Hitlers vom 1.9.1939 – in aller Stille und wurden unter dem Eindruck einer tiefen Beunruhigung der Öffentlichkeit, der die Aktionen nicht verborgen bleiben konnten, 1941 scheinbar eingestellt, in Wahrheit aber noch verborgener fortgesetzt. Bis 1941 wurden ca. 71 000, danach ca. 100 000 Menschen umgebracht[97].
Für die strafrechtliche Beurteilung dieser Aktionen ist entscheidend, dass deren Grundlage nicht einmal nach dem positiven Recht des Dritten Reiches tatbestandsbeseitigend oder rechtfertigend wirken kann: ein gültiges Gesetz lag nicht vor, sodass die Frage seines Widerspruches zum Sittengesetz nicht erst zu prüfen ist[98]. Es stellt sich daher nur die Frage, wieweit eine Rechtfertigung nach Kollisionsgrundsätzen (beschränkte Mitwirkung an Geisteskrankentötungen, um größere Aktionen zu verhindern), Verantwortungs- oder bloßer Strafausschluss – Letzterer für normale Zeiten zweifellos eine unbefriedigende Verlegenheitslösung – gegeben sein kann. Die Frage der Schutzwürdigkeit des Lebens als solchen ist auch in diesen Fällen eindeutig bejaht worden (eingehend AT §§ 27 Rn. 26, 33 Rn. 19 f., 35 Rn. 6 mit Schrifttumsnachweisen).
Stark umstritten ist insbesondere das Urteil OGH SJZ 49, 347. Es nahm zugunsten der Ärzte, die einzelne Geisteskrankentötungen durchführten, um den übrigen Teil der Insassen retten zu können, unter ausdrücklicher Ablehnung einer sachlich wertbaren Güterskala einen persönlichen Strafausschließungsgrund an. Dagegen Welzel MDR 49, 374, Eb. Schmidt SJZ 49, 559, Henkel und Gallas FS Mezger 300, 332, die in der Entscheidung einen erneuten Durchbruch des vom Reichsgericht abgelehnten Gedankens eines „übergesetzlichen Schuldausschließungsgrundes“ erblicken. Für das Urteil – Fortbestand menschlicher und rechtlicher Schuld, daher allenfalls persönlicher Strafausschluss – Peters JR 50, 742; Oehler JR 51, 489. Bedenklich auch die Bejahung eines Verbotsirrtums durch BGH NJW 61, 278. Erhebliche Kritik hat auch das Urteil BGH JZ 74, 511 hervorgerufen, das für einen Selektionsarzt Heimtücke abgelehnt und damit wegen Verjährung des Totschlags einen Freispruch bestätigt hat (Baumann JZ 74, 512; Kratzsch JR 75, 102).
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Der Schutz des sog. „lebensunwerten“ Lebens verbietet nicht nur dagegen gerichtete Handlungen, sondern grundsätzlich auch Unterlassungen. Allerdings lässt sich nicht verkennen, dass der moderne operationstechnische und medikamentöse Fortschritt zu erheblichen Problemen geführt hat. Durch moderne Infektionsbekämpfungsmittel lässt sich die früher regelmäßig beschränkte Lebensdauer bei schwer reduzierter Hirnfunktion erheblich ausdehnen; Operationen der offenen Rückenmarksspalte bei Neugeborenen (Spina bifida cystica) ergeben in der großen Mehrzahl der Fälle Menschen mit weitgehend reduzierter Hirnfunktion, bestenfalls mit schweren Körperschäden, insbesondere einer totalen Unterleibslähmung. Die Medizin ist über die Frage der Zulässigkeit der Unterlassung derartiger Maßnahmen längst hinweggegangen und diskutiert die möglichen Selektionskriterien, wobei fatalerweise soziale Kriterien eine große Rolle spielen[99]. Es ist nicht zu verkennen, dass hierbei die Gefahr einer Euthanasie im pervertierten Sinn und eine Ausweitung des Grundgedankens des Schwangerschaftsabbruchs bei Kindsschädigungsindikation auf bereits geborene Menschen drohen. Routinebehandlungen und -operationen mit großer Erfolgswahrscheinlichkeit sind in jedem Fall vorzunehmen. In Anlehnung an die Verneinung der Rechtspflicht zur sinnlosen Verlängerung eines qualvollen Lebens (s.o. Rn. 36) und wegen der fehlenden Gleichwertigkeit (§ 13 StGB) wird man aber die Pflicht des Arztes zum Einsatz aller medizinischen Mittel reduzieren müssen[100].
Anmerkungen
J.-E. Meyer ZRP 78, 188.
Kogon/Langbein/Rückerl, Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas, 1983, S. 62, 57 ff.
