Herbert Diemer

Jugendgerichtsgesetz


Скачать книгу

Desgleichen wird es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebieten, den Jugendlichen vor der Verhängung des Arrestes eindringlich – gegebenenfalls unter nochmaligem Hinweis auf die Ungehorsamsfolge – zur Erfüllung der Weisung zu ermahnen. Ist Jugendarrest gem. § 11 Abs. 3 S. 1 zu verhängen, so empfiehlt es sich, zunächst ein solches Maß festzusetzen, das im Wiederholungsfall gesteigert werden kann, falls sich dies aus erzieherischen Gründen als notwendig erweist (Nr. 3 RiJGG zu § 11). Schließlich darf der Ungehorsamsarrest wegen seiner einschneidenden Wirkung und seines für den Anwendungsbereich der Erziehungsmaßregeln atypischen Charakters nur bei erheblichen Verstößen angeordnet werden (allg. M.).

      21

      Die Verhängung des Ungehorsamsarrests lässt den Bestand der Weisung selbst unberührt. Dies ergibt sich aus § 11 Abs. 3 S. 3. Auch die Vollstreckung des Arrestes hebt die Weisung selbst nicht auf (s. Rn. 11, 12; allg.M.; a.A. nur Ostendorf § 11 Rn. 12). Eine derartige Regelung existiert nicht und ist auch trotz der Änderung von Abs. 3 Satz 3 durch das 1. JGGÄndG (s. Rn. 11) nicht geschaffen worden. Sie widerspräche auch dem Wesen des Ungehorsamarrestes, der die Erziehungsmaßregeln weder ersetzen will noch seiner Natur nach kann, sondern gerade der Durchsetzung der erzieherischen Intention des erkennenden Gerichtes dient (s. Rn. 11). Anderenfalls könnte es der Jugendliche auch darauf anlegen, lieber den Arrest zu verbüßen, anstatt die Weisung zu erfüllen, womit deren erzieherische Funktion (man denke etwa an die Anordnungen, bei einer Familie zu wohnen, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen, sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen oder sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person zu unterstellen) ihren Sinn verlöre. Dem Gericht bleibt es jedoch im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens unbenommen, von der Weisung nach Vollzug des Arrestes zu befreien oder diese zu ändern, dies aber nur dann, wenn es aus Gründen der Erziehung geboten ist (§ 11 Abs. 2; s. Rn. 4). Ein dem Erziehungsgedanken des JGG zuwiderlaufender Automatismus ist damit ausgeschlossen.

      22

      Gemäß § 11 Abs. 3 S. 3 muss das Gericht von der Vollstreckung des Ungehorsamsarrestes absehen, wenn der Jugendliche nach dessen Verhängung der Weisung nachkommt. Anders als früher (s. Rn. 11) ist die neue Regelung zwingend. Der Gesetzgeber hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass eine solche eindeutige und ausnahmslose Regelung aus erzieherischen, vor allem jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen zur Reduzierung von Ungehorsamsarrest auf das unerlässliche Maß zwingend geboten sei (BT-Drucks. 11/7421, S. 21). Satz 3 verdeutlicht damit gleichzeitig die Rechtsnatur des Ungehorsamsarrestes als Beugemaßnahme (s. Rn. 11), deren Zweck erfüllt ist, wenn der Jugendliche der Weisung folgt. Zuständig für die Entscheidung ist das Gericht des ersten Rechtszugs (§ 65 Abs. 1) und zwar auch dann, wenn der Jugendliche die Weisung erst erfüllt, nachdem die Vollstreckung bereits an den Vollstreckungsleiter am Sitz der Arrestanstalt abgegeben worden ist (BGHSt 48, 1 = NJW 2003, 370; Böttcher/Weber NStZ 1991, 8). Das Absehen von der Vollstreckung erfolgt durch Beschluss gem. § 65. Gründe der Rechtssicherheit und der erzieherischen Klarheit verbieten es, lediglich die Verbotsfrist entsprechend § 87 Abs. 4 abzuwarten.

      23

      Ein Absehen von der Vollstreckung eines verhängten Ungehorsamsarrests gemäß § 154 StPO, § 47 JGG im Hinblick auf eine anderweitige Verurteilung zur Jugendstrafe oder zu einem Zuchtmittel kommt nicht in Betracht (a.A. Brunner/Dölling 11. Aufl. § 11 Rn. 7; unentschieden Eisenberg § 11 Rn. 23, jeweils ohne Begründung). § 154 StPO, § 47 JGG sind strafverfahrensrechtliche Vorschriften, die ihrer Natur nach auf das Arrestverfahren gem. § 11 Abs. 3, § 65 nicht, auch nicht entsprechend anwendbar sind. Für eine derartige Analogie besteht weder die erforderliche Gesetzeslücke noch ein sonstiges Bedürfnis. Die verschiedenen Verurteilungen können nämlich gemäß §§ 31, 66 Abs. 1 zu einer einheitlichen Festsetzung von Maßnahmen oder Jugendstrafe zusammengezogen werden. Geschieht dies aus erzieherischen Gründen nicht (§ 66 Abs. 1 S. 2, § 31 Abs. 3), so ist damit gleichzeitig ausgesprochen, dass jedes Urteil für sich auch durchgesetzt werden muss. Ein Absehen von Ungehorsamsarrest in den genannten Fällen widerspräche damit dem Gesetz (§ 31 Abs. 3, § 66 Abs. 1 S. 2).

      24

      Die Entscheidung in den Fällen der Abs. 2 und 3 ergeht gem. § 65 durch Beschluss, der zu begründen ist. Die Entscheidung trifft der Richter des ersten Rechtszuges nach Anhörung des Staatsanwaltes und des Jugendlichen (§ 65 Abs. 1 S. 1). Ist die Auswahl und Anordnung von Erziehungsmaßregeln gem. § 53 dem Familiengericht überlassen worden, so kann dieser zwar die nach § 11 Abs. 2 erforderlichen Entscheidungen treffen (s. Rn. 9), nicht jedoch Jugendarrest gem. § 11 Abs. 3 anordnen. Hierzu ist nur der Jugendrichter befugt (§ 53 Rn. 17; allg.M.), denn § 53 gestattet nur die Übertragung der Auswahl und Anordnung der Erziehungsmaßregeln, nicht weiterer jugendrichterlicher Entscheidungen. Gegen die Anordnung von Ungehorsamsarrest ist die weitere Beschwerde nicht statthaft, da es sich nicht um eine einer Verhaftung i.S.v. § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO gleichzustellende Maßnahme handelt (OLG München NStZ 2012, S. 166). Zu den Rechtsbehelfen im Übrigen sowie zur örtlichen Zuständigkeit s. § 65, zu den Besonderheiten bei Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten s. § 104 Abs. 4, § 112 S. 3.