des § 212[140]. Dem ist nur z.T. zuzustimmen. Der Affekttotschlag (§ 213 1. Alt.) behält nämlich seine selbstständige Bedeutung im Falle des Zusammentreffens mit Mordmerkmalen (u. 4): in diesem Falle übt er die unbedingte Sperrwirkung des milderen Tatbestandes aus[141]. Im Übrigen ist der h.L. beizutreten: § 213 enthält „unbenannte“ Strafmilderungsgründe (minder schwere Fälle).
§ 213 hat erhebliche praktische Bedeutung: er wird von den Tatgerichten bei ca. 19 % aller Verurteilungen wegen vorsätzlicher Tötung angewendet und vom BGH bei 25 % der Entscheidungen bejaht oder dem Tatrichter zur Prüfung aufgegeben (Eser NStZ 81, 431). Fälle, die früher als Mord galten, führen heute gerade noch zur Ablehnung des § 213 (z.B. BGH NJW 91, 1964). Aufgrund vielfältiger Kritik[142] hat das 6. StrRG die Strafdrohung verdoppelt. Dies beruht vor allem auf der fragwürdigen Anweisung von BGH 27, 4, wonach die Strafe für den „Durchschnittsfall“ im unteren Drittel des Strafrahmens liegen soll[143].
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2. a) Grundlage des Affekts ist eine dem Täter oder einem Angehörigen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1) zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung.
Weder „Misshandlung“ noch „schwere Beleidigung“ sind im eng tatbestandlichen Sinne zu verstehen. Entscheidend ist, dass die Handlung eine begreifliche Gemütserregung hervorrief. Daher gehören auch seelische Misshandlungen hierher, ohne dass sie „roh“ (vgl. § 225) zu sein brauchen, Bedrohungen (RG HRR 35, 312), Kränkungen, die nicht unbedingt als Beleidigung i.S. des § 185 zu gelten brauchen[144], Missachtungen des Hausrechts (BGH MDR/H 79, 987), ebenso unvorsätzlich zugefügte Misshandlungen, sofern sie nur vom Täter als bezweckt empfunden werden (OGH NJW 50, 315). Die „Schwere“ der Beleidigung ist objektiv zu bestimmen (BGH NStZ 81, 300; 82, 27); sie kann sich auch aus fortlaufenden leichteren Kränkungen ergeben[145], der „Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt“ (BGH StV 91, 105; NStZ-RR 96, 259; abl. Maatz aaO 99). Eine Verhältnismäßigkeit zur Schwere der Vortat ist nicht erforderlich[146], doch bedarf bei einem auffallenden Missverhältnis die Ursächlichkeit für die Tötungshandlung besonders sorgfältiger Prüfung (BGH LM § 213 Nr. 4; GA 70, 214). Da es nur auf den Affektwert und damit auf die impressive Wirkung dieser Akte ankommt, ist es unerheblich, ob sie wirklich begangen wurden und vom Opfer der Affektreaktion ausgingen: auch eine – „ohne eigene Schuld“! – nur vorgestellte Kränkung reicht zur Bildung eines verständlichen Affektes aus[147].
b) Der Täter muss „ohne eigene Schuld“ zum Zorn gereizt worden sein. Richtiger wäre die Formulierung: ohne genügende Veranlassung[148]. Ein vom Täter mitverschuldeter Affekt schließt zwar die Anwendbarkeit der 1. Alt. des § 213 aus, lässt aber die Möglichkeit der 2. Alt. bestehen (BGH NJW 68, 757).
c) Der Täter muss zum Zorn gereizt worden sein. Konkurrierende andere Beweggründe schließen § 213 1. Alt. nicht aus, sofern sie den Zorn nicht in eine unerhebliche Rolle verdrängt haben[149].
d) Der Affekt des Täters muss zwar, wie es sich aus den Worten „zur Tat hingerissen“ ergibt, ein hochgradiger sein, andererseits aber unterhalb der Marke des § 20 verbleiben, da sonst wegen Entfallens jeder Gegenmotivation Freispruch wegen Schuldunfähigkeit zu erfolgen hat; mithilfe des § 21 kann aber die Mindeststrafe des § 213 weiter unterschritten werden (s.u. Rn. 58).
e) Der Begriff des Handelns auf der Stelle ist, ebenso wie bei der Retorsion nach § 199 (vgl.u. § 27 III), nicht zeitlich, sondern psychologisch zu verstehen; erforderlich ist ein „motivationspsychologischer Zusammenhang“ zwischen der Misshandlung und der Tötungshandlung (BGH NJW 91, 1965; NStZ 95, 83). Daher kann zwischen Affektentstehung und Tat auch eine gewisse Zeitspanne liegen[150], sofern der Täter nur bei Tatausführung noch unter dem Einfluss der Gemütswallung steht. Das gleiche muss aber auch umgekehrt für die Verschuldung der Provokation gelten (BGH MDR 61, 1027).
