vorrangig die Rechtsbindung staatlichen Finanzhandelns ein.
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Sowohl bei der Vereinnahmung, als auch bei der Verwaltung und der Verausgabung staatlicher Finanzmittel besteht eine prinzipiell uneingeschränkte (Grund-)Rechtsbindung. Insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz steht hier im Vordergrund und verwirklicht das Prinzip der Lastengleichheit. Die verfassungsrechtsdogmatisch höchst strittige Frage ist, ob aus den Grundrechten auch Grenzen für die Höhe der Steuerbelastung folgen bzw. wie hier die Balance zwischen politischer Dezision und Rechtsbindung zu tarieren ist. Aufgrund des weitgehenden Fehlens korrigierender Marktmechanismen bis hin zum rechtlichen Ausschluss der Staatsinsolvenz stellt sich die Frage, wieweit Rechtsmaßstäbe – etwa der Wirtschaftlichkeit oder der Sparsamkeit – hier kompensatorische Wirkung entfalten. Vermehrt wird die Frage aufzuwerfen sein, inwieweit hier institutionelle, d.h. staatsorganisatorische Arrangements im Mehrebenensystem eine Lücke füllen können[108].
1. Rechtsstaatliche Vorgaben für die Abgabenerhebung
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Sämtliche Abgaben unterliegen dem Vorbehalt des Gesetzes, denn bei ihrer Auferlegung handelt es sich um Freiheitseingriffe[109]. Das gilt für Steuern und führt zum sog. Steuergesetzesvorbehalt; es gilt jedoch für jegliche Abgabe, d.h. auch für Gebühren, Beiträge, Sonderabgaben und sonstige Abgaben einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge und der Rundfunkgebühr. Da somit stets zumindest ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG vorliegt, besteht für jeden Eingriff durch Abgaben die Klagebefugnis des Belasteten bzw. Verpflichteten – sei es im Verwaltungs- (§ 42 Abs. 2 VwGO), sei es im Finanzrechtsweg (§ 33 FGO); auch die Beschwerdebefugnis für eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht oder – soweit vorgesehen – zu einem Landesverfassungsgericht ist damit gegeben.
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Der Steuer- bzw. Abgabengesetzesvorbehalt gehört zu den „Urformen“ der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes: „No taxation without representation“ war ein Kampfruf des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes, der im konstitutionellen Staatsrecht domestiziert zu der Forderung mutierte, dass jeder „Eingriff in Freiheit und Eigentum“ für das Handeln der (monarchischen) (Finanz-)Verwaltung einer formalgesetzlichen Grundlage bedarf. Der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes findet seinen Ursprung u.a. im Steuergesetzesvorbehalt[110]. In der deutschen Verfassungsgeschichte suchten die Volksvertretungen im Lauf des 19. Jh. zunehmend auch Einfluss auf die Ausgabenseite des staatlichen Finanzgeschehens, d.h. auf den Haushalt zu gewinnen. Dadurch hätten sie Einfluss auf die nach dem konstitutionellen Dualismus allein dem Monarchen verantwortlichen Exekutiven erhalten[111]. Dadurch, dass das in den Volksvertretungen repräsentierte steuerzahlende Bürgertum jeglicher Steuererhebung- bzw. -erhöhung zustimmen musste, war – ohne dass es auf inhaltliche verfassungsrechtliche Vorgaben ankam – gesichert, die Finanzlasten zu mäßigen und gleichheitsgerecht zu verteilen[112].
Unter dem Grundgesetz wurde seit der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der steuerliche Gesetzesvorbehalt als Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung ausgeformt. Er bringt als bereichsspezifische Ausprägung der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes für das Steuerrecht die besondere Gesetzesgebundenheit dieses Regelungsbereichs auf den Begriff[113]. „Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordert, dass steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuer vorausberechnen kann.“[114] Bei der Anwendung dieses Grundsatzes auf mehrstufige Rechtsetzungsvorgänge, d.h. bei der Delegation von Steuerrechtsetzungsbefugnissen, sind Modifikationen anzubringen. Das Bundesverfassungsgericht lehnt einen zwingenden gesetzesförmlichen Gesetzesvorbehalt (Parlamentsvorbehalt), der die Delegation der Regelung von Abgaben verbieten würde, ab[115]. Die entscheidende Frage ist dann, welche Elemente des Steuertatbestands von der formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage geregelt werden müssen und welche der untergesetzlichen Normstufe überlassen bleiben dürfen.
