Bei der Einräumung staatsbürgerlicher Rechte, z.B. durch Art. 33 Abs. 1 GG, ist ein weitgehend formales Gleichheitsprinzip zu beachten. Die genannte Vorschrift bezieht sich auf „Rechte und Pflichten“. Ähnliches gilt im Bereich der Steuerpflicht, die eine strenge Beachtung gleichheitsrechtlicher Maßstäbe verlangt. Diese Folgerung knüpft an den Gleichklang von Steuerpflicht und Steuergleichheit in den Bestimmungen des konstitutionellen Staatsrechts an: Bei den schärfsten und nachhaltigsten Eingriffen in Rechtspositionen des Einzelnen, die durch entsprechende staatsbürgerliche Pflichten abgesichert waren – Wehr- und Steuerpflicht – , konnten großzügige Differenzierungsmaßstäbe nicht hingenommen werden[243].
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Infolge der weitgehend leer laufenden freiheitsrechtlichen Kontrolle von Steuergesetzen, stellt der Grundsatz der Systemgerechtigkeit – oftmals als Folgerichtigkeitsgebot bezeichnet[244] – ein wichtiges Instrument für den verfassungsrechtlichen Zugriff auf steuerrechtliche Regelungen dar[245]. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der überwiegende Teil der Literatur[246] erblicken im Topos der Systemgerechtigkeit einen die Prüfung des Gleichheitssatzes effektuierenden und operationalisierenden Grundsatz[247]: Der Gesetzgeber sei aus Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet, die einmal getroffene „Belastungsgrundentscheidung“, das System, folgerichtig weiter zu entwickeln. Dabei kommt dem Grundsatz der Systemgerechtigkeit auf verschiedenen Ebenen des Gleichheitssatzes Bedeutung zu: Zum einen wird bereits im Rahmen der Feststellung einer (Un-)Gleichbehandlung mit der Vergleichsgruppenbildung durch das System argumentiert[248], zum anderen wird die Relevanz von Systemgerechtigkeit insbesondere für die Stufe der Rechtfertigung diskutiert.[249] Dabei besteht hinsichtlich letzterer Funktion innerhalb der Rechtsprechung kein einheitliches Bild darüber, ob Systemgerechtigkeit letztlich gar keine verschärften Rechtfertigungsanforderungen auslöst[250], eine Indizwirkung für den Gleichheitsverstoß besitzt[251] oder tatsächlich einen strengeren Rechtfertigungsstandard begründet[252].
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Der relativ sorglose Einsatz des Topos der Systemgerechtigkeit gerade im Steuerrecht begegnet aber auch zunehmenden Bedenken[253]. Dabei wird zunächst die „Voraussetzungslosigkeit“ in der Annahme bindungsauslösender Systeme kritisiert, liegt in der Identifizierung (des Inhalts) der relevanten „Grundkonzepte“ doch eine entscheidende Weichenstellung für die Anwendung des Grundsatzes[254]. Daneben wird eine Öffnung der dogmatischen Strukturen des Gleichheitssatzes für eine systemspezifische Konkretisierung teilweise abgelehnt[255]. Schließlich werden Zweifel an den Forderungen nach Systemgerechtigkeit infolge der kritischen Auswirkungen des Postulats auf die Normstufenlehre, das Demokratieprinzip und die Gewaltenteilung laut[256].
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Diese Einwände gegen übermäßiges Konsequenzdenken spiegeln sich zuletzt auch in der wechselhaften Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beachtlichkeit von Systemen im Steuerrecht wieder: In der Entscheidung zur steuerlichen Abzugsfähigkeit der Wegekosten (Pendlerpauschale) wurde am Beispiel des objektiven Nettoprinzips streng mit Systemgerechtigkeit argumentiert und das Vorliegen besonderer sachlicher Gründe zur Durchbrechung der legislativen Grundentscheidung verlangt[257]. Im Urteil zur steuerlichen Anerkennung von gewinnmindernden Jubiläumsrückstellungen agiert das Gericht dagegen sehr zurückhaltend in der Ableitung systemkonstituierender Grundwertungen aus den handelsrechtlichen Bilanzvorgaben für das Steuerrecht[258]. Die Rolle des Grundsatzes der Systemgerechtigkeit in der zukünftigen Rechtsprechung des Gerichts bleibt damit abzuwarten.
