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Besonderes Verwaltungsrecht


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die Ratifizierung. Diese sind auf Annahme oder Ablehnung des Vorschlags beschränkt, auch wenn sonstiges (primäres) Unionsrecht zur Annahme zwingen sollte. Erst nach Zustimmung sämtlicher Mitgliedstaaten kann der Beschluss in Kraft treten. Um die nationale Umsetzung nicht zu gefährden, finden sich oftmals Sonderregelungen in den Eigenmittelbeschlüssen[1172].

      Durch das gesamte Verfahren werden die Souveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten im Finanzbereich augenfällig, die aufwendige Prozedur nach Abs. 3 ist als Schutzmechanismus für die mitgliedstaatliche Finanzsouveränität zu deuten[1173]. Es handelt sich bei dem Beschluss nach Art. 311 Abs. 3 AEUV um einen Unionsrechtsakt eigener Art mit der Wirkung primären Unionsrechts[1174], der in der Hierarchie zwar unter den Verträgen, aber über den allein von den Organen verabschiedeten Rechtsakten steht. Mit dem Lissabon Vertrag neu eingeführt wurde die Öffnungsklausel in Abs. 4, deren Reichweite allerdings noch unklar ist; die Anwendung in der Praxis sowie etwaige richterliche Interpretation bleiben abzuwarten[1175].

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      Der Bereich des Steuer- und Abgabenrechts gehört zu den souveränitätssensiblen staatlichen Agenden[1176]. Die Gesetzgebung im Bereich des Steuerrechts stellt ein zentrales Instrument der Politikgestaltung dar[1177]. Dies spiegelt sich auch in der Konzeption des AEUV wider: Zentrale Bereiche wie die Harmonisierung direkter Steuern sind nicht explizit normiert; im Übrigen bestehen weitgehend Einstimmigkeitserfordernisse und sonstige verfahrensrechtliche Restriktionen[1178]. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 4 Abs. 1; 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV, kommt im steuerlichen Bereich voll zum Tragen, die EU kann nur die (wenigen) Befugnisse ausüben, die ihr von den Mitgliedstaaten übertragen worden sind[1179]. Drei Ebenen der Einwirkungen auf das mitgliedstaatliche Abgabenrecht sind zu unterscheiden: Die Harmonisierung von Steuer- bzw. Abgabenrecht, die Einwirkung der Grundfreiheiten/Diskriminierungsverbote und die Einwirkungen des Beihilferechts. Während die Harmonisierung eine Umsetzung in Sekundärrecht verlangt, sind die Grundfreiheiten und die Beihilferegeln grundsätzlich unmittelbar anwendbar. Unterschiede zeigen sich auch in den Wirkungen auf die mitgliedstaatlichen Steuersysteme: Während die Harmonisierung zu identischen oder zumindest angeglichenen abgabenrechtlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten führt, bewirkt die Anwendung der Diskriminierungsverbote bzw. Grundfreiheiten die sog. Inländergleichbehandlung, ist mithin systemschonender[1180].

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      Die Rechtsetzungskompetenzen der EU in Bezug auf Steuern und Abgaben konzentrieren sich im Bereich der Harmonisierung[1181]. Die Art. 110 ff. AEUV sind mit der Intention, das fortwährende Spannungsverhältnis zwischen der Wahrung der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten und dem Ziel eines störungsfrei funktionierenden unionsweiten Binnenmarktes aufzulösen[1182], geschaffen worden. Insofern verfährt der AEUV zweigleisig. Zum einen legen die Art. 110 bis 113 AEUV das Verbot einer Diskriminierung über die Auferlegung selektiver Abgaben fest, zum anderen ermöglichen insbesondere Art. 113, 114 und 115 Abs. 2 AEUV steuerliche Harmonisierung unter den Mitgliedstaaten. Ziel ist die Herstellung grenzüberschreitender steuerlicher Wettbewerbsneutralität im Binnenmarkt[1183]. Art. 110 bis 112 AEUV stellen dabei eine notwendige Ergänzung der Art. 30 und 34 ff. AEUV für den Bereich der Steuern und Abgaben dar[1184].

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      Die beiden Instrumentarien sind prinzipiell selbstständig und unterscheiden sich in Anwendungsbereich und Wirkungsweise. Während die Diskriminierungsverbote unmittelbar[1185] und unbedingt gelten, entfalten sich die Harmonierungsgebote nur mittelbar im Wege eines langwierigen Prozesses[1186].

