href="#ue5b24af2-1ea8-420a-aff7-32bc5e7f8587">Fall 3 weder zu einer Haftung des Minderjährigen nach § 1301 noch zu Ansprüchen aus § 1298. Gegen die Einordnung als Vertrag und eine vertragliche Bindung spricht, dass ein jederzeitiger Rücktritt vom Verlöbnis schon wegen der Eheschließungsfreiheit möglich sein muss und möglich ist (vgl. § 1298). Die Annahme, dass dem Eheversprechen normale Willenserklärungen zugrunde liegen, würde außerdem voraussetzen, dass die Verlobten bereits durch das Eheversprechen Rechtsfolgen herbeiführen wollen, was regelmäßig aber erst durch die Eheschließung bewirkt werden soll. Außerdem sieht § 1298 eine Ersatzberechtigung auch für die Eltern des verlassenen Verlobten vor – dies ist mit einem Vertrag als relativem Schuldverhältnis nicht vereinbar; dass das Verlöbnis (auch) ein Vertrag zugunsten Dritter oder mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter sei, wird – soweit ersichtlich – von niemandem behauptet.
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Teilweise wird das Verlöbnis als familienrechtlicher Vertrag sui generis betrachtet. Zu einem wirksamen Abschluss dieses Vertrages komme es nicht auf die §§ 106 ff. an, sondern auf eine besondere „Verlöbnisfähigkeit“, für die teils auf individuelle geistige Reife, teils auf die Ehemündigkeitsvorschrift (§ 1303 analog) abgestellt wird; in letzterem Fall scheidet ein Verlöbnis eines Minderjährigen nunmehr aus, weil die Ehe nur noch durch Volljährige geschlossen werden kann (dazu Rn. 91 f.). Wieder andere gehen von geschäftsähnlichen Handlungen aus, auf die die Normen über Willenserklärungen nur soweit passend entsprechend heranzuziehen seien.[11] Dass mit dieser Ansicht erhebliche Rechtsunsicherheit einhergeht, liegt auf der Hand.
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Überzeugend ist die Ansicht, die im Verlöbnis ein cic-ähnliches Vertrauensverhältnis sieht.[12] Für einen solchen Vertrauenstatbestand bedarf es keiner Willenserklärungen, vielmehr ist nur erforderlich, dass jeder Verlobte durch sein Verhalten in zurechenbarer Weise die Grundlage für ein berechtigtes Vertrauen des anderen auf das künftige Zustandekommen der Ehe setzt. Mit dieser Auffassung lässt sich gut erklären, warum und dass es keine (einklagbaren) Primärleistungspflichten gibt, wohl aber sekundäre Ansprüche wegen enttäuschten Vertrauens. Schwierigkeiten ergeben sich aber daraus, dass man den genauen Zeitpunkt des Verlöbnisses nicht immer sicher bestimmen kann. Beim Verlöbnis eines Minderjährigen – wie in Fall 3 – wird zu dessen Schutz ein dem Minderjährigen zurechenbarer Vertrauenstatbestand in der Regel erst dann anzunehmen sein, wenn die Eltern zugestimmt haben; vorher darf der andere Verlobte nicht auf das Versprechen des Minderjährigen vertrauen.[13] Angesichts dieser Einschränkung der Vertrauenshaftung bei Minderjährigen ist der Unterschied zur Vertragstheorie freilich nicht mehr groß.
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In Fall 3 kann M seine Zuzahlung in Höhe von 500 € daher nicht nach § 1301 zurückverlangen: Die Vertragstheorie begründet dies damit, dass ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter nach §§ 106 ff. kein wirksames Verlöbnis zustande kam, und nach der Vertrauenshaftungslehre fehlt ein haftungsbegründender Vertrauenstatbestand, weil M auf das bloße Versprechen der F nicht vertrauen darf, wenn deren Eltern davon nichts wissen; das bloße Zusammenziehen (das bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung mit Einwilligung der Eltern der F geschah) stellt ebenfalls keine ausreichende Vertrauensbasis dar.
