heraus. Die Allgemeinheit dieser Feststellung ist allerdings inzwischen für steuerrechtliche Ausnahmetatbestände, die etwa die Umgehung bestimmter steuerlicher Regelungen verhindern sollen und damit einen abwägungsfähigen Zweck umzusetzen suchen, relativiert worden[277]; für Lenkungszwecke von Steuern galt er nie, da der Sachzweck – ganz ähnlich wie etwa im Recht der Gefahrenabwehr – ein abwägungstaugliches Ziel darstellt[278].
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Ist der Schutzbereich der Eigentumsfreiheitsgarantie des Art. 14 GG thematisch einschlägig und vermag der sog. Halbteilungsgrundsatz allenfalls in Sondersituationen als effektive Schranken-Schranke zu wirken, stellt sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines durch die Auferlegung einer Steuer oder sonstigen Abgabe bewirkten Eingriffs neu: Sofern und soweit der Weg der Quantifizierung versperrt ist, bleibt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als relevantes verfassungsrechtliches Widerlager[279]. Die Formulierung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums in Art. 14 Abs. 2 GG deutet auf eine wertend-abwägende Bestimmung der Grenze hin[280]; andere Textstellen des Grundgesetzes wie Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 Alt. 2 GG[281] verdeutlichen, dass eine übermäßige Steuerbelastung einen Verfassungsverstoß darstellt. In seinem Beschluss vom 18. Januar 2006 hat der Zweite Senat eine Art abgeschwächte oder eingeschränkte Verhältnismäßigkeitsprüfung kreiert[282]: Der Fiskalzweck sei hinsichtlich der Geeignetheit und der Erforderlichkeit kein tauglicher Abwägungsgesichtspunkt, wohl aber die Verhältnismäßigkeit i.e.S., d.h. die Angemessenheit des Steuereingriffs[283]. Wie dies geschehen soll und ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in dieser Weise aufspaltbar ist, harrt der Konkretisierung[284]. Zur Identifizierung einer besonders hohen und damit besonders rechtfertigungsbedürftigen Steuerbelastung soll (auch) der internationale Belastungsvergleich dienen. Vor dem Verdikt der Übermäßigkeit und damit Verfassungswidrigkeit steht noch eine Darlegungspflicht des Gesetzgebers zur Rechtfertigung dieser Last. Auch hier zeigt sich – wie so oft in neueren Judikaten[285] – die Tendenz, durch Darlegungspflichten des Gesetzgebers entweder die bei isolierter Prüfung des Gesetzes womöglich drohende Verfassungswidrigkeit abzuwehren bzw. durch die vom Gesetzgeber dargelegten Begründungen Argumente und Ansatzpunkte für eine Abwägung zu erhalten. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit dieser neue Ansatz tragfähig ist.
Elftes Kapitel Haushalts- und Abgabenrecht › § 67 Abgabenrecht › C. Steuerrecht
I. Steuerbegriff
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Der Begriff der Steuer erweist sich eher aus typologischer und funktioneller, denn inhaltlicher Perspektive als mehrdimensional[286]. Neben den Kategorien eines finanzwissenschaftlichen und staatstheoretischen Steuerbegriffs, können hauptsächlich der einfachrechtliche und der verfassungsrechtliche Steuerbegriff unterschieden werden, wobei mit dieser Einteilung kaum sachliche Differenzen verbunden sind, sondern jedenfalls über den Kern des Steuerbegriffs weitgehend Einigkeit herrscht[287]. Es wird sogar ganz überwiegend davon ausgegangen, dass die gegenwärtige Fassung des einfachrechtlichen Steuerbegriffs in § 3 AO den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff zutreffend abbildet[288].