OLG Frankfurt SJZ 47, 621 mit Anm. Radbruch; OGH SJZ 49, 347 mit Anm. Eb. Schmidt aaO 559; BGH NJW 53, 513; BGH NJW 61, 278.
Lorber Developmental Medicine and Child Neurology 1971, 279; Regenbrecht MMW 73, 601.
Vgl. auch Engisch Euthanasie 9 und: Der Arzt 44; Hanack MedR 85, 34; bei totalem Verlust der Wahrnehmungs- und Mitteilungsfähigkeit auch Arth. Kaufmann JZ 82, 486; s.a. Schmitt FS Klug 1983, 329; Hiersche u.a., Hrsg., Grenzen ärztl. Behandlungspflicht bei schwerstgeschädigten Neugeborenen, 1987, mit „Einbecker Empfehlungen“ von 1986; Neufassung 1992 MedR 92, 206; Laber MedR 90, 182; Schneider MK Vor §§ 211ff. 181; Eser/Sterberg-Lieben S/S Vor §§ 211 ff. 24a. Zur Lage in Nordamerika Keyserlingk ZStW 97, 178.
§ 2 Vorsätzliche Tötung
Schrifttum:
Busch, Über die vorsätzliche Tötung, FS Rittler 157, 287; Eser, Empfiehlt es sich, die Straftatbestände des Mordes, des Totschlags und der Kindestötung (§§ 211 bis 213, 217 StGB) neu abzugrenzen?, Gutachten D zum 53. DJT 1980; Eser, Die Tötungsdelikte in der Rechtsprechung zwischen BVerfGE 45, 187 und BGH-GSSt 1/81, NStZ 81, 383, 429; Eser, Die Tötungsdelikte in der Rechtsprechung seit BGH-GSSt 1/81 bis Ende Juni 1983, NStZ 83, 433; Hall, Über die Teilnahme an Mord und Totschlag, FS Eb. Schmidt 1961, 343; Hanack, Zur Problematik der gerechten Bestrafung n.-s. Gewaltverbrecher, JZ 67, 297; Hardwig, Zur Systematik der Tötungsdelikte, GA 54, 257; Jagusch, Aus der Rechtsprechung des OGH BZ zur vorsätzlichen Tötung, SJZ 49, 324; Jescheck/Triffterer, Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig?, 1978; Kaiser, Verantwortlichkeit von Richtern und Staatsanwälten wegen ihrer Mitwirkung an rechtswidrigen Todesurteilen, NJW 60, 1328; Kargl, Zum Grundtatbestand der Tötungsdelikte, JZ 03, 1141; Kion, Grundfragen der Kausalität bei Tötungsdelikten, JuS 67, 499; Müssig, Mord und Totschlag, 2005; Riess, Zur Abgrenzung von Mord und Totschlag NJW 68, 628; Sax, Der Grundtatbestand bei den Tötungsdelikten und beim Delikt der Abtreibung, ZStW 64, 393; Schlösser, Strafrechtliche Verantwortlichkeit ehemaliger Richter an Sondergerichten, NJW 60, 943; Schlosky, Mörder und Totschläger, DStrR 43, 142; Eb. Schmidt, Zur Lehre von den Tötungsdelikten, DRZ 49, 198; Schröder, Der Aufbau der Tötungsdelikte, SJZ 50, 560; Schröder, Zur Teilnahme an Tötungsdelikten, NJW 52, 649; Schröder, Zur Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag, JZ 52, 526; Sessar, Rechtliche und soziale Prozesse einer Definition der Tötungskriminalität, 1981; Stock, Abgrenzung von Mord und Totschlag, SJZ 47, 529; v. Weber, Teilnahme an Mord und Totschlag, MDR 52, 265; Welzel, Zur Systematik der Tötungsdelikte, JZ 52, 72; Würtenberger, Zur Rechtswidrigkeit der Kriegsverbrechen, FS Mezger 193; ferner die in § 1 Angeführten.
1. Die Tatbestände der vorsätzlichen Tötung in der Geschichte
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Es gibt kaum ein Strafrechtssystem, welches sich auf einen Tatbestand der vorsätzlichen Tötung beschränkt. Vielmehr treten sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart regelmäßig zwei Erscheinungsformen dieser Tat auf: das qualifizierte, besonders verwerfliche, und das minderqualifizierte Verbrechen am Leben. Verschieden ist aber der Inhalt dieser deutlich voneinander abgesetzten Formen, die im deutschen Sprachgebrauch als Mord und (unglücklich) als Totschlag bezeichnet werden. Bald wird die Unterscheidung im ethischen Moment des Gesamtbildes der Tat, bald im psychologischen Moment der Entschlussfassung zur Tat gesehen. Der Werdegang der beiden nahezu konstanten „Ausgangsformen“ der Tötung schwankt – nach üblicher, aber weniger treffender Bezeichnung – zwischen (tatbezogener) Gesinnung