Lena Knodt

Blackwood


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und das ist meine Schwester Lively. Wir sind auf der Durchreise und wollten unsere Verwandte besuchen.«

      Der Straßenkehrer wandte den Blick nicht ab. Es dauerte einige Sekunden, bis er antwortete und seine Stimme klang zögerlich. »Ihr seid fast da. Die Straße runter und das letzte Haus auf der Ecke.« Er klappte den Mund noch einmal auf, als wolle er etwas hinzufügen, doch dann schloss er ihn schnell wieder. Er gab ein merkwürdiges Grunzen von sich und wandte ihnen demonstrativ den Rücken zu.

      »Warum hast du ihm unseren Namen verraten?«, zischte Lively ihm zu, als sie nebeneinander die Straße hinabgingen.

      »Warum sollte ich nicht? Ich weiß nicht, wo dein Misstrauen herkommt. Wir tun doch nichts Verbotenes.«

      Lively schnaubte, sagte aber nichts mehr. Als sie das Dorf fast ganz durchquert hatten, kamen sie in einen Teil, in dem die Häuser hochwertiger wirkten als im Rest der Ortschaft. Das beschriebene Haus war von einer niedrigen Steinmauer umgeben und besaß sogar einen kleinen Vorgarten. Es sah gepflegt aus, die Hecken waren vor kurzem geschnitten worden und einzelne Zweige lagen noch auf der Wiese. Es hatte zwei Stockwerke und Efeu rankte an der Tür vorbei bis unters Dach.

      Jack atmete tief ein und trat durch die Lücke in der Steinmauer. Er versuchte, einen Blick durch die kleinen Fenster zu werfen, aber sie waren nicht erleuchtet. Seite an Seite standen sie vor dem Türsturz. Niemand traute sich, eine Hand zu heben und zu klopfen.

      »Du«, sagte Lively bestimmt.

      »Wieso ich? Das war deine Idee«, gab er zurück, doch sie ignorierte ihn und starrte weiter geradeaus gegen das Holz. Rechts neben der Tür stand eine alte Holzkiste mit Essensresten – Kartoffelschalen wahrscheinlich.

      Jack warf seiner Schwester noch einen giftigen Blick zu, dann räusperte er sich, hob die Hand und klopfte dreimal fest gegen das Holz.

      Erst begegnete ihnen nichts als Stille. Dann hörten sie Stimmen und ein Rumpeln. Kurz darauf ein weinendes Kind. Jack musterte Lively, doch die hob die Schultern, ohne seinen Blick zu erwidern. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet.

      Die Stimmen schwollen an, dann polterte jemand näher und die Tür wurde aufgerissen.

      Eine Frau stand im Rahmen, ein paar Jahre älter als sie, und trug ein schreiendes Kind im Arm. Ihre Schürze war schmutzig, genauso wie ihre Hände. Rhythmisch wippte sie mit der Hüfte auf und ab, bis das Kind mitten im Schrei innehielt und nur noch ein leises Wimmern von sich gab.

      »Wer seid ihr?«, fragte sie und musterte sie mit scharfem Blick. Auch wenn der Rest ihres Gesichtes müde wirkte, ihre Augen waren es nicht.

      »Ich bin Jack und das ist meine Schwester Lively. Es tut uns leid, Sie zu stören, aber wir suchen nach einer gewissen Mrs Blackwood. Edith Blackwood.«

      Die junge Frau blickte sie einige Sekunden durchdringend an, ihre Pupillen weiteten sich fast unmerklich. »Da muss ich Sie enttäuschen. Mrs Blackwood ist schon vor einigen Jahren verstorben.«

      Jack fluchte innerlich. »Aber Sie haben sie gekannt?«

      Die Frau nickte nur und musterte sie weiter mit scharfem Blick. Das Kind auf ihren Armen kam langsam zur Ruhe und drückte den kleinen Kopf in die rötlich-braunen Locken seiner Mutter. »Meine Mutter hat für sie gearbeitet. Mrs Blackwood hat bis zu ihrem Tod in diesem Haus gelebt.«

      »Wann ist sie gestorben?«, fragte Jack.

      Die Frau warf ungeduldig einen Blick ins Hausinnere. »Vor einigen Jahren. Kann ich Ihnen sonst irgendwie weiterhelfen?«

      Jack räusperte sich wieder, um die Sekunden zu überspielen, die er dafür brauchte, seine Frage korrekt zu formulieren. »War ihnen dann auch ein gewisser Ezra Blackwood bekannt?«

      Augenblicklich erstarrte die Frau in ihrer Bewegung, worauf das Kind wieder zu schreien anfing. Sie würdigte es diesmal jedoch keines Blickes. »Ezra Blackwood ist ebenfalls tot. Wieso wollt ihr das wissen?« Langsam schaute sie von Jack zu Lively und dann wieder zu Jack.

