Einen Sonderfall der Doppelehe regeln §§ 1319, 1320 bei Wiederverheiratung nach fälschlicher Todeserklärung. Dieser Fall ist nicht als Eheverbot, sondern nur als Aufhebungsgrund geregelt; die alte Ehe wird mit der Schließung der neuen Ehe aufgelöst und bleibt aufgelöst, selbst wenn die Todeserklärung aufgehoben wird.
b) Inzestverbot (§ 1307)
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Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern (vgl. § 1589). Dies gilt auch, wenn das Verwandtschaftsverhältnis durch Annahme als Kind erloschen ist. Der Beischlaf zwischen Verwandten (nicht die Eheschließung) ist außerdem strafbar (§ 173 StGB). Eine Heilung dieses Fehlers ist nicht möglich; die Verwaltungsbehörde soll auch hier einen Aufhebungsantrag stellen (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3). Die Regelung ist – insbesondere in Bezug auf den Straftatbestand bei Geschwisterinzest – verfassungs- und EMRK-konform.[30]
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Dieses Eheverbot spiegelt ein in der Gesellschaft tief verwurzeltes Tabu. Es begründet sich zum einen daraus, dass es bei einer Fortpflanzung innerhalb des Familienverbands statistisch zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von genetischen Defekten kommt, zum anderen soll die Rolle jedes Familienmitglieds nicht durch das Nebeneinander von unterschiedlichen statusrechtlichen Verbindungen unklar werden.[31]
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Ist die Verwandtschaft i.S.v. § 1307 durch Adoption begründet worden und liegt damit eine rein rechtliche, keine biologische Verbindung der Eheschließenden vor, „soll“ ebenfalls eine Ehe unterbleiben, aber es kann Befreiung erteilt werden, § 1308. Ein Verstoß ist sanktionslos, aber der Standesbeamte muss die Trauung verweigern, wenn er das Eheverbot erkennt.
Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › IV. Fehlerquellen im Einzelnen › 3. Willensmängel
3. Willensmängel
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Fall 8:
M und F haben 2018 geheiratet, um einem wenige Monate vorher von F geborenen, vermeintlich von M stammenden und von ihm anerkannten Kind eine Familie zu geben. Zwei Jahre später bringt F ein zweites Kind zur Welt. Nun wird rechtskräftig festgestellt, dass M nicht der Vater des ersten Kindes ist. M will sich von der inzwischen arbeitslos gewordenen F „augenblicklich scheiden“ lassen.
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Willensmängel nach § 1314 Abs. 2 Nr. 2–4 berechtigen zur Aufhebung der Ehe, es sei denn, die Ehe wurde bestätigt, indem der betroffene Ehegatte nach Entdecken des Irrtums oder der Täuschung oder nach Aufhören der Zwangslage zu erkennen gegeben hat, dass er die Ehe fortsetzen will, § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 4.
a) Irrtum (§ 1314 Abs. 2 Nr. 2)
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Die Ehe kann aufgehoben werden, wenn ein Ehegatte bei der Eheschließung nicht gewusst hat, dass es sich um eine Eheschließung handelt. Fälle dazu sind selten. Das AG Prüm wurde berühmt, als es einem Aufhebungsantrag stattgegeben hat, weil eine der deutschen Sprache unkundige Vietnamesin an einer Zeremonie teilgenommen und erst Jahre später erfahren hat, dass es sich um ihre eigene Trauung und nicht – wie gedacht – um den Erwerb einer Lebensversicherung handelte.[32]
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Sind türkische Eheleute bei der standesamtlichen Trauung in Deutschland trotz der Erläuterungen des Standesbeamten der Meinung, dass diese noch keine Rechtsfolgen erzeuge, sondern die Ehe erst mit der traditionellen religiösen Hochzeitsfeier zustande komme, liegt kein zur Aufhebung berechtigender Irrtum nach § 1314 Abs. 2 Nr. 2 vor.[33] Auch bei einem Irrtum über die Identität des anderen Ehegatten (z.B. eines Zwillings) oder einem Irrtum über dessen Eigenschaften liegt kein Aufhebungsgrund nach Nr. 2 vor (ggf. aber Nr. 3).
b) Arglistige Täuschung (§ 1314 Abs. 2 Nr. 3)
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Die Aufhebung der Ehe kann ferner verlangen, wer durch arglistige Täuschung zur Eingehung der Ehe bestimmt wurde, und zwar über solche Tatsachen, die ihn bei Kenntnis und „richtiger Würdigung des Wesens der Ehe“ von der Eheschließung abgehalten hätten. Anders als bei § 123 sind Täuschungen hinsichtlich der Vermögensverhältnisse irrelevant und bei der Täuschung durch einen Dritten reicht es nicht, wenn der andere Ehegatte die Täuschung hätte kennen müssen (so § 123 Abs. 2), sondern es kommt auf die positive Kenntnis des Ehegatten an. Eine Täuschung über die Religionszugehörigkeit soll bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe kein Grund zur Aufhebung sein.[34]
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Problematisch sind Fälle, in denen – wie in Fall 8 – bestimmte Umstände verschwiegen wurden (z.B. Vorstrafen,[35] Homosexualität, Erbkrankheiten[36]). Eine arglistige Täuschung durch Verschweigen bestimmter Tatsachen kann nur dann angenommen werden, wenn eine Offenbarungspflicht besteht; eine solche kann sich zwischen den Verlobten aus § 241 Abs. 2 ergeben (vgl. Rn. 67). Vorhandene voreheliche Kinder sind nach h.M. ebenso ungefragt zu offenbaren[37] wie der Umstand, dass das erwartete Kind nicht von dem Mann abstammt, der anlässlich der Schwangerschaft die Ehe eingeht.[38] Man wird zwar keine generelle Offenlegung vorehelicher Intimbeziehungen verlangen können, aber auf eine mögliche anderweitige Vaterschaft muss die Frau (auch wenn sie selbst nicht sicher weiß, wer der Vater ist) aufgrund der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 jedenfalls dann hinweisen, wenn der Mann davon ausgeht, selbst der Vater zu sein und vor allem deshalb zur Eheschließung bereit war.
c) Drohung (§ 1314 Abs. 2 Nr. 4)
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Eine Ehe unterliegt auch dann der Aufhebung, wenn ein Ehegatte durch den anderen oder durch einen Dritten widerrechtlich durch Drohung zur Eingehung der Ehe bestimmt worden ist. Um Zwangsheiraten stärker als bisher als strafwürdiges Unrecht zu ächten, wurde 2011 ein eigener Straftatbestand in § 237 StGB geschaffen.[39] Zugleich wurde § 1317 Abs. 1 S. 1 neu gefasst und die Antragsfrist für einen Eheaufhebungsantrag auf drei Jahre verlängert, um Betroffenen zu helfen, die infolge Traumatisierung vielleicht erst nach Ablauf der vormals vorgesehenen Jahresfrist in der Lage sind, die Aufhebung der Ehe zu beantragen.
Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › IV. Fehlerquellen im Einzelnen › 4. Einvernehmliche Scheinehe
4. Einvernehmliche Scheinehe
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Wollen die Ehegatten insgeheim keine eheliche Lebensgemeinschaft begründen, liegt eine aufhebbare Scheinehe vor. Der Mangel wird geheilt, wenn die Ehegatten nach der Eheschließung doch miteinander gelebt haben, § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 5; ansonsten „soll“ die zuständige Verwaltungsbehörde den Aufhebungsantrag stellen (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3), wenn die Scheinehe ans Licht kommt. Von § 1311 S. 2 werden Fälle