João de Barros

Heinrich der Seefahrer


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Doch als ich den Sarg öffnete, war sie trocken und mit Ausnahme der Nasenspitze völlig unversehrt. (…) Ja, unser Infant führte ein jungfräuliches Leben und stiftete so viel Gutes, dass man es nicht aufzählen kann. Bischöfe und Grafen geleiteten seine Leiche zu dem erwähnten Kloster, wo sie neben den Eltern und den fünf Brüdern begraben worden ist. Sein Andenken wird ewig gepriesen werden. Möge er im heiligen Frieden ruhen. Amen.«74

      Heinrichs Lebenswerk

      Wie wurde Heinrich von der Nachwelt eingeschätzt? Zunächst einmal war das Bild, das die nachfolgenden Generationen sich von dieser herausragenden Persönlichkeit der portugiesischen Geschichte machten, im Laufe der Zeit vielen Wandlungen unterworfen. Das 16. Jahrhundert, das Zeitalter der Renaissance und des Humanismus, sah in Heinrich in erster Linie den Humanisten, der aus den Fesseln scholastischer Dogmatik ausgebrochen war; im 19. Jahrhundert, in einer Zeit also, in der die Menschen an die Allmacht positivistischer Wissenschaft glaubten, wurde Heinrich zum Vorläufer moderner, auf Empirie beruhender Wissenschaft. Und im Zeitalter des Kolonialismus erschien er vielen als Symbol kolonialer Errungenschaften. Von manchen Historikern, wie z.B. dem Portugiesen Joaquim Bensaúde75, wird das Schwergewicht auf Heinrichs christliches Sendungsbewusstsein gelegt. Da erscheint er als der große christliche Stratege, der versuchte, den Islam zurückzudrängen.

      Die vier hier erwähnten Aspekte von Heinrichs Persönlichkeit sind sicherlich allesamt zutreffend; keinesfalls aber darf Prinz Heinrich auf einen davon reduziert werden, vielmehr sollte immer eine gewisse Widersprüchlichkeit seines Charakters herausgehoben werden. Auf der einen Seite sind da seine höfische Erziehung und sein Festhalten an altmodischen ritterlichen Idealen, die ihn in wichtigen Lebenssituationen, z.B. bei dem Komplott gegen seinen Bruder Pedro, »zu Fehleinschätzungen und falschen Beurteilungen verführten«.76 Seine rastlose Neugier und sein Wille, seinem und der Menschheit Wissen neue Horizonte zu erschließen, weisen ihn auf der anderen Seite als modernen, wissenschaftlich denkenden Menschen aus – wäre er anders doch gar nicht in der Lage gewesen, geografische Entdeckungen und Neuerungen auf dem Gebiet der Kartografie und Nautik systematisch zu fördern.77 Vermittelt wurde das Zusammenspiel der beiden Komponenten – höfische Lebenswelt und sein Enthusiasmus für Entdeckungen – von einer tiefen Religiosität. Aus dieser bezog er die Rechtfertigung für seine Feldzüge gegen Marokko, die Sklavenjagd und die von ihm gelenkten Vorstöße entlang der westafrikanischen Küste. So gesehen war Heinrich ein Kind seiner Zeit, des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit. Ebendiese historische Nahtstelle spiegelte sich in seiner Persönlichkeit wider: Ein Teil seiner Existenz war noch von der mittelalterlichen Welt, von höfischer Kultur und Rittertum geprägt, der andere wies schon voraus in Bereiche, die für die Neuzeit typisch werden sollten. Oder anders formuliert: Heinrich der Seefahrer war bereits – zumindest in seinen Konturen – ein moderner Mensch, ohne gewisse mittelalterliche Wesenszüge ganz abgestreift zu haben.