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In Fall 4 wäre das Verlöbnis zwischen A und dem noch verheirateten B nach der Vertragstheorie wohl wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 nichtig.[14] Die Vertrauenshaftungstheorie würde § 138 dagegen nicht anwenden, weil die Verlobung keinen rechtsgeschäftlichen Charakter hat. Erforderlich ist danach nur ein ernsthaftes Eheversprechen, das hier deshalb zweifelhaft ist, weil B noch verheiratet ist. Angesichts des bereits gestellten Scheidungsantrags darf A das Eheversprechen des B jedoch als ernsthaft werten. In einem solchen Fall lässt sich mithin ein hinreichender Vertrauenstatbestand – aus objektiver Sicht der A – bejahen. Die beiden Ansichten kommen also zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › II. Verlöbnis › 3. Anspruch auf Schadensersatz aus § 1298 bei unbegründetem Rücktritt
3. Anspruch auf Schadensersatz aus § 1298 bei unbegründetem Rücktritt
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Fall 5:
A und B sind seit kurzem glücklich verlobt. Das Schicksal spielt den beiden indes übel mit. A wird bei einem Unfall, den der Dritte D allein verschuldet hat, schwerstverletzt und pflegebedürftig. B sieht sich mit der Pflege der A überfordert und tritt deshalb vom Verlöbnis zurück. Sind die von A getätigten Aufwendungen für die Hochzeit von B zu erstatten? Abwandlung: Ändert sich etwas, wenn A den Unfall selbst verschuldet hat?
Fall 6:
A und B sind seit kurzem verlobt. A versteht sich indes mit den Schwiegereltern nicht besonders gut. Und auch im Übrigen bereut sie bereits, dass sie sich mit B verlobt hat. A provoziert daher die Schwiegereltern so lange, bis es zu einem endgültigen Zerwürfnis mit diesen kommt. Noch bevor ihr B die Verlobung „aufkündigen“ kann, lässt sie ihn wissen, dass sie „Abstand von der Eheschließung“ nimmt. Sind die von B getätigten Aufwendungen für die Hochzeit von A zu erstatten?
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Relevanz hat der Theorienstreit (Rn. 68 ff.) in erster Linie für die Anwendbarkeit der Ansprüche aus §§ 1298, 1299 und § 1301. Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch nach § 1298 ist nämlich ein wirksames Verlöbnis. Darüber hinaus setzt § 1298 dessen Auflösung durch Rücktritt des Anspruchsgegners ohne wichtigen Grund (§ 1298 Abs. 3) oder durch schuldhafte Veranlassung des Rücktritts des Anspruchstellers (§ 1299) voraus. Anspruchsberechtigt sind: der betroffene Ehegatte, dessen Eltern und dritte Personen, die an Stelle der Eltern gehandelt haben. Ersatzfähig sind Schäden in Form von Aufwendungen und eingegangenen Verbindlichkeiten oder Nachteile, die ein Verlobter dadurch erleidet, dass er in Erwartung der Ehe sonstige sein Vermögen oder seine Erwerbsstellung berührende Maßnahmen getroffen hat, soweit sie einen angemessenen Umfang nicht übersteigen (§ 1298 Abs. 2).[15]
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Schwierigkeiten bereitet die Frage, welche Umstände einen wichtigen Grund i.S.v. § 1298 Abs. 3 bilden und wie sich dieser Grund zum Verschuldenserfordernis in § 1299 verhält. Ändert ein Verlobter seine Meinung dahingehend, dass er die Ehe doch nicht schließen will, stellt ein solcher Gesinnungswandel selbstverständlich einen triftigen Grund für einen Rücktritt dar, aber es ist kein „wichtiger Grund“ i.S.v. § 1298 Abs. 3. Ein rechtlich folgenloser Rücktritt ist nur gerechtfertigt, wenn die Beweggründe auf Ursachen zurückzuführen sind, die nach der Verlobung eingetreten oder bekannt geworden sind. Der andere Verlobte darf auf das Eheversprechen nur insoweit vertrauen (und wird dementsprechend durch die Ersatzpflicht geschützt), als sich die Umstände seit dem Eheversprechen nicht (aus subjektiver Sicht[16]) wesentlich verändert haben. Man kann auch danach fragen, in wessen Risikobereich der Rücktrittsgrund fällt: Ein Wechsel der eigenen Gefühlslage ist dem Lebensrisiko des Zurücktretenden zuzurechnen und stellt deshalb keinen wichtigen