Zust. h.L. A.A. Fi 61 m. Nachw. Grünewald Jura 05, 520. Offengelassen von BGH 48, 149.
C. Täterschaft und Teilnahme
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Bei der Mittäter- und Teilnahmehaftung sind zwei Probleme zu unterscheiden, die unabhängig voneinander den Tatbestand beeinflussen, der auf den Mittäter bzw. Teilnehmer anzuwenden ist: 1. die Kenntnis des Mittäters bzw. Teilnehmers von den qualifizierenden Umständen in der Person des (anderen) Täters und 2. das tatsächliche Vorliegen bzw. Fehlen dieser Umstände in der Person des Mittäters bzw. Teilnehmers selbst.
1. Da sowohl die Motive und Absichten als auch die Begehungsart echte Merkmale des Tatbestandes des § 211 sind, gilt die Vorschrift des § 16 Abs. 1 für Täter und Teilnehmer. Eine Haftung wegen Mordes kann für Mittäter, Anstifter und Gehilfen nur infrage kommen, wenn ihnen bei Leistung ihres Tatbeitrages die qualifizierenden Umstände, unter denen die Tat geschehen sollte oder geschah, bekannt waren.
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2. Damit ist aber nur eine Seite des Problems ausgeschöpft: ein Mittäter bzw. Teilnehmer, der selbst qualifikationslos handelt und auch um das Vorliegen einer Qualifikation in der Person des (anderen) Täters nicht weiß, kann jedenfalls nicht nach § 211 beurteilt werden. Nicht gelöst bleiben aber die weiteren Fragen: a) Hat die Kenntnis des die Qualifikation nicht erfüllenden Mittäters bzw. Teilnehmers von der beim (anderen) Täter vorliegenden Qualifikation regelmäßig die Bestrafung nach § 211 zur Folge? b) Wie ist die Haftung eines Mittäters bzw. Teilnehmers zu beurteilen, der unter den qualifizierenden Umständen des § 211 handelt, ohne dass der (andere) Täter dies tut oder ohne dass der Teilnehmer um die entsprechende Qualifikation in der Person des Täters weiß?
Diese Fragen sind stark umstritten und führen zu dem strukturellen Grundproblem der §§ 211, 212 zurück. Für die im Schrifttum h.M., die den Mord als unselbstständige Qualifikation des Totschlags beurteilt, sind die Merkmale des § 211 strafschärfend, sodass gemäß § 28 Abs. 2 die Behandlung jedes Mitwirkenden nach der für ihn zutreffenden psychischen Situation möglich ist. Es erhebt sich lediglich die Frage, auf welche dieser Qualifikationen § 28 Abs. 2 mit seinen Beschränkungen anwendbar ist.
Sauer 260 und Lange XI wollten – von ihrem Standpunkt der Persönlichkeitswürdigung aus folgerichtig – alle mordqualifizierenden Umstände als personengebunden betrachten und damit zum Vorteil oder zulasten desjenigen Mitwirkenden anwenden, bei dem sie vorliegen.
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Demgegenüber wird von der weit überwiegenden und richtigen Auffassung unterschieden, ob die Mordmerkmale überwiegend tat- oder persönlichkeitsgebunden sind[124]. Erstere bedingen strenge Akzessorietät und damit den Ausschluss des § 28 Abs. 2, Letztere bleiben der Akzessorietätslockerung zugänglich. Zur ersten Gruppe gehören die objektiven Merkmale Grausamkeit, Heimtücke und Gemeingefahr, zur letzten die subjektiven Merkmale. Die frühere Schwierigkeit, die subjektiven Mordmerkmale als „Eigenschaften oder Verhältnisse“ einzuordnen, ist durch die Einfügung der persönlichen „Umstände“ in § 28 i.V.m. § 14 beseitigt. Freilich setzt die dargelegte Unterscheidung voraus, dass die für die Begehungsweisen der Heimtücke und Grausamkeit zusätzlich verlangten Gesinnungselemente als untergeordnet[125] und umgekehrt die Verdeckungsabsicht als Motivgravamen aufgefasst wird[126]. Zum gleichen Ergebnis führt die Funktionsanalyse von Jakobs NJW 69, 489; 70, 1089, wonach die Mordmerkmale der ersten und dritten Gruppe eine besondere Gefährlichkeit des Täters indizieren (hiergegen Arzt JZ 73, 685).
