des Leistungsfähigkeitsprinzips als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab im konkreten Fall. Der Konkretisierung im Wege abstrakter Deduktion zur Entfaltung des Prinzips sind Grenzen gesetzt; losgelöst von konkreten Einzelfragen lässt sich das Prinzip – und hier erweist sich der Prinzipiencharakter gerade – nur bis zu einem gewissen Grad entfalten[216]. Den Erstzugriff bei der Konkretisierung hat der Steuergesetzgeber. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle und die steuerdogmatische Interpretation müssen die vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidungen ernst nehmen. Für das Einkommensteuergesetz bedeutet dies die Anknüpfung an das Einkommen der einzelnen natürlichen Person als gesetzgeberischer Grundentscheidung[217].
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Die personale Ausrichtung der gleichheitsverfassungsrechtlichen Grundlage, d.h. der Bezug auf den Menschen – wie er in der „neuen Formel“ des Bundesverfassungsgerichts anklingt – impliziert die Ausrichtung des Leistungsfähigkeitsprinzips als auf den Einzelnen bezogene Fähigkeit zur Steuerzahlung. Noch vor der Zusammenführung von gleichheitsrechtlichen und freiheitsrechtlichen Fundamenten von Steuergerechtigkeit und leistungsfähigkeitsgerechter Besteuerung postulieren diese Verfassungsprinzipien somit eine „menschengerechte“, d.h. bedarfsgerechte Besteuerung[218]. Als vergleichsweise pauschale Folgerung sind zunächst das Verbot von Kopfsteuern oder ein weitgehend durchgeführtes, konkretes (Einzelfall-)Äquivalenzprinzip festzuhalten. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass auf die je einzelne Person bezogene individuelle Bedarfe von Verfassungs wegen zu berücksichtigen sind. Die Gleichheitsprüfung ist hier strikt. Demgegenüber könnten Ungleichbehandlungen, die nicht diesen intensiven personalen Bezug aufweisen, also etwa tarifliche Unterscheidungen, an einem weniger strikten Gleichheitsmaßstab überprüft werden. Die Sachlogik einer mathematischen Formel lässt in diesem Bereich des (Einkommen-)Steuertatbestands eine der klassischen Willkürprüfung angenäherte Prüfungsdichte ausreichen[219]. Aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip kann kein konkreter Tarifverlauf hergeleitet werden, insbesondere auch nicht der progressive Einkommensteuertarif[220]. Das Prinzip allein dürfte zur Begründung nicht ausreichen; ein progressiver Einkommensteuertarif widerspricht jedoch nicht dem Prinzip der Besteuerung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wird von ihm aber auch nicht zwingend gefordert[221]. In jedem Fall wären ein degressiver Tarifverlauf oder willkürliche „Tarifsprünge“ nicht zulässig.
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Die durch das Leistungsfähigkeitsprinzip gesteuerte Gleichheitsprüfung ist in vertikaler wie in horizontaler Richtung vorzunehmen. Die vertikale Steuergleichheit fordert die Rechtfertigung der unterschiedlichen Besteuerung von Einkommen unterschiedlicher Leistungsfähigkeit; in horizontaler Richtung ist zu gewährleisten, dass gleich hohe Einkommen gleich hoch besteuert werden[222]. „Horizontale“ und „vertikale“ Steuergerechtigkeit/-gleichheit sind eng aufeinander bezogen, dürfen aber nicht vermengt werden, weil Fehler bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage eine falsche tarifliche Belastungsentscheidung zur Folge haben[223].
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Das heutige Verständnis von Steuergerechtigkeit wird durch die Verfassungsentscheidung für einen sozialen Rechtsstaat grundlegend vorbestimmt[224]. Das Grundgesetz setzt den Sozialstaat als Steuerstaat voraus und begründet auf diese Weise eine unmittelbare Abhängigkeit der Leistungsfähigkeit des Staates von der Leistungsfähigkeit seiner Bürger[225]. Die damit angesprochenen Zusammenhänge sind mit der Verknüpfung von sozialstaatlichem Geben und steuerstaatlichem Nehmen nur ansatzweise beschrieben. Sie sind, über die monetäre Verbindung hinaus, Ausdruck einer die individuelle Freiheit sichernden Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft. Die den Steuerstaat konstituierende Trennung von Staat und Gesellschaft/Wirtschaft bei gleichzeitiger staatlicher Beteiligung am privatwirtschaftlichen Ertrag ist Voraussetzung für die Verwirklichung individueller Freiheit[226]. Das Grundgesetz schützt diese Freiheit nicht durch die Normierung einer verpflichtenden Wirtschaftsverfassung, sondern durch konkrete Freiheitsgrundrechte[227]. Hier kommt an erster Stelle die Eigentumsfreiheitsgarantie des Art. 14 GG in den Argumentationszusammenhang von leistungsfähigkeitsgerechter Besteuerung. Durch die Anknüpfung der steuerlichen Belastung an das Ergebnis eines freiwilligen Erwerbs erweist sich das Leistungsfähigkeitsprinzip im Steuerstaat des Grundgesetzes als freiheitsschonendes Besteuerungsprinzip[228]. Es stellt grundsätzlich nicht auf eine potentielle Soll-Leistungsfähigkeit des Einzelnen ab, sondern begnügt sich mit der Erfassung der tatsächlichen, d.h. der Ist-Leistungsfähigkeit. Ein wie auch immer gearteter Arbeitszwang wird nicht ausgeübt.
