im System des Strafrechts, JZ 95, 737; Huhn, Nötigende Gewalt mit und gegen Sachen (Diss. FU Berlin), 2007; Jakobs, Nötigung durch Drohung als Freiheitsdelikt, FS Peters 1974, 69; Jakobs, Nötigung durch Gewalt, GS H. Kaufmann 1986, 791; Kargl, Zur objektiven Bestimmung der Nötigung, FS Roxin 2001, 905; Keller, Strafrechtlicher Gewaltbegriff und Staatsgewalt, 1982; Keller, Die neue Entwicklung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs in der Rechtsprechung, JuS 84, 109; Klee, Nötigung und Erpressung, DStR 43, 125; Klein, Zum Nötigungstatbestand – Strafbarkeit der Drohung mit einem Unterlassen, 1988; Köhler, Nötigung als Freiheitsdelikt, FS Leferenz 1983, 511; Kostaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, 1982; Kostaras, Die Auflösung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs, JA 70, 19, 77, 141; Krey, Probleme der Nötigung mit Gewalt – dargelegt am Beispiel des Fluglotsenstreiks, JuS 74, 418; Krey/Neidhardt, Was ist Gewalt?, 1986; Lampe, Die strafrechtliche Bewertung des „Anzapfens“ nach § 240 StGB und § 12 UWG, FS Stree/Wessels 1993, 449; Lesch, Die Nötigung als Delikt gg. die Freiheit, FS Rudolphi 04, 483; Müller-Dietz, Zur Entwicklung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs, GA 74, 33; Niese, Streik und Strafrecht, 1954; Pelke, Die strafrechtliche Bedeutung der Merkmale „Übel“ und „Vorteil“, 1990; Roxin, Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit als unrechtsbegründende Merkmale im Strafrecht, JuS 64, 373; Schroeder, Schreien als Gewalt und Schuldspruchberichtigung durch Beschluss – BGH, NJW 1982, 189, JuS 82, 491; Schroeder, Nötigung und Erpressung durch Forderung von Gegenleistungen?, JZ 83, 284; Schroeder, Die Grundstruktur der Nötigung und die Möglichkeiten zur Beseitigung ihrer durch das BVerfG geschaffenen Lücken, NJW 96, 2627; Schroeder, Die drei Arten der Nötigung, FS Gössel 2002, 415; Sinn, Die Nötigung im System des heutigen Strafrechts, 2000; Sommer, Lücken im Strafrechtsschutz des § 240 StGB, NJW 85, 769; Timpe, Die Nötigung, 1989; Vianden-Grüter, Der Irrtum über die Voraussetzungen, die für § 240 Abs. 2 beachtlich sind, GA 54, 359; Wolter, Gewaltanwendung und Gewalttätigkeit, NStZ 85, 193, 245; ferner das in § 12 genannte Schrifttum.
I. Geschichtliche Entwicklung – Rechtsgut
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1. Der Tatbestand der Nötigung ist ein Kind der Aufklärung, und zwar der deutschen Aufklärung[1]. Ein allgemeines, auf die persönliche Freiheitssphäre bezogenes Delikt war dem Altertum und auch der Neuzeit fremd; die PGO kannte keinen entsprechenden Tatbestand. Soweit das ausländische Recht eine entsprechende allgemeine Vorschrift neben der allgemein anerkannten Freiheitsberaubung enthält, sind die Wege des deutschen Rechtsdenkens überall nachweisbar; soweit das moderne ausländische Recht selbstständig aufwuchs, enthält es nur spezialisierte Freiheitsdelikte (so kennt der Code Pénal, das Strafgesetzbuch des klassischen Landes der Aufklärung und Individualfreiheit, keinen Sondertatbestand der Nötigung).
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Erstmals wurde die Nötigung im preuß. ALR (II 20 § 1077) zusammen mit der Freiheitsberaubung genannt. Eine auch äußere Trennung der Nötigung von der Freiheitsberaubung brachte § 212 preuß. StGB 1851 unter gleichzeitiger Einschränkung auf die Drohung mit Verbrechen oder Vergehen. Das StGB für den Norddt. Bund von 1870 sah entsprechend dem Recht der meisten übrigen deutschen Staaten auch die Begehung mit Gewalt vor.