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Das Bundesverfassungsgericht kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen und Wertungen, je nachdem, um welche Form untergesetzlicher Steuerrechtsetzung es sich handelt: um Rechtsverordnungen oder um autonome Satzungen. Im Bereich der Steuerrechtsetzung mittels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage und ausführender Rechtsverordnung, d.h. im Bereich der Rechtsetzung durch die Exekutive als Ausfluss des Prinzips der Dekonzentration der Staatsgewalt[116], steht mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ein spezieller verfassungsrechtlicher Maßstab zur Verfügung, der entsprechend strenge Anforderungen an die Bestimmtheit der formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage stellt: „Ein Gesetz, das eine Steuer einführt und es dem Verordnungsgeber überlässt, das für sie Wesentliche zu bestimmen, verstößt gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich, dass die Ermächtigung an den Verordnungsgeber so bestimmt sein muss, dass schon aus ihr und nicht erst aus der auf sie gestützten Verordnung erkennbar und vorhersehbar sein muss, was von dem Bürger gefordert werden kann.“[117] Deutlich geringere Anforderungen werden von dem Gericht an Ermächtigungsgrundlagen für Abgabensatzungen, d.h. für den Bereich der Steuerrechtsetzung, der dem staatsrechtlichen Prinzip der Dezentralisation[118] folgt, gestellt. In den Entscheidungen zur Kirchensteuer- bzw. Kirchgelderhebung in Hamburg aus den Jahren 1965[119] und 1986[120] umreißt das Gericht die Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage, nachdem es die Anwendbarkeit des Maßstabs aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG für die Rechtsetzung mittels autonomer Satzungen abgelehnt hat[121]: „Dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, der als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordert, dass steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann . . ., wird durch entsprechend detaillierte kirchliche Regelungen Genüge getan.“[122]
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Die kommunale Selbstverwaltung lässt sich in deutlicher Abgrenzung zur funktionalen Selbstverwaltung als Ausdruck demokratischer Partizipation und demokratischer Rückbindung von Verwaltung verstehen. Kommunen sind Teile des Staates, üben selbst demokratisch legitimierte Staatsgewalt aus. Das Gemeindevolk ist ein Ausschnitt aus dem Staatsvolk. Die im Facharzt-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts[123] scharfsichtig diagnostizierten Gefahren, die aus der in der funktionalen Selbstverwaltung institutionalisierten Partizipation der Betroffenen resultieren, gelten für die kommunale Selbstverwaltung grundsätzlich nicht. Diese Einordnung hat Rückwirkungen auf das Verhältnis von formell-gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage und ausführender Satzung in den gestuften Rechtsgrundlagen für die Abgabenerhebung von Selbstverwaltungskörperschaften. Im Bereich der kommunalen Abgaben, vorzugsweise der kommunalen Steuern, sind an die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage keine zu großen Anforderungen zu stellen[124]. Hier ist ausnahmsweise eine im Übrigen stets mit Vorsicht zu behandelnde „Legitimationskompensation“ möglich: Da Parlamentsgesetz und kommunale Satzung letztlich auf der gleichen demokratischen Legitimationsgrundlage beruhen, können Bestimmtheitsdefizite der formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage durch die ausführende und konkretisierende kommunale Satzung teilweise ersetzt werden[125]. Erst die „Zusammenschau“ von Gesetz und Satzung bietet dem Bürger gegenüber die rechtliche Grundlage für die Abgabenerhebung durch die Gemeinde. Dies ist wegen der anders gearteten Legitimationsstruktur weder im Verhältnis zwischen Gesetz und Rechtsverordnung, noch zwischen Gesetz und Satzungen im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung verfassungsgemäß. Die Elemente des Steuertatbestands müssen sich demnach nicht aus dem Parlamentsgesetz selbst ergeben[126]. Der Gesetzgeber darf jedoch selbstverständlich konkretere Anforderungen im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG treffen, nur muss er es nicht[127]. Die zu leistende Aufgabe besteht in der Entwicklung einer „kommunalspezifischen Regelungsdichte“ der Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass von