b) Das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb von zwölf Wochen ohne Beratung (und ohne Verlangen) dient nach den Intentionen des Gesetzgebers dem Schutz des werdenden Lebens (BTD 12/2875 S. 103). Allerdings handelt es sich hier um eine bloße abstrakte Gefährdung. Angesichts der vorherigen Festlegung der meisten Schwangeren vor Aufsuchung der Beratungsstelle (Holzhauer aaO: 90 %) und der „Ergebnisoffenheit“ der Beratung (s.u. Rn. 44) besteht die Gefahr, dass sich der Unrechtsgehalt zu einem bloßen Formalienverstoß verflüchtigt.
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c) Das Rechtsgut des Verbots des Schwangerschaftsabbruchs durch Nichtärzte konnte nach dem SFHG nur die Gesundheit der Schwangeren sein[4]. Da § 218c entgegen BVerfGE 88, 212, 289 ff. dem abbrechenden Arzt keine wesentlichen Pflichten zur Kontrolle der Entscheidung der Schwangeren auferlegt hat (s.u. Rn. 57), ist dies auch weiterhin der Fall. Das Gleiche gilt für § 218c Abs. 1 Nr. 2.
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Aus dieser Rechtsgutsbestimmung ergeben sich wichtige Konsequenzen: 1. Aus der Selbstständigkeit des Rechtsguts werdendes Leben neben dem Leben und der Gesundheit der Schwangeren folgt, dass eine Einwilligung der Schwangeren allein keine rechtfertigende Wirkung haben kann. 2. Ferner folgt daraus, dass ein „Schwangerschaftsabbruch“ auch bei Tötung, entsprechender Verletzung oder Selbstmord der Schwangeren vorliegt (s.u. Rn. 29). 3. Aus der Einbeziehung der Gesundheit der Schwangeren folgt, dass nur bei Beschädigungen der Gesundheit der Schwangeren, sofern sie über die durch die Beseitigung der „Einnistung“ in den Körper der Schwangeren zwangsläufig gegebene Beeinträchtigung des Körpers der Schwangeren hinausgehen (s.o. § 1 Rn. 9), die §§ 223 ff. StGB zusätzlich eingreifen[5].
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Bei einem Verstoß gegen mehrere der hier aufgegliederten Verbote (Schwangerschaftsabbruch im 4. Monat ohne Beratung durch einen Nichtarzt) werden beide Rechtsgüter verletzt.
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Alle drei Verbote sind mit gleicher Strafe bedroht. Dies wird angegriffen, da es sich bei dem Abbruch ohne Beratung nur um einen Formverstoß handle, dessen Unrecht qualitativ mit dem der Verletzung der 12-Wochen-Frist nicht vergleichbar sei[6]. Indessen ist es überraschend, dass dieser Vorwurf einer zu hohen Bestrafung von Befürwortern eines nachdrücklichen Schutzes des werdenden Lebens erhoben wird. Der Schutz durch das Beratungserfordernis ist unzulänglich (s.o. Rn. 12) und auf die Beratung vorverlagert, beruht aber auf der Hoffnung der Rettung wenigstens einiger werdender Leben. Nicht wegen der hohen Strafdrohung wird der Beratungsschein zu einer Tötungserlaubnis[7].
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e) § 218b (Schwangerschaftsabbruch ohne Vorlage einer ärztlichen Feststellung, unrichtige ärztliche Feststellung) schützt das werdende Leben, allerdings nur mittelbar als abstraktes Gefährdungsdelikt[8]. Das Gleiche gilt für § 218c Abs. 1 Nr. 1 und 4.
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f) Die §§ 219a, 219b erfassen – mit den o. dargelegten Einschränkungen – abstrakte Gefährdungen des werdenden Lebens.
