G sieht sich durch A und B getäuscht und möchte auf die Gesellschafter persönlich zugreifen. Die aber winken ab und verweisen auf die (zutreffende) Eintragung und Bekanntmachung der GmbH im Handelsregister.
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Nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsscheinhaftung (dazu auch Rn. 816) müssen sich die GmbH-Gesellschafter A und B, weil sie die Führung des Rechtsformzusatzes zurechenbar unterlassen haben, gegenüber dem redlichen Geschäftspartner G am Eindruck der unbeschränkten persönlichen Haftung festhalten lassen.[78] Dabei ist ihnen auch der Einwand des § 15 II HGB abgeschnitten, weil andernfalls das Regelungsziel des § 4 GmbHG – gleiches gilt für § 4 AktG[79] und § 8 IV 3 PartGG[80] – verfehlt würde. Die Führung des Rechtsformzusatzes soll den Rechtsverkehr über den Haftungsausschluss der GmbH-Gesellschafter (§ 13 II GmbHG) ins Bild setzen und dem Geschäftspartner den Blick ins Handelsregister ersparen. Daher ist die Berufung auf § 15 II HGB in diesem Fall entweder mit dem BGH als rechtsmissbräuchlich iSd § 242 BGB anzusehen[81] oder die Vorschrift ist mit der vorzugswürdigen Auffassung des Schrifttums teleologisch zu reduzieren[82]. Der Dritte darf sich demnach auf den durch unzulässige Firmenführung veranlassten Rechtsschein verlassen.
b) Verlängerung des durch § 15 I HGB vermittelten Schutzes (§ 15 II 2 HGB)
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Trotz richtiger Eintragung und Bekanntmachung muss der Dritte während einer Übergangsfrist von 15 Tagen die Rechtsänderung nicht gegen sich gelten lassen, wenn er beweist, dass er die betreffende Tatsache weder kannte noch kennen musste; auch schon einfache Fahrlässigkeit schadet hier also (vgl. § 122 II BGB).[83]
a) Normzweck und dogmatische Struktur
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Die positive Publizitätswirkung von Handelsregistereintragungen gem. § 15 III HGB geht auf die Publizitätsrichtlinie (Rn. 52) zurück[84] und wurde erst im Jahre 1969 in das HGB eingefügt. Die Vorschrift begründet ebenso wie § 15 I und II HGB eine Rechtsscheinhaftung. Geschützt wird das Vertrauen eines gutgläubigen Dritten in eine unrichtig kundgemachte Tatsache (vgl. § 10 HGB). Im Unterschied zu § 15 I HGB ist hier also nicht relevant, dass die Bekanntmachung der wahren Rechtslage unterblieben ist. Vielmehr kommt § 15 III HGB zur Anwendung, wenn eine Rechtslage bekanntgemacht wird, die von vornherein falsch ist. Während also in § 15 I HGB auf das „Schweigen“ des Handelsregisters vertraut wird, so gilt dies bei § 15 III HGB für das „Reden“; daher auch die Bezeichnung: positive Publizität.
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Wäre daher in Fall 10 G von vornherein geisteskrank und damit geschäftsunfähig gewesen, so wäre statt § 15 I HGB die Vorschrift des § 15 III HGB anzuwenden gewesen[85]. Im Ergebnis hätten sich hieraus freilich keine Änderungen ergeben.
b) Gewohnheitsrechtliche Rechtsscheinhaftung
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Vor Schaffung des § 15 III HGB war im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung jedoch bereits eine gewohnheitsrechtliche Rechtsscheinhaftung in Form von zwei Grundsätzen herausgearbeitet worden:[86]
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(1.) Wer eine unrichtige Eintragung in das Handelsregister veranlasst, muss sich gegenüber einem gutgläubigen Dritten daran festhalten lassen.
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(2.) Auch wer eine nicht veranlasste unrichtige Eintragung im Handelsregister schuldhaft nicht beseitigt, muss sich gegenüber einem gutgläubigen Dritten daran festhalten lassen.