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3. Für die sonstigen minder schweren Fälle gelten die allgemeinen Regeln. Es müssen also Verhältnisse vorliegen, die im konkreten Falle die Verhängung der Mindeststrafe aus § 212 immer noch als unerträglich hart erscheinen lassen (BGH MDR/D 75, 542). In Betracht kommen die Bindung an ausländische Wertvorstellungen (BGH NStZ 82, 115; 88, 351), die Verstrickung in ein Unrechtssystem und langer Zeitablauf (BGH 41, 341; NJW 97, 2729 – DDR-Unrecht), die Tötung eines Kindes durch die Mutter in der durch die Geburt ausgelösten Depression i.S. des durch das 6. StrRG aufgehobenen § 217 a.F.[151]. Bei verminderter Schuldfähigkeit besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen §§ 21, 49, 212 und 213[152], bei Versuch zwischen §§ 23 Abs. 2, 49, 212 und 213 (BGH StV 82, 72). Ohne eine Gesamtbetrachtung und -abwägung darf § 213 weder bejaht (BGH GA 80, 143) noch abgelehnt werden (BGH StV 82, 223).
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Angesichts der Weite des § 213 erlangt das Verbot der Doppelverwertung nach § 50 besondere Bedeutung. Nicht von § 49 erfasste (BGH StV 82, 72) sowie zusätzliche Milderungsgründe (BGH StV 83, 60; MDR/H 79, 987: Irrtum über die Grenzen der Gegenwehr) dürfen berücksichtigt werden, eine verminderte Schuldfähigkeit auch dann, wenn sie durch den bereits bei § 213 1. Alt. berücksichtigten Affekt verursacht ist[153]. Die den minder schweren Fall begründenden Umstände können bei der Strafzumessung nochmals berücksichtigt werden (BGH StV 83, 60), bei § 213 1. Alt. ist eine zusätzliche Herabsetzung des Strafrahmens möglich (BGH NStZ 84, 216).
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4. Ein Handeln „aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen“ (§ 211) schließt sowohl verständlichen Affekt als auch einen sonstigen „minder schweren Fall“ schlechthin aus; das gleiche gilt für eine Tötung, die „zur Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat“ begangen wird. Dagegen ist es wohl denkbar, dass eine mit gemeingefährlichen Mitteln begangene, eine objektiv „grausam“, ja eine objektiv „heimtückisch“ vorgenommene Tötung unter den Voraussetzungen des § 213, insbesondere unter der Wirkung eines Affektes stattfindet.
Eine einheitliche Beurteilung besteht nicht. Vom Standpunkt der strengen Exklusivität des § 211 einerseits, der §§ 212, 213 andererseits lehnt die Rechtsprechung es ab, beim Vorliegen einer Mordqualifikation gleichwohl auf § 213 abzustellen (BGH 11, 139), während die im Schrifttum h.L. aufgrund ihres Ausgangspunktes, dass Mord eine unselbstständige, durch die besondere Verwerflichkeit von Täter und Tat gekennzeichnete Abwandlung des Totschlags ist, grundsätzlich bereit ist, auch beim Vorliegen eines der oben genannten Mordmerkmale nur nach §§ 212, 213 zu verurteilen. Unsere vermittelnde Auffassung wurde bereits o. Rn. 28 f. dargetan[154].
Anmerkungen
Rissing-van Saan/Zimmermann LK 3; Eser/Sternberg-Lieben S/S 2; Welzel § 38 I 5; Fischer 1.
Zust. Otto § 2 14; Zwiehoff aaO mit überzeugendem Hinweis auf die Gesetzgebungsgeschichte; Deckers aaO. A.A. Seiler, Die Sperrwirkung im Strafrecht, 2002, S. 89 ff.
Herde ZRP 90, 458; Maatz aaO.
Nachw. zur Kritik bei La/Kühl Vor § 211 25.