      Er tauschte einen Blick mit seiner Schwester, die ihm zunickte. »Wir haben vor kurzem erfahren, dass Ezra Blackwood unser Vater ist.«

      »Nein«, flüsterte sie. Schnell warf sie einen Blick die Straße hinauf und wieder hinab. »Kommt mit ins Haus«, sagte sie schnell und wich dann zurück in den Türeingang.

      Jack folgte ihr und auch Lively zögerte nicht. Einen Bruchteil einer Sekunde glaubte er sogar, ein winziges Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen.

      Die Frau schlug die Tür hinter ihnen mit unnötiger Härte ins Schloss.

      »Aileen, wer ist das?«, fragte eine dunkle Männerstimme und Jack wirbelte herum. Ein bärtiger Mann, nicht sonderlich groß, aber mit umso breiteren Schultern, kam ihnen durch den Flur entgegen.

      »Erkläre ich dir später«, schnitt ihm die junge Frau, Aileen, das Wort ab, drückte ihm das immer noch schreiende Kind in den Arm und führte Jack mit einem entschuldigenden Lächeln weiter.

      Er duckte sich unter den bohrenden Blicken des Mannes und folgte Aileen in ein Zimmer zu ihrer Rechten. Hinter Lively schloss sie die Tür und ging mit schnellen Schritten zu den Vorhängen, um sie zuzuziehen.

      Das diesige Licht des Raumes enthüllte, was Jack niemals hier erwartet hätte: wandhohe Regale voller Bücher. Ungeordnet und bis zur Unkenntlichkeit verstaubt zwar, aber zweifelsohne eine Sammlung von hohem Wert.

      Eine alte Ledergarnitur stand in der Mitte des Raumes und Aileen ließ sich mit einem Seufzen darauf nieder. Jack warf seiner Schwester einen unsicheren Blick zu, doch die stellte ihren Koffer ab und setzte sich bereits der fremden Frau gegenüber.

      »Wie lauteten eure Namen?«, fragte Aileen, noch bevor Jack ganz Platz genommen hatte.

      »Lively«, erwiderte seine Schwester. »Und das ist Jack.«

      »Und ihr seid ...« Auf einmal klang Aileens Stimme nicht mehr ganz so kraftvoll. Auch ihr Blick ließ nach. Sie schien nach Worten zu suchen, die sie nicht fand.

      » Die Kinder von Ezra Blackwood. Auch wenn wir es selbst erst kaum einen Tag lang wissen.« Lively lehnte sich vor, stützte ihre Ellbogen auf die Knie und das Kinn auf die Hände. Sie musterte Aileen eindringlich.

      Die junge Fremde lachte auf. Es begann klein, doch nach wenigen Sekunden warf sie ihren Kopf zurück und das Lachen ließ ihren ganzen Brustkorb erbeben. »Ich kann es nicht glauben«, flüsterte sie. »Obwohl es vorauszusehen war, dass ihr eines Tages auftauchen würdet, habe ich immer gehofft, dass ihr es nicht tun würdet.«

      »Wieso das?«

      Jack hätte Aileen gerne mehr Zeit gegeben und gewartet, dass sie von sich aus erzählte. Doch das entsprach in keiner Weise dem Vorgehen, das seine Schwester pflegte.

      »Die Kinder von Ezra Blackwood.« Aileen verengte die Augen. »Ihr solltet mit dem Namen Blackwood auf den Straßen von Westingate nicht hausieren gehen.«

      »Was meinen Sie?« Nun wagte sich auch Jack vor. »Sie müssen wissen, meine Schwester und ich haben keinerlei Informationen über unsere Familie. Deswegen sind wir hier. Wir hoffen, etwas mehr zu erfahren. Vielleicht weitere Verwandte zu treffen.«

      »Da muss ich euch leider enttäuschen. Ihr seid die einzigen beiden, die noch den Namen Blackwood tragen.«

      Ein Stich durchfuhr Jacks Brust und hinterließ eine merkwürdige Leere.

      »Und Edith Blackwood?«

      »Sie war eure Großmutter. Ezras Mutter.«

      Jack schluckte. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte und schaute Lively an.

      »Woran ist unser Vater gestorben?«, fragte sie, als hätte sie nur auf ihren Einsatz gewartet.

      Aileen wich ihrem Blick aus und schaute auf ihre Hände. »Ich fühlte mich nicht wie die Person, die euch das erzählen sollte.«

      »Wer dann? Zu wem können wir gehen?«, fragte Jack schnell, bevor Lively auf sie einreden konnte.

      Langsam