten Armen auf sie wartete.

      Langsam hob er eine Augenbraue, bis sie unter seinen unordentlichen Haaren verschwand. »Verfolgst du mich?« Sein Kiefer bewegte sich hin und her.

      »Ja«, antwortete Lively. Es gab Situationen, in denen auch Lügen nichts mehr half.

      Schweigen. Adrians Augen glitten forschend an ihr hinab und augenscheinlich versuchte er, sich daran zu erinnern, woher er sie kennen konnte. Als er einige Sekunden länger auf ihrer Oberweite verharrte, fragte er sich vermutlich, ob sie schon eine Liebschaft miteinander gehabt hatten.

      »Du kennst mich nicht.«

      Adrian verzog keine Miene. Er sah ihr in die Augen und sein Blick war so intensiv, dass ihr ein Schauer den Rücken hinablief. »Und was willst du dann von mir?« Er nickte nach hinten. »Eigentlich hatte ich hier draußen etwas anderes vor als zu plaudern.«

      »Ich will nicht plaudern«, sagte Lively, ohne auf seine erste Frage einzugehen. »Ich wollte dich fragen, wer du bist. Und was das für ein Schlösschen ist, von dem deine Kumpanen geredet haben.«

      Adrian sah sie sichtlich irritiert an. Zu recht, wenn man bedachte, wie wenig feinfühlig sie gerade vorgeprescht war. »Bist du irgendeine Verrückte?«, fragte er.

      »Wie man es nimmt.« Lively legte den Kopf schief, lächelte und kam einen weiteren Schritt auf ihn zu. »Also?«

      Die Maske der Irritation in seinem Gesicht löste sich auf und er lachte laut auf. Ein Schauer lief über Livelys Rücken und kurz war sie stolz, dass sie es war, der dieses Lachen galt. Ihre Mundwinkel hoben sich, jedoch kaum so, dass er es sehen konnte. Vielleicht musste sie das Spiel etwas anpassen, wenn sie noch zu einem Ergebnis kommen wollte. Sie brauchte nur ein nachvollziehbares Anliegen.

      »Wir sind im Auftrag eines großen Verlagshauses unterwegs und sammeln Sagen und Legenden aus Nordengland.«

      »Meine Familie ist zugezogen. Wir interessieren uns nicht für Geschichten, die die Dorfbewohner erzählen.«

      »Aber bei einem Bier wird natürlich nicht geplaudert?«

      Adrians Mundwinkel verzogen