Reinhart Maurach

Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1


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nicht erfasse), andererseits als zu weit angesehen (da es auch Tötungen in notstandsnahen Situationen mit erfasse).

      Während dieser Empfehlungen der Expertenkommission bislang nicht in eine entsprechende Reform der Tötungsdelikte mündeten, stellte der Gesetzgeber am 10.12.2015 in einem neuen § 217 die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe strafbar. Obwohl der (versuchte) Suizid selbst weiterhin keinen Straftatbestand erfüllt, gilt dies für die (versuchte) Beihilfe dazu nicht mehr uneingeschränkt. Gegen diese Regelung sind derzeit allerdings noch Verfassungsbeschwerden suizidwilliger Schwerstkranker wegen Eingriffs in ihr Recht auf einen selbstbestimmten Tod vor dem BVerfG anhängig.

      Anmerkungen

       [1]

      Eingehend Thomas, Die Geschichte des Mordparagraphen, 1985; Müssig aaO 7 ff.

       [2]

      Dazu Busch aaO 290, Schroeder JuS 84, 275. Zur Verdeckungsabsicht Zwiehoff JZ 02, 343.

       [3]

      Sessar aaO 68, 74 und MSchrKrim 80, 194.

       [4]

      Referate von Arzt und Otto ZStW 83, 1 ff. Zur Kriminologie und Reform des Mordes Riess MSchrKrim 69, 28 und Siol, Mordmerkmale in kriminologischer und kriminalpolitischer Sicht, 1973.

       [5]

      BVerfGE 45, 187 m.Anm. Schmidhäuser JR 78, 265; Beckmann GA 79, 439. Sachverständigengutachten bei Jescheck/Triffterer aaO.

       [6]

      Zusammenfassung bei Möhrenschlager NStZ 81, 57; seitdem Albrecht JZ 82, 697; Kargl aaO.

       [7]

      Gutachten Eser; Referate Fuhrmann, Lackner; Auswertung bei Beckmann GA 81, 337. Interessant Knobloch, Wäre es für die Abgrenzung des Unrechtsbereiches der Tötungsdelikte von Vorteil, wenn die Menschenwürde zum strafrechtlich geschützten Rechtsgut des § 211 StGB werden würde?, Diss. Erlangen 1990. Rechtsvergl. Hinweise bei Heine Brauneck-Ehr. 315 (Kurzfassung GA 00, 305).

       [8]

      Zur Geschichte 8. Aufl. § 2 Rn. 64.

       [9]

      Dagegen zuletzt Guhl-Finkenthei FS Bemmann 299. Die Strafen für Kindstötung haben sich seitdem drastisch erhöht (Friedrichsen Der Spiegel 03/7 S. 52). Bei BGH NStZ 09, 210 sogar Verurteilung wegen Mordes!

      2. Die Architektur der Tatbestände der vorsätzlichen Tötung

      5

      Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung ist der Totschlag des § 212 (u. II). Auf ihm erhebt sich in unselbstständiger tatbestandlicher Abwandlung der Mord (§ 211) als qualifizierter Totschlag (u. III). Ferner zweigen sich vom Grundtatbestand zwei ebenfalls unselbstständige Privilegierungen ab: der minder schwere Fall des Totschlags nach § 213 (u. IV A) und die Tötung auf Verlangen nach § 216 (u. IV B).

      Die allgemeinen Folgen aus dieser Betrachtungsweise (Zusammentreffen privilegierender und qualifizierender Umstände, Strafbarkeit des Versuchs, Qualifikationsfragen nach § 12, Behandlung der Teilnehmer usw.) werden im Folgenden bei den Tatbeständen erörtert, bei denen sie von praktischer Bedeutung sind.

      Anmerkungen

       [10]

      Eb. Schmidt DRZ 49, 241; Müssig aaO 127, 243 ff. De lege ferenda auch Kargl JZ 03, 1141.

       [11]

      Jähnke LK Vor § 211 43; Schröder SJZ 50, 563 und MatStrRReform I 283 mit weiteren Nachweisen; Eser/Sternberg-Lieben S/S Vor § 211 5; Fischer § 211 6; Welzel JZ 52, 72; Engisch aaO 166; Sax aaO 400; Hardwig aaO 262; Busch aaO 288; Neumann FS Lampe 03, 643; Gössel ZIS 08, 153. A.A. Hall aaO 357: die §§ 211, 212 Qualifizierung und Privilegierung gegenüber einem nur gedachten Grundtatbestand. Beachtlich Jakobs FS Roxin 808: Mord aus niedrigen Beweggründen und in Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht nicht privilegierter Grundfall.

       [12]

      BGH 1, 368; GS 9, 389; 22, 375; 50,5 m. abl. Anm. Jäger JR 05, 477; Kraatz Jura 06, 613; Puppe JZ 05, 902. Hierzu Welzel JZ 52, 72; Schröder JZ 52, 526; Schwalm MDR 57, 260 und 58, 396; Mitsch JuS 96, 26; Küper JZ 91, 761, 862, 910.

      6

      Nach der völlig missglückten Fassung des § 212 wird „als Totschläger“ bestraft, wer einen Menschen vorsätzlich tötet, „ohne Mörder zu sein“. Die eigenartige, sowohl personenbezogene als auch negative Ausdrucksweise des § 212 war eine notwendige Folge der Personalisierung des Mordtatbestandes in § 211: Sollte der „Mörder“ als Typ herausgestellt werden, so bedingte dies folgerichtig die Bildung eines Gegentyps – eben des Totschlägers, bezüglich dessen schon beim Erlass des Gesetzes Einigkeit bestand, dass ein solcher Typ weder als „kriminologische“ noch als „normative“ Figur existiert (vgl. Rn. 22)! Heute wirkt die irreführende Formulierung des § 212 vollends als unnützer Ballast. Was er besagt, ist in Wirklichkeit sehr eindeutig: Wer einen Menschen vorsätzlich tötet, wird wegen Totschlags bestraft. Die Bezeichnung „Totschlag“ entspricht zwar dem überlieferten Gegensatz zum „Mord“, ist aber verfehlt. Sie weist auf eine „Jäheitstat“ hin (s.o. Rn. 2). Doch braucht eine solche bei § 212 nicht vorzuliegen, vielmehr wird ein großer Teil der Affekttötungen durch § 213 (u. IV A) abgefangen. Was § 212 darstellt, ist die Durchschnittserscheinung der vorsätzlichen Tötung: eine solche, die weder unter den qualifizierenden noch den privilegierenden Umständen der übrigen Tatbestände vorgenommen wird.

      A. Der Tatbestand

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      1.