Herbert Diemer

Jugendgerichtsgesetz


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des 18. Lebensjahres endet gemäß §§ 27, 30, 34 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII der Anspruch auf Erziehung, so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt auch die gem. § 12 richterlich angeordnete Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Erziehung, die in allen Fällen unbefristet angeordnet wird, beendet ist. Für die Anwendbarkeit des § 12 ist hinsichtlich des Alters der Zeitpunkt der Entscheidung maßgebend (allg.M.). Der Jugendrichter wird deshalb davon absehen, gegen einen Jugendlichen, der kurz vor der Vollendung des 18. Lebensjahres steht, eine Erziehungsmaßregel nach § 12 auszusprechen, da diese Verpflichtung von dem Jugendlichen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr befolgt werden kann.

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      Eine Ungehorsamsfolge für Zuwiderhandlungen gegen eine Anordnung nach § 12 ist gesetzlich nicht vorgesehen; § 11 Abs. 3 gilt nicht. Da der Richter die Erziehungsbeistandschaft bzw. die Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht nicht selbst anordnen, sondern dem Jugendlichen nur auferlegen kann, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist eine Vollstreckung des Urteils praktisch ausgeschlossen, wenn der Jugendliche dieser Verpflichtung nicht nachkommt. Der Richter wird daher in entsprechenden Fällen nach pflichtgemäßem Ermessen (s. Rn. 18) zu prüfen haben, ob er zur Erfüllung seiner Aufgaben im Rahmen der Strafrechtspflege nicht besser von § 10 Gebrauch macht und auf Maßnahmen nach § 12 verzichtet.

II. Die einzelnen Maßnahmen

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      Entscheidungen nach § 12 stehen unter den allgemeinen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für die Anordnung von Erziehungsmaßregeln (s. besonders § 5 Rn. 4–7; § 9 Rn. 4–8). Im Rahmen des § 3 Satz 2 darf der Jugendrichter die Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung nur dann anordnen, wenn die aus der Straftat ersichtliche Gefährdung des Kindeswohls auf das Verschulden der Eltern oder Dritter zurückzuführen ist (§ 1666 BGB, s. § 3 Rn. 36).

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      Der Eintritt der Maßnahmen nach § 12 setzt ein rechtskräftiges Urteil voraus (Dallinger/Lackner § 12 Rn. 31). Eine Anordnung im Beschlusswege, etwa im Rahmen der §§ 45, 47 ist wegen des Eingriffscharakters der Maßnahmen bis hin zum Freiheitsentzug (§ 12 Nr. 2) nicht zulässig. Bis zur Rechtskraft des Urteils kann der Richter neben vorläufigen Anordnungen über die Erziehung die Gewährung von Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch anregen (§ 71 Abs. 1).

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      Die Entscheidung nach § 12 setzt weiterhin eine vorherige Anhörung des Jugendamts voraus. Mit dieser durch das 1. Gesetz zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 16.2.1993 (BGBl. I, S. 239) erfolgten Änderung hat der Gesetzgeber das zuvor vorgeschriebene Einvernehmen mit dem Jugendamt gestrichen und damit den gegen diese Regelung bestehenden schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu Rn. 7 der 1. Auflage) Rechnung getragen. Diese Änderung ist sachgerecht und reicht zu einer interessengerechten Beteiligung des Jugendamtes, das die Maßnahme durchzuführen hat, aus.

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      Unterbleibt die Anhörung, so unterliegt die Entscheidung nicht schon deshalb der Aufhebung, sondern nur dann, wenn der Richter etwa wegen der unterlassenen Anhörung die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat. Ein Rechtsbehelf des Jugendamts existiert nicht. Erwächst eine ohne die erforderliche Anhörung getroffene Entscheidung nach § 12 in Rechtskraft, so ist sie aus Gründen der Rechtssicherheit gleichwohl vom Jugendamt zu vollziehen. Die Wirkungen der Rechtskraft können auch nicht aus pädagogischen oder fiskalischen Gründen beseitigt werden.

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      Die besonderen Voraussetzungen der Erziehungsbeistandschaft (§ 12 Nr. 1) und der Heimerziehung (§ 12 Nr. 2) richten sich nach den Vorschriften der §§ 27, 30, 34 SGB VIII. Sie sind ebenso wie die allgemeinen Voraussetzungen für Entscheidungen nach § 12 in der Hauptverhandlung festzustellen und in der Urteilsbegründung darzulegen. Die Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII setzt sowohl für die Erziehungsbeistandschaft als auch für die Heimerziehung nur voraus, dass eine dem Wohl des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist (§ 27 Abs. 1 SGB VIII); Art und Umfang der einzelnen Maßnahmen richten sich dabei nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall (§ 27 Abs. 2 SGB VIII).

III. Erziehungsbeistandschaft (Nr. 1)

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      Voraussetzung der Erziehungsbeistandschaft (Nr. 1) ist, dass die Anlasstat (§ 5 Abs. 1) zeigt, dass die geistige oder seelische Entwicklung des Jugendlichen gefährdet ist und die Maßnahme zur Abwendung der Gefahr oder zur Beseitigung des Schadens geboten und ausreichend erscheint. Dies ist der Fall, wenn der geistige oder seelische Zustand des Jugendlichen insgesamt, in Einzelbereichen oder in einzelnen Ausprägungen unterhalb einer Norm liegt, die bei einem Jugendlichen unter vergleichbaren Verhältnissen durchschnittlich angenommen werden kann oder unter eine solche Norm zu sinken droht. Wegen des strafrechtlichen Charakters der Maßnahme und wegen der Beschränkung des Erziehungsziels auf das Präventionsziel (§