Senat)[156] bzw. zwischen der Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen Rückanknüpfung (Zweiter Senat)[157]. Diese Unterscheidung hat Auswirkung auf die verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen.
Die echte Rückwirkung ist von Verfassungs wegen grundsätzlich unzulässig und nur dann ausnahmsweise hinzunehmen, wenn der Betroffene mit ihr rechnen musste, die bisherige Rechtslage unklar und verworren war und die Rückwirkung diese Unklarheit aufhebt, wenn eine nichtige Norm bzw. eine Norm, an deren Verfassungsmäßigkeit ernsthafte Zweifel bestehen, durch eine rechtmäßige ersetzt wird, wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls das Gebot der Rechtssicherheit überwiegen oder wenn es sich um eine Bagatelle handelt[158]. Eine solche echte Rückwirkung liegt vor, wenn die Rechtsfolge einer Norm „mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll“[159].
Eine unechte Rückwirkung hingegen liegt vor, wenn die rechtliche Regelung einen Sachverhalt betrifft, der zwar in der Vergangenheit begonnen hat, jedoch noch in die Gegenwart hineinragt (Erster Senat)[160] bzw. wenn die rechtliche Regelung künftige Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig macht (Zweiter Senat)[161]. Solche unechten Rückwirkungen sind grundsätzlich zulässig, müssen aber einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten, wobei das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand der Rechtslage gegen das öffentliche Interesse an einer Neuregelung abzuwägen ist.
Die Terminologie des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts überwindet manche Unschärfe, insbesondere des Begriffs der unechten Rückwirkung, korrespondiert in der Sache freilich weitgehend mit der Unterscheidung des Ersten Senats[162]. Mittlerweile benutzt der Zweite Senat sogar in jüngeren Entscheidungen beide Terminologien parallel[163]. Von Anfang an sollte klar sein, dass die Abgrenzung, ob ein Sachverhalt abgeschlossen ist oder nicht, kaum formal-logisch entschieden werden kann, sondern stets eine durch die Rechtsordnung angeleitete Wertung erfordert.
Bis heute nicht geklärt ist die dogmatische Herleitung des Rückwirkungsverbots[164]. Das Bundesverfassungsgericht stützte sich in seiner Rechtsprechung sowohl auf die im Rechtsstaatsprinzip als auch in den Grundrechten wurzelnde Prinzipien des Vertrauensschutzes sowie der Rechtssicherheit.[165] Die zeitweise differenzierende Begründung[166] der echten Rückwirkung (primär anhand des Rechtsstaatsprinzips) und der unechte Rückwirkung (primär anhand der Grundrechte) hat das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung wieder aufgegeben[167]. Herrschend wird das Rückwirkungsverbot zwar subjektiv-rechtlich begründet.[168] Dass aber bereits ein abstraktes Vertrauen in die objektive Geltung von Gesetzen geschützt ist und es nicht zwingend eines subjektiven, konkreten Vertrauens bedarf, hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem KAGG-Beschluss deutlich gemacht.[169]
Im Abgabenrecht stellt sich das Problem der Rückwirkung insbesondere bei periodisch erhobenen Abgaben. Das Bundesverfassungsgericht qualifiziert eine Gesetzesänderung vor Ablauf des Veranlagungszeitraums als unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung. Denn nach § 38 AO (etwa i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG) entsteht der Steueranspruch erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, sodass der durch die Regelung berührte Sachverhalt noch nicht abgeschlossen ist[170]. Dieser formale Ansatz wird der Realität im Steuerrecht jedoch nicht stets gerecht. Denn der Steuerpflichtige hat seine Dispositionen – insbesondere Investitionen – im Vertrauen auf den Fortbestand des in dem betreffenden Jahr geltenden Steuerrechts bereits getroffen, so dass die Qualifikation als unechte Rückwirkung dem Sinn und Zweck des Rückwirkungsverbots, Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zu schaffen, nicht gerecht wird[171]. Folglich wird im Steuerrecht seit langem ein sogenannter dispositionsbezogener Ansatz vertreten.[172]
