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Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten


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vom Erlebnis der Religionskämpfe und von B.s Toleranzvorstellungen geprägt ist. Neuartig sind auch die Aufgaben, die B. dem Souverän zuweist: „Wer … souverän sein soll … muß in der Lage sein, den Untertanen das Gesetz vorzuschreiben, unzweckmäßige Gesetze aufzuheben oder für ungültig zu erklären und durch neue zu ersetzen“. B. bricht hier mit der mittelalterlichen Vorstellung, daß das Recht dem Herrscher im wesentlichen vorgegeben ist und seine Aufgabe nur in der Rechtsprechung besteht.

      Trotz dieser bahnbrechenden Lehren ist B. allerdings in anderen Punkten noch weit von den modernen Vorstellungen entfernt. Obwohl „legibus solutus“, ist der Herrscher für ihn doch – entsprechend der überkommenen Auffassung – an die göttlichen und natürlichen Gesetze gebunden, und selbstverständlich auch an die von ihm eingegangenen Verträge und die Fundamentalgesetze. Vor allem hat die Gesetzgebung für B. nicht annähernd die Bedeutung wie im modernen Gesetzgebungsstaat: Gesetze sollen möglichst nicht geändert, neue nur bei evidenter Notwendigkeit eingeführt werden. Das alte Recht ist nach Möglichkeit zu bewahren. Gegen eine stark vereinheitlichende Gesetzgebung spricht auch, daß nach B. das Recht dem Volkscharakter angepaßt sein soll, der sich besonders aus den jeweiligen klimatischen Verhältnissen ergibt. Anknüpfend an antike Vorstellungen entwirft B. auf der Basis seines unglaublich umfassenden historisch-ethnologischen Wissens Grundlinien einer Theorie über den Zusammenhang zwischen Klima, Volkscharakter und Recht – einer Lehre, die dann von → MontesquieuMontesquieu, Charles de Secondat, Baron de la Brède et de M. (1689–1755) aufgegriffen und zu einem späten Höhepunkt geführt wird und die seitdem in konservativen Rechtstheorien fortlebt. Vormodern ist auch B.s Stellungnahme zur Entstehung des Staates, denn anders als später etwa bei → AlthusiusAlthusius, Johannes (1557–1638) und den Naturrechtlern (→ LockeLocke, John (1632–1704), → PufendorfPufendorf, Samuel (1632–1694)) hat bei ihm die Theorie von der vertraglichen Entstehung des Staates und damit der Volkssouveränität keinen Platz. Die absolute Monarchie ist für ihn die vorzugswürdige Regierungsform.

      |77|B.s Werk hatte schon im 16. Jahrhundert ungeheuren Erfolg. Bis 1600 erschienen 18 Ausgaben der französischen Urfassung und vier der lateinischen Version von 1586, hinzu kamen – gleichfalls noch im 16. Jahrhundert – Übersetzungen ins Italienische, Spanische und Deutsche. In Deutschland wurde die Souveränitätslehre sofort rezipiert. Ihre Übertragung auf die deutschen Verhältnisse stieß allerdings auf Schwierigkeiten, da hier die Frage nach dem Träger der (Organ-) Souveränität angesichts der verzwickten Kompetenzverteilung auf Kaiser und Reichsstände und des bundesstaatlichen Charakters des Reichs nicht leicht zu beantworten war (→ ArumäusArumaeus, Dominicus (1579–1637), → LimnäusLimnäus, Johannes (1592–1663),ReinkingkReinkingk, Dietrich (1590–1664)). Hier zeigen sich wohl zum ersten Mal die Probleme, die sich aus der bei B. noch fehlenden Unterscheidung zwischen Organ- und Staatssouveränität ergeben.

      Weitere bedeutende Werke B.s sind die „Methodus ad facilem historiarum cognitionem“ von 1566 und die „Juris universi distributio“ von 1578. Die „Methodus“ ist eine eigenartige Mischung aus vergleichender Staatengeschichte und Geschichtstheorie, wobei B. in einigen Punkten zum Vorläufer der modernen Geschichtsmethodik wird. In der Vorrede zur „Methodus“ entwirft B. den Plan einer systematischen Gesamtdarstellung des Rechts. Er greift damit die in seiner Zeit verbreitete und für das 16. Jahrhundert charakteristische Tendenz zu einer – von der quellenmäßigen Ordnung unabhängigen – Systematisierung des Rechts (→ DonellusDonellus, Hugo (Doneau, Hugues) (1527–1591)) auf. Über die meisten seiner Zeitgenossen hinausgehend will sich B. dabei aber nicht auf das römische Recht beschränken, sondern alle bekannten Rechte aller Völker einbeziehen. Die „Six livres de la République“ führen diesen Plan in gewisser Weise für das Staatsrecht aus, das Gesamtsystem skizziert B. dann in der „Juris universi distributio“. Mit seiner im 16. Jahrhundert neuartigen universalrechtlichen Methode ist B. auch zu einem Vorläufer des weltlichen Naturrechts (→ GrotiusGrotius, Hugo (Huig de Groot) (1583–1645)), vor allem aber zu einem wichtigen Anreger der Rechtsvergleichung geworden.