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Als Fähigkeit zur Steuerzahlung berücksichtigt das Leistungsfähigkeitsprinzip in differenzierter Form die Umstände, unter denen die Erwerbsfreiheit betätigt wurde. Zwar bleibt ohne steuerliche Auswirkung, was in Form von mehr oder weniger großer individueller Erwerbsanstrengung nicht ohne weiteres in Geld beziffert und zuverlässig bewertet werden kann, doch werden die monetären Grundbedingungen der Erwerbs- und Existenzfreiheit im theoretischen Idealfall umfassend geschont[229]. Für das Einkommensteuerrecht folgen aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem derart umrissenen steuerstaatlichen Prinzip Konkretisierungen für die verschiedenen Elemente des Einkommensteuertatbestands. Diese sind in erster Linie auf die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer bezogen. Die logische Folge, dass Entlastungswirkungen dann bei hoher Steuerprogression größer ausfallen als im unteren Bereich des Einkommensteuertarifs, ist systemimmanent und durch das Gebot horizontaler Steuergleichheit auch geboten. Sie kann nicht durch vermeintlich „sozialpolitisch“ motivierte Argumente relativiert werden.
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In seiner Ausprägung als objektives Nettoprinzip nimmt das Leistungsfähigkeitsprinzip für die Einkommensteuer diejenigen Aufwendungen von der steuerlichen Belastung aus, die für den Erwerb und für die Sicherung der Einkommensquelle erforderlich sind[230]. In § 2 Abs. 2 EStG hat es insofern seine einfachgesetzliche Verwirklichung gefunden, als dass Einkünfte nur Reineinkünfte sind, d.h. der Gewinn bzw. der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Durchbrechungen dieses Prinzips bedürfen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung[231]. Angesichts der (Einkommens-)Besteuerung als Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 2 GG und angesichts der steuerstaatlichen Prämissen kann nur das am „Markt“ erzielte[232], „disponible“ Einkommen[233] dem staatlichen Steuerzugriff unterliegen. Dies impliziert zugleich das bereits erwähnte objektive Nettoprinzip, d.h. Aufwendungen, die der Erwerbsermöglichung oder der Erwerbssicherung dienen, dürfen nicht der Einkommensbesteuerung unterliegen[234].
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Maßgebend für das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist nicht irgendeine, sondern die konkrete, d.h. individuelle Ist-Leistungsfähigkeit des Adressaten eines Steuergesetzes[235]. Dies kann als „Individualkomponente des Leistungsfähigkeitsprinzips“ bezeichnet werden[236]. Ideal verwirklicht ist dieser Gedanke in der Einkommensteuer als Personensteuer, welche die natürliche Person als Bezugspunkt und Steuersubjekt zugrunde legt und deren persönliche Merkmale berücksichtigt[237]. Deutlich wird dies bei Fragen nach dem steuerlichen Existenzminimum. Die Gleichheitsprüfung mit Hilfe des Leistungsfähigkeitsprinzips erfährt hier ihre konkretisierende Ergänzung durch den freiheitsrechtlichen Maßstab der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG (und ggf. durch das objektiv-rechtlich akzentuierte Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG)[238]. Das subjektive Nettoprinzip fordert die Berücksichtigung auf die Person bezogener unvermeidbarer existenzsichernder Aufwendungen im Rahmen der Bemessungsgrundlage[239]. Im Gegensatz zu den erwerbssichernden Aufwendungen, die im Rahmen des objektiven Nettoprinzips zu berücksichtigen sind, sind Fragen des steuerlichen Existenzminimums mit dem Steuersubjekt der Einkommensteuer verbunden.
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Der Gestaltungs- und Differenzierungsspielraum des Steuergesetzgebers wird zusätzlich dadurch verengt, dass dem Bürger durch die Steuergesetze Pflichten auferlegt werden[240]. Die „Gleichheit der Pflichtenbelastung“ erweist sich somit