1 AEUV vor allem unter zwei Gesichtspunkten: Zunächst einmal muss in jedem Einzelfall bestimmt werden, ob Abgaben im Sinne der Vorschrift als „inländische“ (dh als interne) Abgaben anzusehen sind und daher nur in nichtdiskriminierender Weise erhoben werden dürfen, oder ob es sich um zollgleiche Abgaben handelt, die überhaupt nicht erhoben werden dürfen.[19] Der EuGH hat hierfür nicht einfach auf den Ort der Erhebung der Abgabe (an der Grenze oder im Inland) abstellen können, weil eine Abgabe, auch wenn sie im Inland erhoben wird, eine Ware dennoch „aus Anlass ihres Grenzübertritts“ treffen kann, so dass sie wie ein Zoll wirkt. Entscheidendes Kriterium ist für den Gerichtshof vielmehr, ob die Abgabe Waren unabhängig von ihrer inländischen oder ausländischen Herkunft nach gleichen sachlichen Maßstäben im Rahmen eines allgemeinen Abgabensystems erfasst (dann hat sie den Charakter einer internen Steuer), oder ob sie eingeführte – bzw. zur Ausfuhr bestimmte – Waren spezifisch (und zwar stärker) belastet (dann besitzt sie zollgleiche Wirkung).[20] Hieran zeigt sich, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei sind, ihr Steuersystem so zu gestalten und Warengruppen steuerlich so zu differenzieren, wie sie es für richtig halten; aber die Besteuerungskriterien müssen in nichtdiskriminierender Weise angewendet werden.[21] Ob eine solche Diskriminierung vorliegt, bestimmt sich jedoch nicht allein aufgrund eines Vergleichs der Höhe der Abgaben. Vielmehr kann sich auch aus der Verwendung des Finanzaufkommens eine Diskriminierung ergeben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Abgaben, obwohl sie zunächst in nichtdiskriminierender Weise erhoben wurden, vollständig für Zwecke verwendet werden, die ausschließlich den inländischen Waren zugutekommen, so dass die Belastung dieser Waren im Ergebnis wieder aufgehoben wird.[22]
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Des Weiteren muss im Rahmen des Art. 110 Abs. 1 AEUV die Gleichartigkeit der ausländischen und inländischen Waren, deren steuerliche Belastung zu vergleichen ist, bestimmt werden. Insoweit stellt der Gerichtshof darauf ab, ob die Waren aus der Sicht der Abnehmer gleiche Eigenschaften besitzen und denselben Bedürfnissen dienen.[23] Was aber, wenn die Waren nicht in diesem Sinne gleichartig sind? Dürfen die Import- und Exportwaren dann beliebig hohen Steuern unterworfen werden? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich klar machen, dass Wettbewerbsbeziehungen nicht nur zwischen gleichartigen Waren (beispielsweise zwischen ausländischem und inländischem Bier) bestehen. Auch Waren, die nicht übereinstimmende Eigenschaften besitzen und daher nicht gleichartig sind, können im sogenannten Substitutionswettbewerb miteinander stehen, wenn sie jedenfalls denselben Bedürfnissen dienen (wie beispielsweise Bier und preisgünstiger Tafelwein). Wird also in einem Land, das selbst keinen Wein produziert, der importierte Wein wesentlich höher besteuert als Bier, dann wird auch in diesem Fall der Wettbewerb im zwischenstaatlichen Handel verfälscht.[24] Die höhere Belastung des Weins führt nämlich dazu, dass die Verbrauchergewohnheiten zugunsten des Konsums von Bier und zu Lasten des Konsums ausländischen Weins zementiert werden. Dieser Problematik trägt der AEUV dadurch Rechnung, dass er sich nicht auf das Verbot formeller steuerlicher Diskriminierungen von Import- bzw. Exportwaren in Art. 110 Abs. 1 AEUV beschränkt, sondern in Art. 110 Abs. 2 AEUV vorsieht, dass interne Abgaben auch nicht in anderer Weise zu Wettbewerbsnachteilen für ausländische Waren und damit zum Schutz inländischer Produkte führen dürfen.[25]
c. Gebühren