Danach kann der habgierige Anstifter nach §§ 211, 26 bestraft werden, auch wenn der Täter selbst aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat; umgekehrt wird der eine grausame Tat wissentlich fördernde Gehilfe, der selbst nicht „grausam“ handelt, unter der erschwerten Strafwirkung der §§ 27, 211 verbleiben (BGH 2, 252), da die Grausamkeit nicht personengebunden i.S. des § 28 Abs. 2 ist. Es genügt, dass er die Tat, die er durch seinen Beitrag förderte, als solche erkannt oder betrachtet hatte (OLG Braunschweig NJW 47/48, 273; OGH 1, 103, 329). Ist die Kenntnis der qualifizierenden Tatumstände beim Teilnehmer gegeben, so kommt es auf deren fehlerhafte Subsumtion nicht an (OLG Frankfurt HESt 2, 218; Eser/Sternberg-Lieben S/S 44).
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Grundsätzlich anders fällt die Beurteilung nach der Auffassung des BGH aus, die den § 211 als Sonderdelikt gegenüber § 212 betrachtet (s.o. Rn. 5). Nach § 28 Abs. 1 erfolgt lediglich für den persönlich-qualifikationslosen Teilnehmer eine obligatorische Strafmilderung.
Bis 1968 war der Teilnehmer nach dieser Auffassung unlöslich an den vom Täter verwirklichten Tatbestand gebunden, was sich sowohl zu seinen Gunsten (Bestrafung des habgierigen Anstifters nur nach §§ 48 a.F., 212) als auch zu seinen Ungunsten (Bestrafung des nicht habgierigen Anstifters nach §§ 48 a.F., 211) auswirkte. Aber auch nach der Neuregelung (eingeführt zunächst als § 50 Abs. 2 durch das EGOWiG) ist die Auffassung des BGH unbefriedigend: 1. Der Strafrahmen ist bei der persönlich-qualifikationslosen Anstiftung zum Mord niedriger als bei der Anstiftung zum Totschlag. 2. Eine persönliche Qualifikation beim Teilnehmer kann, wenn sie beim Haupttäter fehlt, nicht erfasst werden[127]. Das missliche Ergebnis zu 1. sucht der BGH dadurch zu umgehen, dass er § 28 Abs. 1 nicht anwendet, wenn der Teilnehmer eine andere Qualifikation aufweist als der Täter[128]. Das Heilmittel, die niedrigen Beweggründe als tatbezogen anzusehen[129], hat der BGH jedoch zurückgewiesen (BGH 22, 375); er teilt hinsichtlich der „persönlichen Merkmale“ die h.L.[130]. Die Versuchung hierzu war groß, weil durch § 50 Abs. 2 a.F. die Verjährungsfrist verkürzt wurde[131]. Eine Mittäterschaft zwischen den §§ 212, 211 lässt der BGH zu, da Ersterer in Letzterem wie der Diebstahl im – ebenfalls selbstständigen – Raub enthalten sei[132].
In NJW 06, 1012 hat der BGH anerkannt, dass seiner Auffassung „gewichtige Argumente“ entgegengehalten werden, und damit eine mögliche Aufgabe seiner Auffassung angedeutet.
Als ob die Lage nicht schon verwirrend genug wäre, sieht eine Auffassung in der Wissenschaft § 28 Abs. 2 StGB nicht als Tatbestandsverschiebungs-, sondern als bloße Strafzumessungsregel an und tenoriert damit wie der BGH, bestraft aber wie die h.M. (Roxin AT § 27 Rn. 20; dagegen Küper JZ 06, 1163).
3. Übrig bleiben noch folgende Fälle:
a) der Teilnehmer kennt ein tatbezogenes Merkmal, z.B. die erhebliche Schmerzverursachung des Giftes, der Täter nicht. Hier kann wegen des überlegenen Wissens des Teilnehmers mittelbare Täterschaft bejaht werden[133].
b) der Teilnehmer nimmt fälschlich ein tatbezogenes Merkmal, z.B. die erhebliche Schmerzverursachung, an. Hier liegt neben der Teilnahme am Totschlag nur eine versuchte Teilnahme am Mord vor, die nur bei der Anstiftung strafbar ist (§ 30 StGB)[134].
Anmerkungen
Eser/Sternberg-Lieben S/S 48; Schröder JZ 69, 132; Welzel § 38 II 3 und JZ 52, 75; Maurach JuS 69, 249; Blei II § 6 IV; Arzt JZ 73, 681.
Maurach JuS 69, 256. A.A. daher Jakobs NJW 70, 1089.
Maurach JuS 69, 255; Jakobs NJW 70, 1089. A.A. Dreher JR 70, 146, auch hinsichtlich der Absicht der Befriedigung des Geschlechtstriebs, der Habgier und niedriger Beweggründe, die eine erfolgsgerichtete