Normenhierarchische Einordnung der Grundsatzgesetze nach Art. 109 Abs. 4 GG
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In der Normenhierarchie des Grundgesetzes nimmt die Grundsatzgesetzgebung im Sinne von Art. 109 Abs. 4 GG eine Sonderstellung ein. Sowohl im Verhältnis zum Landesrecht, insbesondere zu den Landeshaushaltsordnungen, wie auch im Verhältnis zu anderweitigen einfachgesetzlichen Parlamentsgesetzen des Bundes, wie insbesondere zur Bundeshaushaltsordnung, sind die auf der Grundlage von Art. 109 Abs. 4 GG erlassenen Grundsatzgesetze vorrangig[213]. Der lex posterior-Grundsatz greift hier, namentlich für Regelungen auf Bundesebene, nicht[214], weil er die normhierarchische Gleichrangigkeit kollidierender Bestimmungen voraussetzt. Normativ begründet ist diese Vorrangigkeit und damit (Selbst-)Bindung auch des Bundesgesetzgebers[215] unmittelbar in der Regelung des Art. 109 Abs. 4 GG[216], soweit diese die Ausgestaltung „gemeinsam geltender Grundsätze“ ermöglicht. Eine „gemeinsame Geltung“ impliziert bei einer Auslegung nach Wortlaut, Telos und Entstehungsgeschichte, dass eine spätere einseitige Loslösung von den Grundsätzen ausgeschlossen sein muss[217]. Ein Verstoß etwa einer Regelung der BHO gegen eine auf Art. 109 Abs. 4 GG gestützte Vorgabe des HGrG ist damit zugleich ein Verstoß gegen Art. 109 Abs. 4 GG und deshalb verfassungswidrig[218].
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Diese Verfassungsinterpretation erübrigt die alternativ angebotenen, zum Teil problembehafteten Ansätze zur Begründung der besonderen Bindungswirkung durch Grundsatzgesetze in die Zukunft hinein. Dies gilt zum einen für den – in der Nähe des Arguments eines vertragsähnlichen Charakters der Grundsätze stehenden[219] – Rekurs auf die Zustimmungsbedürftigkeit der Grundsatzgesetze, die diesen einen im Verhältnis zu nicht zustimmungsbedürftigen Gesetzen höheren Rang vermitteln soll[220]. Freilich ist die Zustimmungsbedürftigkeit wesentliches Element der Gesetze nach Art. 109 Abs. 4 GG; doch ergibt sich die besondere Bindungswirkung richtigerweise nicht aus der Zustimmungsbedürftigkeit als solcher, die auch vielen anderen Bundesgesetzen zu eigen ist, sondern aus der verfassungsrechtlich angeordneten Rechtsfolge der Bindung im speziellen Fall des Art. 109 Abs. 4 GG. Zum anderen erübrigt die hier vertretene Verfassungsinterpretation auch den Rekurs auf Art. 31 GG, was die Bindung des Landesgesetzgebers angeht[221]. Die Anwendung von Art. 31 GG ist voraussetzungsreich. Insbesondere müssen die kollidierenden Regelungen jeweils kompetenzgemäß ergangen sein. Zudem darf das Verhältnis zwischen den Regelungen nicht durch eine spezielle Norm angeleitet sein. Eine solche spezielle Norm ist aber Art. 109 Abs. 4 GG.
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Im Verhältnis zwischen verschiedenen, kollidierenden Grundsätzeregelungen im Sinne des Art. 109 Abs. 4 GG gilt wiederum der lex posterior-Grundsatz[222].
2. Beschränkung auf gemeinsame Grundsätze
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Gesetze auf Grundlage von Art. 109 Abs. 4 GG müssen sich auf den Erlass von Grundsätzen[223] beschränken, die – ähnlich wie Rahmengesetze im Sinne der früheren Rahmengesetzgebungskompetenz (Art. 75 GG a.F.) und auch schon Grundsatzgesetze nach Art. 10 und 11 WRV – auf Ausfüllung angelegt sind, den Adressaten mit anderen Worten Gestaltungsräume – gerade auch zur Berücksichtigung von Unterschieden im föderativ gegliederten Staat – belassen. Dies bedeutet nicht, dass die Grundsätze allein die Struktur von Prinzipien oder allgemeinen Leitlinien haben dürften[224]; vielmehr sind auch konditional gefasste Regeln zulässig. Ausgeschlossen sind jedoch erschöpfende Regelungen, wenngleich einzelne, punktuelle Detailnormierungen unbedenklich erscheinen[225]. Der Grundwertung des Art. 109 Abs. 1 GG, also dem haushaltswirtschaftlichen Trennungsgrundsatz im Bundesstaat, wird dadurch Rechnung getragen.