Das Bundesverfassungsgericht scheint die Kritik der Literatur aufgenommen zu haben und hat seine Rückwirkungsdogmatik im steuerlichen Bereich neu justiert. Zwar hält das Gericht auf Tatbestandsebene an seiner überkommenen Differenzierung der echten und unechten Rückwirkung fest[173], auf Rechtsfolgenseite hat es jedoch die Rechtfertigungsanforderungen für eine unechte Rückwirkung erheblich verschärft[174]. Rückwirkende Regelungen innerhalb eines Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums stünden „in vielerlei Hinsicht den Fällen echter Rückwirkung nahe“ und unterlägen ähnlichen „gesteigerten Anforderungen“[175]. Das Gericht fordert nunmehr eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung[176]. Erster sowie Zweiter Senat sehen die unechte Rückwirkung nunmehr als „nicht grundsätzlich unzulässig“ an[177]. Sie deuten damit eine Umkehr der Argumentationslast an, sodass nunmehr der Staat darlegen muss, warum das staatliche Interesse an der rückwirkenden Gesetzesänderung den Vertrauensschutz des Bürgers überwiegt.[178] Kirchhof spricht von einem Schutz verfestigter Rechtspositionen, den das Bundesverfassungsgericht anstrebe. Gewähre das Gesetz dem Bürger eine gefestigte Rechtsposition, so sei eine rückwirkende Gesetzesänderung grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig, außer es liege eine der bereits oben erwähnten Fallgruppen[179] fehlenden Vertrauensschutzes vor.[180] Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend in seiner Entscheidung zur Fünftel-Regelung für außerordentliche Einkünfte (§ 34 EStG) die rückwirkende Belastung von Einkommen, das vor Inkrafttreten der Neuregelung vereinbart und zugeflossen und damit bereits zu individuell erworbenen Eigentum, d.h. einer gefestigten Rechtsposition geworden ist, als verfassungswidrig angesehen.[181]
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Nach dieser neuen Rechtsprechung sind Lenkungsabgaben, die den Bürger/das Unternehmen zu einem bestimmten Verhalten motivieren, als Maßnahmen mit „exemptorischem Charakter“ zu werten, sodass der Vertrauensschutz entgegen der früheren Rechtsprechung eher gering ist[182].
2. Grundrechtliche Vorgaben für die Abgabenerhebung
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Abgaben-/Steuerverfassungsrecht meint die Anwendung des gesamten Verfassungsrechts auf die Ausgestaltung der Abgabenerhebung bzw. Besteuerung in allen ihren Phasen, d.h. bei der Abgabenrechtsetzung, bei der Abgabenerhebung und bei der gerichtlichen Kontrolle der Auflage von Abgaben. Sie tritt ergänzend zur steuerlichen Kompetenzordnung der bundesstaatlichen Finanzverfassung hinzu. „Maßstab der Besteuerung sind nicht abstrakte steuerpolitische Ideale, sondern die im Grundgesetz normierten Gerechtigkeitsanforderungen.“[183] Das Steuerverfassungsrecht dirigiert die Steuergesetzgebung, die Steuererhebung und damit auch die Steuerrechtsprechung[184]; auch Nebenaspekte wie die Indienstnahme Privater, etwa des Arbeitgebers im Lohnsteuerverfahren, müssen sich insofern rechtfertigen[185]. Das Grundgesetz kennt – im Gegensatz zur überkommenen deutschen Verfassungstradition[186] – kein ausdrückliches Steuerverfassungsrecht. Im Zuge der Rationalisierung der Verfassungstexte sind die expliziten steuerspezifischen Besonderheiten, die noch bis in die Weimarer Reichsverfassung mit ihrem Art. 134 Verfassungstexte prägten, eliminiert. Geradezu gegenläufig kann bei der Anwendung der Maßstäbe eine kontinuierliche Effektuierung feststellt werden[187]. Die Maßstäbe dieses „ungeschriebenen Finanzrechts des Grundgesetzes“[188] sind einmal die Grundrechte, zum anderen rechts- und sozialstaatliche Postulate. Bei den grundrechtlichen Maßstäben können gleichheits- und freiheitsrechtliche Anforderungen an die Steuererhebung unterschieden werden. Sowohl in historischer wie auch in aktueller Perspektive ist die steuerliche Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes der zentrale Prüfungsmaßstab. Wie zu zeigen sein wird, können gleichheits- und freiheitsrechtliche Anforderungen jedoch nicht mehr strikt getrennt werden, sie überlagern und beeinflussen sich speziell im Steuerverfassungsrecht gegenseitig[189]. Die verfassungsrechtliche Ausrichtung der Steuer erweist sich dann als zentrales Element der Steuerrechtfertigung[190].
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Bei allem Respekt vor der Sachlogik des einfachen Rechts, bei allem Eigenstand des einfachrechtlichen Finanzrechts muss konstatiert werden: „Alle grundlegenden Entscheidungen über Anlage und Ausgestaltung eines Steuersystems sind Verfassungsentscheidungen.“[191] Die dogmatische Durchdringung des einfachrechtlichen Steuerrechts vollzog sich historisch parallel zur Behandlung steuerverfassungsrechtlicher Maßstäbe. Anders als etwa in dem Verhältnis zwischen Zivilrecht und Verfassungsrecht bestanden und bestehen hier von vornherein ganz andere Wechselwirkungen[192].