      Hauptwerke: Methodus ad facilem historiarum cognitionem, 1566. – Les six livres de la République, 1576, zahlr. weit. Aufl.; lateinisch: De republica libri sex, 1586, zahlr. weit. Aufl.; moderne dt. Übers.: Sechs Bücher über den Staat, 2 Bde., 1981/86, von B. Wimmer, eingel. und hrsg. v. P.C. Mayer-Tasch. – Iuris universi distributio, 1578.

      Literatur: H. Baudrillart: Jean Bodin et son temps, 1853 (Ndr. 1964). – F. Berber: Das Staatsideal im Wandel der Weltgeschichte, 21978, 203ff. – R. Chauviré: Jean Bodin auteur de la République, 1914 (Ndr. 1969). – M.-D. Couzinet: Jean Bodin, 2001. – Dies.: Histoire et méthode à la renaissance: une lecture de la Methodus |78|ad facilem historiarum cognitionem de Jean Bodin, 1996. – M. Chrom Jacobsen: Jean Bodin et le dilemme de la philosophie politique moderne, 2000. – D. Damler: Harmonie und Melodie im Staatsdenken der Neuzeit, in: FS f. Jan Schröder, 2013, 609–632. – J. Dennert: Ursprung und Begriff der Souveränität, 1964. – B. Dennewitz: Machiavelli, Bodin, Hobbes, 1948. – A. Deppisch: Die Religion in den Werken von Jean Bodin und Michel de Montaigne. Ein Vergleich, 2015. – L. Foisneau: Politique, droit et théologie chez Bodin, Grotius et Hobbes, 1997. – E.-M. Fournol: Bodin procédésseur de Montesquieu, 1896 (Ndr. 1970). – J.H. Franklin: Jean Bodin and the sixteenth-century revolution in the methodology of law and history, 1963. – Ders.: Jean Bodin and the Rise of Absolutist Theory, 1973. – Ders. (Hrsg.): Jean Bodin, 2006. – S. Goyard-Fabre: Jean Bodin et le droit de la république, 1989. – G.-E. Guhrauer: Das Heptaplomeron des J. Bodin, 1941 (Ndr. 1971). – M. Imboden: Johannes Bodinus und die Souveränitätslehre, 1963. – D.R. Kelley: History, law and the human sciences, 1984, VIII. – P. King: The ideology of order: a comparative analysis of Jean Bodin and Thomas Hobbes, 1999. – D. Klippel: Staat und Souveränität VI.–VIII., in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck: Geschichtl. Grundbegriffe 6 (1990), 98ff. – H.A. Lloyd: The reception of Bodin, Leiden 2013. – P.C. Mayer-Tasch: Jean Bodin: eine Einführung in sein Leben, sein Werk und seine Wirkung, 2000, 22011 (mit Bibliographie 1800–2010). – M. Philipp (Hrsg:): Debatten um die Souveränität, 2016. – H. Quaritsch: Staat und Souveränität, 1970. – N. Rosin: Souveränität zwischen Macht und Recht: Probleme der Lehren politischer Souveränität in der frühen Neuzeit am Beispiel von Machiavelli, Bodin und Hobbes, 2003. – M. Scattola: Diritto medioevale e scienza politica moderna nella dottrina della sovranità di Jean Bodin, in: Ius commune 26 (1999), 165–209. – R. Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts, 1962. – J. Schröder: Zur Vorgeschichte der Volksgeistlehre, in ZRG (GA) 109 (1992), 1ff. – J.-F. Spitz: Bodin et la souveraineté, 1998. – G. Treffer: Jean Bodin, 1977. – E. Voegelin: Jean Bodin, 2003. – T. Wahnbaeck: Die Reaktion der Kurie auf die Begründung des Absolutismus: Fabio Albergati versus Jean Bodin, in: Zeitschrift für historische Forschung 26 (1999), 245–267. – Y.C. Zarka: Jean Bodin: nature, histoire, droit et politique, 1996. – G. Zecchini (Hrsg.): Storici antichi e storici moderni nella „Methodus“ di Jean Bodin, Milano 2012. – Dict.Hist., 120–122 (D. Quaglioni). – HRG² I (2008), 628f. (T.Gergen). – Jur., 90–92 (U. Speck). – Jur.Univ. II, 241–244 (J.A. Muñoz Arnau). – StL 1 (71985), 861–863 (R. Schnur). Bibliographie: H. Denzer in: Jean Bodin. Verh. der int. Bodin-Tagung in München, 1973; P.C. Mayer-Tasch (s.o.).

      K. Stapelfeldt/S.

       [Zum Inhalt]

      |79|Justus Henning BöhmerBöhmer, Justus Henning (1674–1749)

      (1674–1749)

      Geb. am 29.1.1674 in Hannover, gest. am 23.8.1749 in Halle. Vater Advokat. 1693–1695