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      Zentrale Norm, mit der Funktion die steuerliche Harmonisierung in Konkretisierung der Warenverkehrsfreiheit zu flankieren, ist Art. 110 AEUV, wonach ein Verbot abgabenrechtlicher Diskriminierung im grenzüberschreitenden Warenverkehr innerhalb der EU besteht. Spiegelbildlich erfasst Art. 111 AEUV den umgekehrten Fall und verbietet eine Exportförderung inländischer Waren im Wege einer bevorzugenden Steuererstattung. Ergänzend zu den Grundfreiheiten und Zollvorschriften und bestehende Lücken schließend, wird durch diese Normen einer Beeinträchtigung des Warenverkehrs und des Binnenmarktes entgegengewirkt[1187]. Insofern verfolgen Art. 28 ff. und Art. 110 ff. AEUV in sich ergänzender Funktion das Ziel, jegliche innerstaatliche Abgabenerhebung, die geeignet ist, ausländische oder ins Ausland exportierte Waren zu diskriminieren[1188], zu eliminieren. Um die Verwirklichung dieses Zieles zu garantieren, ist der Begriff der Abgaben funktional und möglichst weit zu interpretieren[1189]. Im AEUV findet sich zwar keine Definition des Steuerbegriffs, allerdings herrscht das Verständnis vor, dass hierunter Geldleistungen, die ein steuererhebungsberechtigtes Gemeinwesen zum Zwecke der Erzielung von Einnahmen ohne Gegenleistung von Privatpersonen bzw. Unternehmen erhebt[1190], zu verstehen sind. Gebühren und Beiträge zählen zwar nicht zum Abgabentyp der Steuer, jedoch finden die Art. 110 ff. AUEV auch auf nichtsteuerliche Abgaben Anwendung, wenn diese warenbezogen sind[1191].

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      Der AEUV stellt für eine Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Steuern, d.h. für eine Angleichung in bestimmten, vorgegebenen Korridoren, in Art. 113 für indirekte Steuern und Art. 114 i.V.m. 115 Abs. 2 AEUV für die direkten Steuern entsprechende Werkzeuge bereit[1192]. Steuerharmonisierung ist nicht Selbstzweck, sie ist in die „Hilfs- und Ergänzungsfunktion“ der gesamten Steuerpolitik der Union in Bezug auf die ausdrücklich im Vertrag geregelten Politiken, namentlich der (steuerlichen) Wettbewerbsgleichheit und der Verwirklichung des Binnenmarktes, einzuordnen[1193]. Ein umfassender Harmonisierungsauftrag lässt sich allenfalls für den Bereich der indirekten Steuer herleiten[1194], für das Gebiet der direkten Steuern kann nur auf eine Rechtsangleichung hingearbeitet werden[1195]. Dies ist Ausfluss der wegen der Preiswirksamkeit größeren Binnenmarktrelevanz der indirekten Steuern[1196]. Jeweils stehen entsprechende Richtlinien unter dem Gebot des Einstimmigkeitsprinzips bei der Beschlussfassung des Rates, die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ haben insofern das Heft nicht aus der Hand gegeben.

      aa) Harmonisierung der indirekten Steuern

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      Art. 113 AEUV gibt dem Rat die Befugnis „Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern“ zu erlassen. Bedingung für eine Harmonisierung ist allerdings deren Notwendigkeit für die Erreichung und das Funktionieren des Binnenmarktes und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Die letztgenannte Voraussetzung ist mit dem Lissabon Vertrag neu eingefügt worden, und auch wenn mit dieser Formulierung bzgl. der Harmonisierungsanforderungen keine wesentliche inhaltliche Änderung verbunden ist[1197], dient sie als Beleg dafür, dass die Bedingungen für eine Harmonisierung sich mit der Vertragsänderung nicht vereinfachen sollen. Im Bereich der indirekten Steuern waren die Harmonisierungsbemühungen der Kommission erfolgreich, eine Vielzahl von Steuerarten wurde bereits durch EU Richtlinien vereinheitlicht. Zu nennen sind die Umsatz- bzw. Mehrwertsteuer[1198], die besonderen Verbrauchsteuern für Mineralöl[1199], Alkoholische Getränke[1200] und Tabakwaren[1201], die Gesellschafts- und Börsenumsatzsteuer[1202], die Kraftfahrzeugsteuer[1203] sowie die Versicherungsteuer[1204]. In Diskussion ist seit längerem die Einführung einer Finanztransaktionssteuer[1205]. Dass mit diesen Sekundärrechtsakten eine optimale Binnenmarktkonformität erreicht ist, wird nicht einmal von Optimisten behauptet. Beim unionalen Umsatzsteuersystem soll es sich um eine vorläufige Regelung handeln – ob die politische Kraft und der Wille bestehen, hier die Missstände abzubauen, erscheint jedoch fraglich.

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