Lena Knodt

Blackwood


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Nonne lächelte ihr milde zu, griff nach der Kanne und goss den Tee in drei Becher. Danach brachte sie sie zum Tisch. Skeptisch betrachtete Jack die Brühe in dem Gefäß vor ihm, hob es hoch und roch probehalber daran. Nebenbei sah er, wie sich Lively wieder über den Tisch und in die Richtung von Schwester Josepha vorbeugte. Dieser Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.

      »Und nun ist das Haus leergeräumt? All die Möbel, die Bücher ... die Akten?«

      Fassungslos starrte Jack sie an und bemerkte erst nach wenigen Sekunden, dass sein Mund offenstand. Wie dreist konnte man sein? Er blickte zu Schwester Josepha, die jedoch von Livelys offensichtlichen Hintergedanken nichts mitbekommen zu haben schien.

      »Sie haben alles mitgenommen.« Schwester Josepha nickte bestätigend. »Alles, was sich noch zu Geld machen lässt.« Nachdenklich nahm sie einen Schluck Tee. »Die Akten holen sie in den Abendstunden ab. Ich muss sie noch in Kisten packen.« Bei diesen Worten schüttelte sie den Kopf.

      »Nur die Akten der aktuellen Kinder oder auch der ehemaligen?«

      Jack legte den Kopf schief, verengte die Augen und fixierte seine Schwester, die ihn jedoch geflissentlich ignorierte. Wieso wollte sie die Akten haben? Was erhoffte sie darin zu finden? Eine Dokumentation über all die Streiche, für die sie im Kinderheim bestraft worden war?

      »Alle Akten«, antwortete Josepha. »Ich bin mir aber sicher, dass sie die alten verbrennen werden. Was kümmert sie meine jahrelange Arbeit und Sorgfalt?«

      Jack hob den Becher an seine Lippen und nippte an der heißen Flüssigkeit. Sie schmecke nicht so schlecht, wie er Josephas Kräutervariationen im Gedächtnis gehabt hatte. Er fixierte seine Schwester. Noch wusste er nicht ganz, was sie im Schilde führte, aber er würde es sicherlich bald herausfinden.

      »So ein Ärger. Diese verdammten Kirchenbeamten ...« Lively schüttele übertrieben empört den Kopf, doch Schwester Josepha verengte die Augen und fixierte sie.

      Sie schwieg einige Sekunden, dann hoben sich ihre Mundwinkel. Ihre Stimme war fast beängstigend ruhig. »Es tut mir leid, Liebes. Aber ich werde euch eure Akten nicht geben.« Sie neigte den Kopf wie zur Bestätigung und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem eigenen Becher.

      Einige Sekunden lang starrte Lively die Frau ertappt an. Verdammt, sie war so kurz davor. Sie spürte es einfach. »Wieso nicht? Es würde niemandem auffallen.«

      »Sie sind nicht für eure Augen bestimmt.«

      Lively schnaubte und richtete sich auf. In ihr brodelte es und die Nonne sollte sich lieber in Acht nehmen. Sie wollte diese Akten, sie waren der verdammte Grund, wieso sie hierhergekommen war. Also würde sie sie bekommen. »Schwester Josepha, ich bitte Sie. Es ist fünf Jahre her, dass wir dieses Heim verlassen haben. Wir werden verkraften, was Sie über uns vermerkt haben.«

      Der Blick in Josephas verengten Augen traf ihren. Er war so kalt und berechnend, dass sie selbst kurz erschauderte. Wie hatte sie sich nur einbilden können, diese Frau zu täuschen? Sie kannte sie besser als die meisten anderen.

      »Ich weiß, dass es die Informationen über eure Herkunft sind, auf die du aus bist.«

      Ein Anflug von Triumph wallte in ihr auf. Sie schlug mit einer Hand flach auf den Tisch. »Ich wusste es! Es gibt doch welche.« Tee schwappte über den Rand ihres Bechers und spitzte auf ihre Hand. Sie zog sie zurück und ignorierte den Schmerz. »Sie haben uns immer gesagt, dass über unsere Eltern nichts bekannt war.«

      Josepha schnaubte. »Das sagen wir jedem.«

      Lively spürte, wie Hitze ihren Hals hinaufkroch. Sie zog die Hand auf dem Tisch zitternd in eine Faust. Wenn diese Frau ihr nicht bald …

      »Lively«, sagte Jack beruhigend. Ihr Blick zuckte kurz zu ihm, aber sie beachtete ihn nicht weiter.