b) Verfassungsrechtliche Schranken der Höhe der Abgabenbelastung
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Während nichtsteuerliche Abgaben verfassungsrechtliche Begrenzungen ihrer Höhe in sich tragen, stellt sich die Frage entsprechender Grenzen im Steuerrecht verschärft. Steuergerechtigkeit wird üblicherweise als Verteilungsgerechtigkeit und damit als Gleichheitsproblem verstanden[259]. Dabei wird jedoch übersehen, dass auch die Höhe der Belastung als vertikale Dimension der Steuergerechtigkeit i.w.S. relevant ist. Im steuerverfassungsrechtlichen Bereich steigert sich das Problem noch dadurch, dass regelmäßig nur einzelne Steuern betrachtet werden, die kumulative Steuerbelastung im Vielsteuersystem der deutschen Rechtsordnung unterbelichtet bleibt[260]. Bis in die Gegenwart fortwirkend hat hier die These Ernst Forsthoffs, da der Steuerstaat den Rechts- mit dem Sozialstaat verbinde, sei eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Höhe der Steuerbelastung nicht möglich[261], eine dogmatische Auseinandersetzung jenseits politischer Vorverständnisse behindert und eine „Immunisierung“[262] der Eigentumsgarantie gegenüber Besteuerungsvorgängen befördert, obgleich historisch kein Zweifel daran bestand, dass die Besteuerung einen Eigentumseingriff darstellt[263]. Nicht erklärt werden konnte mit diesem Postulat, warum in dem qualitativ wie quantitativ neben dem Polizeirecht wichtigsten Bereich der Eingriffsverwaltung der Grundrechtsschutz wenn nicht ausgeschlossen, so doch entscheidend eingeschränkt sein solle. Entgegen den Annahmen von Forsthoff stellt dies nicht die Verwirklichung, sondern eine kaum zu begründende Ausnahme von Rechtsstaatlichkeit, nämlich von Rechtsbindung dar[264].
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Nachdem bereits früh in Abgrenzung zu einem weiteren einflussreichen Missverständnis Forsthoffs[265] geklärt werden konnte, dass Besteuerung verfassungsrechtlich niemals Enteignung sein kann[266], war die Rechtsprechung des Gerichts – und ist diejenige des Ersten Senats bis in die Gegenwart[267] – geprägt durch die logisch nur schwer nachzuvollziehende Feststellung, dass die Auferlegung öffentlicher Abgaben grundsätzlich die Eigentumsgarantie schon tatbestandlich nicht berühre[268], dieses Grundrecht aber verletzt sei, wenn der Pflichtige übermäßig belastet und dadurch seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigt werden, die Abgabe also erdrosselnde Wirkung besitze[269]. Außerhalb konsistenter Grundrechtsdogmatik[270] wurde und wird so die Berührung des Schutzbereichs an die Verletzung des Grundrechts gekoppelt, die Frage der tatbestandlichen Einschlägigkeit mit der Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs vermengt.
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Diese Konsequenz vermied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zur Vermögensbesteuerung nach Einheitswerten[271]. Der Senat knüpft an ein Vorverständnis der Eigentumsgarantie an, welches jenseits substanzhafter Eigentumsvorstellungen und damit auch unter Umgehung der Frage nach dem eigentumsrechtlichen Schutz des „Vermögens als solchem“ Eigentum im Sinne eines Handlungsspielraums aus den dem Eigentümer zustehenden Vermögenswerten auffasst[272]. Angesichts des Versagens der überkommenen grundrechtlichen Schranken-Schranken wird im Wege einer quantifizierten verfassungsrechtlichen Grenze judiziert, dass die Gesamtsteuerbelastung – im konkreten Fall bezogen auf die kumulativen Wirkungen von Vermögen- und Einkommensteuer – „bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe der hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand“ verbleiben solle. Dieser sog. steuerrechtliche Halbteilungsgrundsatz[273], der vom Ersten Senat niemals akzeptiert wurde, ist inzwischen auch vom Zweiten Senat aufgegeben worden[274]. An seine Stelle soll der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit treten; eine abwägend-dynamische Schranken-Schranke der Eigentumsgarantie soll den strikten Zahlenwert ersetzen und damit zugleich den politischen Gestaltungsspielraum des Steuergesetzgebers hinsichtlich der Höhe der Steuerbelastung vergrößern.
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Es gehörte zu den gesicherten Erkenntnissen der Grundrechtsdogmatik, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich des Fiskalzwecks von Steuergesetzen nicht möglich sei. Der Zweck-Mittel-Relation des Übermaßverbots fehle das abwägungstaugliche Ziel, da der Fiskalzweck als solcher „maßlos“ sei[275]. Zu Recht wurde ganz überwiegend[276] der Versuchung widerstanden, die konkret zu finanzierenden Staatsaufgaben für diese Abwägung heranzuziehen. Dies würde nicht nur der finanzverfassungsrechtlichen Grundentscheidung der Trennung von Einnahmen und Ausgaben widersprechen, sondern stellte letztlich wohl einen weit stärkeren Übergriff in den Politikbereich der Legislative dar, als