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Dennoch ist die Bestimmung des Verhältnisses des einfachrechtlichen zum grundgesetzlichen Steuerbegriff nicht unproblematisch, da funktionelle Unterschiede zwischen diesen beiden bestehen. Im einfachgesetzlichen Kontext kommt dem Steuerbegriff insbesondere eine Bedeutung für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Abgabenordnung (§ 1 AO), des Zuständigkeitsbereichs der Finanzbehörden sowie der Art des Rechtsschutzes (Einspruch nach §§ 347 ff. AO, Finanzrechtsweg nach § 33 FGO) zu[289]. Die Notwendigkeit der Identifizierung eines spezifisch verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs ergibt sich vor allem aus der Bedeutung der Steuer als Hauptfinanzierungsmittel im Staat des Grundgesetzes (Prinzip des Steuerstaates)[290] und aus der Problematik der unterschiedlichen kompetenziellen Grundlagen für Steuern (Art. 105 f. GG) und für die von den Steuern abzugrenzenden sonstigen Abgabenarten (Sachkompetenztitel der Art. 70 ff. GG)[291].
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Ausgangspunkt bei der Gewinnung dieses verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs ist aber – nicht zuletzt aufgrund des Fehlens einer ausdrücklichen Begriffsbestimmung im Grundgesetz – der einfachrechtliche Steuerbegriff[292]. Der Verfassungsgeber des Grundgesetzes hat den auf Otto Mayer[293] zurückgehenden, von Enno Becker in § 1 der Reichsabgabenordnung von 1919 eingefügten und seit langem dauerhaft etablierten Steuerbegriff im Staats- und Verwaltungsrecht vorgefunden. Nach dieser nunmehr in § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AO enthaltenen (und inhaltlich unveränderten)[294] einfachgesetzlichen Definition sind Steuern „Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft“. Diese einfachgesetzliche Definition kann auch als „Ausdruck eines allgemein anerkannten Steuer-Grundbegriffs des Grundgesetzes“[295] bezeichnet werden. Dennoch erschöpft sich der verfassungsrechtliche Steuerbegriff nicht in einer uneingeschränkten Rezeption der einfachrechtlichen Vorgaben. Einer vollständigen Identität[296] beider Steuerbegriffe steht bereits der Vorrang der Verfassung entgegen[297]. Bei der Gewinnung eines verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs sind grundlegende Funktionsunterschiede gegenüber dem einfachen Recht zu beachten[298]. Bezieht sich Letzteres allein auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, muss ein verfassungsrechtlicher Steuerbegriff auch den „Funktionszusammenhang der bundesstaatlichen Finanzverfassung“ und die wirtschafts- wie gesellschaftspolitischen Aufgaben moderner Steuergesetzgebung reflektieren[299]. Die wesentliche und unverzichtbare Funktion des verfassungsrechtlichen Steuerwesens ist die Deckung des Finanzbedarfs für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben, wobei die Verwirklichung außerfiskalischer Ziele nicht von vornherein ausgeschlossen ist[300]. § 3 Abs. 1 AO bietet dabei nicht mehr – aber auch nicht weniger – als eine zentrale Auslegungshilfe für den grundgesetzlichen Begriffsinhalt der Steuer[301].
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Vor dem Hintergrund der einfachrechtlichen Definition des § 3 AO ist der Steuerbegriff daher wie folgt zu definieren: Steuern sind
1. | einmalige oder laufende Geldleistungen, Dieses Merkmal dient auch der Unterscheidung zu Sachschulden oder Dienstpflichten gegenüber dem Staat wie etwa Wehrdienst, Schöffenpflicht, Baulasten oder Anzeigepflichten. Zu den Zahlungsmodalitäten vgl. §§ 224 ff. AO. |
2. | die dem Leistenden von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen hoheitlich auferlegt sind, Aus dem Wortlaut des § 3 AO („Tatbestand“) sowie den Vorgaben des Art. 3 GG ergibt sich, dass die Auferlegung durch Gesetz im materiellen Sinne erfolgen muss. Keine Steuern sind daher freiwillige Leistungen oder vertraglich übernommene Verpflichtungen. |
3. | die an den Bund, die Länder, die Gemeinden bzw. Gemeindeverbände oder die öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgesellschaften fließen, Der einfachrechtliche Steuerbegriff bleibt hier allerdings undeutlich[302]. Vgl. hingegen Art. 106, 107, 140 GG i.V.m. 137 Abs. 6 WRV. Zwangsgeldleistungen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts können nach geltendem Verfassungsrecht nicht als Steuern auferlegt werden. |
4. |
die zur Deckung des Finanzbedarfs für die öffentlichen Aufgaben, und somit nicht ausschließlich zum Ausgleich von Lasten
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