      »Wir haben ein Recht darauf, zu erfahren, wo wir herkommen.«

      »Vielleicht habt ihr das.« Josepha ließ sich von Livelys Wut nicht aus der Ruhe bringen. »Doch es gibt Bestimmungen, an die ich mich halten muss.«

      Das reichte! Lively sprang auf und krachend landete der Stuhl hinter ihr auf dem Boden. »Nach allem, was sie Ihnen angetan haben, halten Sie eher zu diesen Bürokraten als zu uns? Sie haben uns aufgezogen! Sie kennen uns besser als die meisten. Und das ist Ihnen nichts wert?«

      Josepha schnaubte. »Ich bin nicht eure Mutter. Aber was viel wichtiger ist: Ich weiß, dass euch die Erkenntnis nicht glücklich machen wird. Ihr habt es über zwei Jahrzehnte ohne eure Eltern geschafft. Wenn ihr jetzt in eurer Vergangenheit grabt, kann das Dinge hervorbringen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Manches bleibt lieber im Verborgenen.«

      »Aber es ist unsere Entscheidung!«, rief Lively aufgebracht. Es gelang ihr nicht mehr, die Verzweiflung aus ihrer Stimme fernzuhalten.

      »Ja.« Jack streckte seine Hand aus und umfasste ihre. Nun wandte sie ihm doch den Blick zu. »Es ist unsere Entscheidung. Nicht deine allein.«

      Fassungslos starrte Lively ihn an. Sie war so nah, so verdammt nah und jetzt war es Jack, der sich ihr in den Weg stellte? Ihr eigener Bruder? Dabei hatte sie die Akte doch nicht nur für sich, sondern für sie beide haben wollen. Forschend glitt ihr Blick über sein Gesicht. War er denn gar nicht neugierig? Sie spürte, dass seine Finger zitterten. Er hatte Angst. Trotzdem hätte er sich nicht so gegen sie stellen müssen.

      Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte Jacks Griff ab. Dann schaute sie wieder zu Josepha. Vielleicht war noch nicht alles verloren. »Wollen Sie ihnen nicht eins auswischen? Der Kirche meine ich. Wie viele Jahre haben Sie für sie gearbeitet und nun treten sie Sie mit Füßen. Wenn eine Akte fehlt, werden sie das kaum merken. Aber es wäre eine stille Rebellion.« Sie wartete nicht, bis Josepha antwortete, sondern überquerte den Schritt, der sie trennte und umfasste die Hand der alten Nonne.

      »Schwester Josepha«, sprach sie so eindringlich, dass sie sich nicht sicher war, ob es albern wirkte. »Wir sind erwachsen. Wir haben das Recht, selbst zu entscheiden, was mit unseren Leben geschieht. Sie sind nicht mehr die Kinderheimmutter, die ihre schützende Hand über uns halten muss. Wir sind frei. Und bevor Sie ins Exil geschickt werden, kann es Ihre letzte Tat sein, uns ein komplett freies Leben zu ermöglichen.« Lively lächelte und versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen, während sie ihren Kopf weiter nach Argumenten durchsuchte, die die Nonne überzeugen konnten. »Wie heißt es noch gleich in der Bibel?«, fragte sie. »Man soll Vater und Mutter ehren. Wie sollen wir das tun, wenn wir noch nicht einmal wissen, wer sie sind - oder wer sie waren?«

      Josepha lachte trocken auf. »Wie ehrenhaft, Lively. Dabei hatte ich nie den Eindruck, du hättest der heiligen Mutter Kirche viel Aufmerksamkeit geschenkt. Schön, dass sich das in den letzten Jahren geändert hat.« Sie streifte Livelys Hände ab und erhob sich, um ihre Tassen einzusammeln. »Also gut«, sagte sie plötzlich. »Ihr bekommt die Akte.«

      »Was?«, fragten Jack und Lively wie aus einem Mund. Sie konnte sich den Anflug eines Grinsens nicht verkneifen, auch wenn sie sah, dass sich in Jacks Gesicht das Gegenteil von ihrer Begeisterung spiegelte. Oder gerade deswegen.

      »Unter einer Bedingung«, ergänzte die Nonne schnell.

      Lively stöhnte auf, verdrehte die Augen und ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. Das wäre ja auch zu einfach gewesen. »Was sollen wir tun? Unsere erstgeborenen Kinder der Kirche opfern?«

      »Sarkasmus steht dir immer noch nicht«, entgegnete Josepha trocken. »Nichts dergleichen. Aber dein Bruder hat recht. Es geht nicht nur dich etwas an, mein Kind, sondern auch ihn. Ihr werdet die Akte bekommen, wenn ihr beide zustimmt. Vor heute Abend natürlich, denn da wird sie wie all die anderen abgeholt. Danach habe ich mit diesem Kinderheim abgeschlossen.«

      Lively schaute von Schwester Josepha zu ihrem Bruder, der mit überschlagenem Bein am Tisch saß und nachdenklich an die gegenüberliegende Wand starrte. Er sah blass aus.

      »Ich