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Außerhalb der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen liegen Gebühren, die lediglich ein Entgelt für Leistungen darstellen, die von den Verwaltungsbehörden eines Mitgliedstaats gegenüber dem Importeur bzw. Exporteur erbracht werden.[26] Finanzielle Belastungen dieser Art sind nicht geeignet, den Marktzutritt zu beschränken oder den Wettbewerb zu verfälschen, sofern sie lediglich in der zur Kostendeckung erforderlichen Höhe erhoben werden. So einfach dieser Grundsatz klingt, so schwierig kann im Einzelfall die Feststellung sein, ob es sich wirklich um eine Gebühr oder nicht doch um eine zollgleiche Abgabe bzw. eine Steuer handelt. Die Gefahr, dass mit der Erhebung von Gebühren das Zollverbot der Art. 28 und 30 AEUV und das Diskriminierungsverbot des Art. 110 AEUV umgangen werden könnten, liegt auf der Hand. Der EuGH stellt Abgaben von diesen Verboten daher nur unter sehr restriktiven Bedingungen frei. So muss es sich bei der entgoltenen Leistung der Verwaltung um einen bestimmten, messbaren Vorteil handeln, der dem Importeur bzw. Exporteur tatsächlich in seinem individuellen Interesse zufließt.[27] Mit diesen Erwägungen sind insbesondere Abgaben, die für nationale gesundheitspolizeiliche Kontrollen erhoben wurden, nicht als Gebühren, sondern als zollgleiche Abgaben bzw. als Steuern qualifiziert worden, weil sie im Interesse der Allgemeinheit liegen und daher auch von der Allgemeinheit finanziert werden müssen.[28] Anders liegt es allerdings bei Gebühren für Kontrollen, die von der Union im unionalen Allgemeininteresse (z.B. Gesundheitsschutz) vorgesehen sind. Sie sollen den zwischenstaatlichen Warenverkehr gerade erleichtern, indem sie die beschränkende Wirkung entsprechender rein nationaler Kontrollmaßnahmen, die gem. Art. 36 AEUV gerechtfertigt wären, aufheben sollen.[29]
2. Mengenmäßige Beschränkungen
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Das klassische Instrument, mit dem Im- oder Exporte mengenmäßig begrenzt werden, ist die Festlegung von Kontingenten (Quoten). Von größerer Bedeutung sind aber heute andere staatliche Maßnahmen, die gar nicht unmittelbar etwas über Im- und Exportmengen aussagen, die aber in ganz ähnlicher Weise wie Kontingentierungen den zwischenstaatlichen Handel beschränken.
a. Kontingente
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Im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten sind Kontingentierungen unzulässig. Sie würden den Marktzutritt für Waren nur in einer ganz bestimmten Menge bzw. bis zu einer bestimmten Wertgrenze (die im Extremfall gleich Null sein kann) ermöglichen, darüber hinaus jedoch untersagen. Solche teilweisen oder gar vollständigen Ein- und Ausfuhrverbote wären mit dem Binnenmarkt offensichtlich unvereinbar. Art. 34 und 35 AEUV verbieten deshalb ausdrücklich jegliche mengenmäßige Beschränkung der Ein- und Ausfuhr.
b. Maßnahmen gleicher Wirkung
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Die Wirkung von Ein- oder Ausfuhrverboten haben nun allerdings nicht nur staatliche Regelungen, die sich ausdrücklich gerade auf den zwischenstaatlichen Handel beziehen. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlichster Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken, die – obwohl sie primär anderen Zwecken dienen – Im- und Exporte unmöglich machen oder zumindest erschweren und daher die gleiche Wirkung haben wie mengenmäßige Beschränkungen (Maßnahmen gleicher Wirkung).[30]
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Dazu rechnen zunächst einmal Vorschriften, die sich auf die Abwicklung des Ein- und Ausfuhrverfahrens als solchen beziehen und die den Im- oder Export an Bedingungen knüpfen, die den Grenzübertritt der Waren behindern (insbesondere Grenzabfertigungsmodalitäten).[31] Wenn beispielsweise die Einfuhr deutscher Automobile nach Italien nur über eine Grenzabfertigungsstelle auf Sizilien möglich wäre, oder wenn bei der Einfuhr holländischen Käses in die Bundesrepublik Deutschland für jede Einheit gesondert eine Vielzahl von Formularen ausgefüllt werden müssten, dann ist zwar die Einfuhr nicht rechtlich verboten, aber faktisch so stark behindert, dass sie womöglich unterbleibt. Um derartige Störungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs schon im Ansatz auszuschließen, verlangt das Binnenmarktkonzept wie es in Art. 26 Abs. 2 AEUV definiert ist, die Herstellung eines „Raums ohne Binnengrenzen“, dh die Abschaffung überhaupt jeglicher Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten.[32]
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Handelsbeschränkende Wirkungen können aber auch Vorschriften haben, welche die Herstellung, die Zusammensetzung oder die Vermarktung von Produkten regeln. Wenn beispielsweise ein Mitgliedstaat vorschreibt, dass als „Bier“ nur Getränke vertrieben werden dürfen, die ausschließlich