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Durch die StrafrechtsangleichungsVO vom 29.5.43 erhielt § 240 eine neue, den Erkenntnissen der modernen Dogmatik entsprechende aufgelockerte Fassung. Maßgebend für die Neufassung war die in jahrzehntelanger Praxis gewonnene Erkenntnis, dass die alte Fassung des Tatbestandes einerseits zu eng (als Drohungsmittel kamen nur Straftaten in Betracht), andererseits zu formalistisch war, weil das Gesetz auf den entscheidenden Punkt, das (unangemessene) Verhältnis zwischen Mittel und Zweck, keine Rücksicht genommen und die Abgrenzung der sozial noch tragbaren Willensbeeinflussung von der strafwürdigen Nötigung allein dem Gewohnheitsrecht überlassen hatte. Hier schuf die VO von 1943 entsprechend früheren Reformwünschen Wandel. Abs. 1 lockerte die Drohungsmittel auf, Abs. 2 gab dem Richter die Möglichkeit, sozialadäquate „Nötigungen“ von solchen strafwürdiger Art schon im Tatbestand abzuscheiden, indem die Grenzen – wenn auch in der unvermeidlichen Form einer Generalklausel – vom Gesetz selbst wertend gezogen wurden: „Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Zufügung des angedrohten Übels zu dem angestrebten Zweck dem gesunden Volksempfinden widerspricht“. Schließlich wurde in Anbetracht der Einbeziehung der Erpressung in Österreich und der Aufhebung des § 339 (Nötigung im Amt) der Strafrahmen erheblich erhöht, was insbesondere zur Auffassung des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (§§ 113 f. StGB) als „Privilegierung“ gegenüber der Nötigung geführt hat (s. Tlbd. 2, § 71 Rn. 3)[2].
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Der typisch nationalsozialistische Begriff des „gesunden Volksempfindens“ führte dazu, dass nach 1945 erhebliche Unsicherheit in Theorie und Praxis über die weitere Anwendbarkeit des § 240 entstand. Erst nach geraumer Zeit setzte sich die unbeschränkte Fortgeltung des § 240 durch, zumal die Einführung des Regulativs des „gesunden Volksempfindens“ in § 240 nicht – im Gegensatz zu § 2 i. d. Fassung vom 28.6.35 – eine Haftungserweiterung, sondern im Gegenteil eine Haftungsbeschränkung bedeutete[3]. Das 3. StÄG strich den suspekten Ausdruck, ohne sachlich viel ändern zu wollen oder zu können: denn materiell ist die Grenzlinie zwischen erlaubter und verbotener Willensbeeinflussung stets nur nach den ethischen Wertvorstellungen aller gerecht und billig Denkenden zu ziehen; was „verwerflich“ ist, bestimmt sich allein nach diesen[4].
Trotz der erheblichen Schwierigkeiten bei der Auslegung (s.u.) hat das österreichische StGB von 1974 eine gleichartige Klausel eingeführt (§ 105).
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Verfassungsbeschwerden gegen die Unbestimmtheit des Tatbestandes verfehlten 1986 knapp die erforderliche Mehrheit, allerdings um den Preis, dass das BVerfG eine detaillierte Prüfung der Verwerflichkeit in jedem Einzelfall verlangte und damit einerseits den Gerichten kaum zumutbare Feststellungen abverlangte, andererseits die Rechtsunsicherheit eher noch vergrößerte[5]. Das verlockte dazu, jede Verurteilung wegen Nötigung vor dem BVerfG anzugreifen[6]. Die Bestrafung von Aufforderungen zur Verkehrsblockade war praktisch nicht mehr möglich[7]. Am 10.1.95 hat das BVerfG dann entschieden, dass die Beurteilung von Sitzblockaden als Gewalt gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 92, 1; näher u. Rn. 17).
Reformvorschläge bei § 116 AE; Wolter NStZ 86, 241; Baumann NJW 87, 36; ZRP 87, 265; Arth. Kaufmann NJW 88, 2583; Schwind/Baumann u.a. (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, 1990, Bd. I, S. 136, 216 Bd. II S. 811, 888, 901; Otto NStZ 92, 568; BTD 12/ 2166 (SPD), 2366 (Bündnis 90/Grüne), BR-Dr 247/95 (Bayern); Schroeder NJW 96, 2627.
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2. Der Tatbestand der Nötigung schützt umfassend die Handlungsfreiheit.
Binding (I 80) unterschied die Fähigkeit zur Willensbildung (Angriff vor allem durch Betäubung), die Fähigkeit zur Willensbetätigung (Angriff vor allem durch Gewalt) und die Freiheit der Entschließung nach eigenen Motiven (Angriff vor allem durch Drohung). Dieser Ansatz, besser formuliert als Unterscheidung zwischen der Willensbildungsfähigkeit, der Willensbildungsfreiheit und der Willensbetätigungsfreiheit, ist bis heute gültig. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um die Rechtsgüter, sondern um die Angriffsobjekte der Nötigung (Schroeder FS Gössel 425).
Ein ausdrücklicher Schutz der „Entschlussfreiheit“ findet sich in den §§ 316a und 316c, wobei die Beschränktheit aber wohl kaum gesehen wurde (s.u. § 35 Rn. 50; Tlbd. 2, § 53 Rn. 51 ff.).
Einengend sieht Jakobs die Nötigung als „Freiheitsverschiebungsdelikt“