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Die Grundsätze müssen für Bund und Länder einheitlich gelten[226]. Eine Bindung allein des Bundes oder allein der Länder ist ebenso unzulässig wie spätere Abänderungen nur zugunsten oder zulasten des Bundes oder der Länder[227]. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass die – für Bund und Länder gemeinsam geltenden – Grundsätze Öffnungsklauseln enthalten, die durch Bund und Länder individuell genutzt werden können[228].
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Die Grundsätze können sich an die Gesetzgeber des Bundes und der Länder richten und sie zur Umsetzung oder auch Konkretisierung der Grundsatzregelungen beauftragen. Der Bundesgesetzgeber erlässt auf dieser Grundlage Bundesrecht[229], der Landesgesetzgeber Landesrecht[230]. Alternativ können die Grundsätze aber auch unmittelbar die Exekutiven binden[231]. Über die Normsetzungskompetenz hinausgehende Aufsichts- oder Weisungsbefugnisse vermittelt Art. 109 Abs. 4 GG dem Bund gegenüber den Exekutiven der Länder dagegen nicht[232].
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Grundsatzgesetze nach Art. 109 Abs. 4 GG können aufgrund der Anwendbarkeit von Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG im Übrigen auch Verordnungsermächtigungen enthalten, also die Kompetenz zum Erlass von Grundsätzen im Sinne des Art. 109 Abs. 4 GG an die Exekutive delegieren[233]. Delegatare können allerdings wegen der notwendig länderübergreifenden Geltung der Grundsatznormen nur die Bundesregierung und ein oder mehrere Bundesminister sein, nicht dagegen die Landesregierungen oder Landtage[234]. Die Rechtsverordnungen bedürfen gemäß Art. 80 Abs. 2 a.E. GG der Zustimmung des Bundesrates[235].
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Auch die Gemeinden und Gemeindeverbände können unmittelbar durch Grundsätze im Sinne des Art. 109 Abs. 4 GG gebunden werden (vgl. beispielsweise § 16 Abs. 1 StWG; auch Teil II des HGrG)[236]. Hier ist streng zwischen der verfassungsrechtlichen und der einfachgesetzlichen Ebene zu unterscheiden. Finanzverfassungsrechtlich erscheinen die Kommunen prinzipiell als Teil der Länder, weshalb sie etwa durch Art. 109 Abs. 1 GG[237] oder auch Art. 109 Abs. 2 GG[238] verfassungsunmittelbar weder berechtigt noch verpflichtet werden. Gerade weil die Kommunen aber Teil der Länder sind und die Grundsätze nach Art. 109 Abs. 4 GG das Haushaltsrecht, die Haushaltswirtschaft und die Finanzplanung in Bund und Ländern anleiten, können sich diese Grundsätze auch auf das Haushaltsrecht, die Haushaltswirtschaft und die Finanzplanung der Kommunen beziehen.
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Entsprechendes gilt für sonstige Einrichtungen der mittelbaren Staatsverwaltung[239] und für privatrechtliche Beteiligungen der öffentlichen Hand[240]; auch auf sie können Grundsätze nach Art. 109 Abs. 4 GG erstreckt werden.
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Regelungen mit unmittelbarer Außenwirkung dem Bürger gegenüber können dagegen nicht auf Art. 109 Abs. 4 GG gestützt werden[241]. Soweit etwa das Haushaltsgrundsätzegesetz außenwirksame Vorschriften enthält, bedürfen diese somit einer anderen Ermächtigungsgrundlage[242].
a) Haushaltsrecht
aa) Verfassungsrechtliche Ermächtigung
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Die Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundes zur Regelung gemeinsamer Grundsätze des Haushaltsrechts ist nachträglich durch das 20. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes im Jahr 1969[243] in Art. 109 Abs. 4 GG (vormals Art. 109 Abs. 3 GG a.F.) integriert worden.
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Die Gesetzgebungskompetenz ermöglicht es, eine rechtseinheitliche normative Basis für die Haushaltswesen des Bundes und der Länder zu schaffen. Angesichts der Verflechtung der Haushalte ist eine solche Basis, namentlich eine gemeinsame Haushaltssystematik, schon aus verwaltungstechnischen Gründen geboten[244]. Die entstehende Vergleichbarkeit der Haushalte erleichtert die finanz-, wirtschafts- und konjunkturpolitische Entscheidungsfindung[245]. Auch der Haushaltsreformprozess lässt sich durch Grundsatzgesetzgebung sinnvoll anleiten.
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Haushaltsrecht im Sinne der Vorschrift