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Diese Grundsätze der Rechtsscheinhaftung erfassen Tatsachen aller Art, d.h. nicht nur eintragungspflichtige, sondern auch nur eintragungsfähige Tatsachen.[87] Dem auf die Tatsache vertrauenden Dritten schadet nicht nur Kenntnis, sondern bereits leicht (!) fahrlässige Unkenntnis von der Unrichtigkeit der Eintragung oder Bekanntmachung.[88] Außerdem muss zwischen dem zurechenbar veranlassten Rechtsschein und der Vertrauensdisposition des Dritten ein kausaler Zusammenhang bestehen. Anders als bei § 15 I HGB (Rn. 75) muss der Dritte daher das Register tatsächlich eingesehen oder die Bekanntmachung tatsächlich wahrgenommen haben.[89] Der Dritte muss im berechtigten Vertrauen auf die Eintragung und (oder) Bekanntmachung das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben. Und schließlich beschränkt sich auch die Anwendung der allgemeinen Rechtsscheingrundsätze auf den rechtsgeschäftlichen Verkehr; im außervertraglichen Bereich kommt eine Vertrauenshaftung nicht in Betracht.[90]
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Dieser gewohnheitsrechtlichen Rechtsscheinhaftung kommt als Auffangregelung auch heute noch in den Fällen eine ergänzende Bedeutung zu, die von § 15 III HGB nicht erfasst werden. Zudem sind die hergebrachten Rechtsscheingrundsätze für die Auslegung des § 15 III HGB von Bedeutung.
c) Anwendungsbereich und Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 III HGB
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aa) Der Anwendungsbereich des § 15 III HGB erfasst – wie § 15 I HGB – nur eintragungspflichtige Tatsachen (oben Rn. 53 f.).
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Beispiel:
Wurde etwa von Kaufmann K die Prokura des P widerrufen und der Widerruf auch im Handelsregister eingetragen, jedoch fälschlich nur der Widerruf einer Ermächtigung gem. § 49 II HGB (Erstreckung auf Grundstücksgeschäfte, dazu unten Rn. 213 ff.) bekanntgemacht, dann kann K gegenüber einem gutgläubigen Dritten nicht geltend machen, dass P nicht mehr sein Prokurist ist.
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bb) Unstreitig kommt § 15 III HGB zur Anwendung, wenn zwar die Eintragung im Handelsregister richtig ist, nicht aber die Bekanntmachung.[91] Demgegenüber wird die Anwendbarkeit von § 15 III HGB angezweifelt, wenn auch die Eintragung unrichtig ist oder sogar völlig fehlt (im Beispiel: auch im Handelsregister wurde fälschlich nur der Widerruf einer Ermächtigung gem. § 49 II HGB eingetragen). Die Bedenken kommen daher, dass unionsrechtlich (Rn. 9, 52) ausdrücklich nur der Fall einer von der Eintragung abweichenden Bekanntmachung geregelt ist (Art. 16 VII GesRRL).[92] Im Ergebnis sind die Zweifel jedoch unbegründet. Dem deutschen Gesetzgeber stand es nämlich jedenfalls frei, über die in der Richtlinie enthaltenen Mindestvorgaben hinauszugehen und § 15 III HGB umfassender zu formulieren: So hat er über die Richtlinie hinaus, die nur die GmbH, die AG und die KGaA erfasst (Art. 13 iVm Anhang II GesRRL), die positive Publizitätswirkung für alle Handelsregisterbekanntmachungen angeordnet. Und er hat § 15 III HGB auch so gefasst, dass es ausschließlich auf die Unrichtigkeit der Bekanntmachung ankommt, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Eintragung richtig oder falsch ist oder insgesamt fehlt. In der Sache ist der Rechtsschein durch eine unrichtig eingetragene und bekanntgemachte Tatsache sogar noch stärker als bei nur unrichtiger Bekanntmachung.[93] „Unrichtig“ iSv § 15 III HGB bedeutet somit nach zutreffender hM, dass eine Diskrepanz zwischen wahrer und bekanntgemachter Rechtslage besteht.[94]