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3. Dagegen bezwecken die Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch nicht den Schutz des Bestands und der Lebenskraft des Volkes (so aber E 1962 S. 277; BGH 18, 285). In diesem Fall wäre der Schutz höchst unvollkommen; er hätte vornehmlich bei der insoweit quantitativ viel schädlicheren Empfängnisverhütung einzusetzen[9].
Anmerkungen
Anders für das bisherige Recht hier 7. Aufl., § 5 Rn. 18; BGH 28, 15; Jähnke LK10 Vor § 218 16; Kröger LK Vor § 218 28. Die Suche nach dem Rechtsgut „des § 218“ kann diese nur als „sekundär mitgeschützt,“ als „mittelbar geschützt,“ (Fischer Vor §§ 218 ff. 2), als „Schutzreflex“ (Kröger LK Vor § 218 28) begreifen.
BGH NStZ 08, 32. Weitergehend BGH 10, 312; 28, 11 m. Anm. Wagner JR 79, 295; GA 66, 339; 72, 162: Aufzehrung aller zum Zweck des Schwangerschaftsabbruches begangenen Körperverletzungen außer § 226 und bei bloßem Abbruchsversuch. Diese Urteile wollen aber die Mindeststrafe des verdrängten Körperverletzungstatbestandes berücksichtigen und anerkennen damit praktisch die Idealkonkurrenz.
v. Hippel FS Geerds 147; Otto Jura 96, 138 und BT § 13 32 f.; La/Kühl Vor § 218 16.
A.A. Otto Jura 96, 138 und BT § 13 32.
Eingehend Rudolphi/Rogall SK 6 f. Nachdrücklicher Hinweis auf die Funktion des Lebensschutzes bei BGH 38, 149 (damals noch § 219).
Radbruch VDB V 160; Eser/Weißer S/S Vor § 218 13.
1. Beginn der Schwangerschaft
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Die moderne Antikonzeptionsforschung hat ermittelt, dass das weibliche Ei nach Vereinigung mit der männlichen Samenzelle noch den Prozess der Einnistung in die Gebärmutter (Nidation) durchläuft, der etwa mit dem 13. Tage nach der Empfängnis abgeschlossen wird. Demgemäß wurden neue Antikonzeptionsmittel entwickelt, mit denen die Nidation verhindert wird („Pille danach“, Intrauterinpessar = „Spirale“[10]). Da die Nidation von Natur aus nur in etwa 50 % aller Fälle erfolgt, hatte sich schon zum bisherigen Recht die Auffassung gebildet, dass unter der von §§ 218 ff. geschützten „Leibesfrucht“ nur das eingenistete befruchtete Ei zu verstehen war[11].
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Die häufige Begründung mit der Möglichkeit der Mehrlingsbildung und damit der fehlenden Individuation vor der Nidation ist dagegen verfehlt, da die Potenz zur Lebensvermehrung nicht zu einer Einschränkung des Schutzes führen darf (Lüttger JR 69, 451).
Für den „Schwangerschaftsabbruch“ gilt dies schon vom Begriff her. Gleichwohl stellt § 218 Abs. 1 S. 2 es noch einmal ausdrücklich fest[12]. Diese Festlegung gilt für alle im StGB enthaltenen Vorschriften, also insbesondere auch die §§ 218b, 219a, 219b.
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Während § 218 i.d.F. des 5. StrRG eine formale Bestimmung vorgesehen hatte („später als am dreizehnten Tage nach der Empfängnis“), stellt § 218 Abs. 1 S. 2 auf das materielle Ereignis der Einnistung ab. Aus dieser scheinbar bedeutungslosen (SA-Berat. 7/2433) Änderung ergeben sich wichtige Folgen: 1. Die Verwendung ausschließlich nidationshemmender Mittel ist straflos, auch wenn die Wirkung ausnahmsweise nach dem 13. Tag der Empfängnis eintritt[13]. 2. Die Anwendung von Mitteln zur Abtötung der eingenisteten Leibesfrucht ist strafbar, auch wenn sie ausnahmsweise