      Warum erhielt Prinz Heinrich von der Nachwelt den Beinamen »der Seefahrer«, obwohl er persönlich doch an keiner der Entdeckungsfahrten teilgenommen hatte, sondern lediglich an den drei Feldzügen gegen Ceuta, Tanger und Alcácer Ceguer? Und aus welchen Gründen übernahm er niemals selbst das Kommando über eins der von ihm nach Afrika ausgesandten Schiffe? Manche Historiker weisen darauf hin, dass es für Prinz Heinrich zu seiner Zeit genauso undenkbar gewesen wäre, an einer seiner Expeditionen teilzunehmen, wie heutzutage für den Präsidenten der USA, in einer Raumkapsel in den Weltraum zu fliegen.78 Außerdem verweist John Ure darauf, dass zu Lebzeiten des Prinzen mit Seefahrten immer noch ein gewisser »gesellschaftlicher Makel« verbunden war.79 Rücksichten auf die höfische Etikette und auf seinen fürstlichen Status hätten Heinrich daran gehindert, an den Expeditionsfahrten teilzunehmen: »Die natürliche Ordnung der mittelalterlichen Gesellschaft machte es undenkbar, dass Prinz Heinrich sich der Würdelosigkeit einer langen Seereise unterzog.«80

      Wenn so der Beiname »der Seefahrer« auch nicht ganz passend zu sein scheint, trägt ihn Heinrich doch insofern zu Recht, als sein unbändiges Interesse an Entdeckungen gleichsam der springende Funke war, der – einem sich ausbreitenden Feuer gleich – genügte, »um vierhundert Jahre europäischer Entdecker- und Forschertätigkeit in Gang zu setzen«.81

      Unabhängig von der Frage, ob die Triebfeder der portugiesischen Expansion allein in der Person Heinrichs oder eher in kollektiven Kräften (Zeitgeist, Kreuzzugsmentalität, Handelsinteressen etc.), denen Heinrich durch sein Handeln lediglich Ausdruck verlieh, zu suchen ist, bleibt festzuhalten, dass kein anderer in der Geschichte der größten Entdeckernation der Welt an die Bedeutung Heinrichs des Seefahrers heranreicht. Seinem Forscherdrang und seiner Wissbegierde war es zu danken, dass das kleine Portugal innerhalb eines knappen Jahrhunderts »zwei Drittel der Welt dem europäischen Handel (…) eröffnen und diesen Handel auch noch (…) beherrschen« konnte.82 Die Entdeckungsfahrten, die Heinrich von Sagres aus organisierte, hatten den Grundstein gelegt für das portugiesische Weltreich, dessen wichtigste Stationen in chronologischer Reihenfolge waren:

      Die Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung durch Bartolomeu Dias im Jahr 1488, Vasco da Gamas Reise an die Ostküste Afrikas, nach Mosambik und nach Indien in den Jahren 1497–1499, die Entdeckung Brasiliens durch Pedro Álvares Cabral 1501, die Eroberung Goas und Malakkas durch Albuquerque 1510 bzw. 1511, die Einnahme der Insel Ormuz im Jahr 1515 und die Besetzung von Bombay im Jahr 1534 und von Macao im Jahr 1557.

      Über Heinrich den Seefahrer ist eine Vielzahl von Biografien erschienen, die diese außergewöhnliche Persönlichkeit unter den verschiedensten Aspekten beleuchteten.

      Bei dem hier vorliegenden Band nun handelt es sich jedoch um keine Biografie im herkömmlichen Sinne, vielmehr soll dem Leser in Form einer historischen Dokumentation anhand zeitgenössischer und früher Berichte ermöglicht werden, sich selbst ein Urteil über Heinrich den Seefahrer und sein Zeitalter zu bilden.

      Um den Charakter der Dokumentation zu wahren, wurden im Übrigen an einigen Stellen die unterschiedlichen und voneinander abweichenden Schreibweisen für Namen und geografische Bezeichnungen beibehalten, so wie sie zu Zeiten der Chronisten gebräuchlich waren.

       Rudolf Kroboth

      1 (Edgar Prestage, Die portugiesischen Entdecker, Wien, Bern, Leipzig 1936, S. 7)

      2 Diffie, Foundations of the Portuguese Empire. S. XV.

      3 Diffie, a.a.O.

      4 Zur Formationsgeschichte Portugals vgl. Salentiny. Aufstieg und Fall des portugiesischen Imperiums. S. 9 ff.; G.G. Kinzel, Die rechtliche Begründung der frühen portugiesischen Landnahmen, S. 1 ff.

      5 Zu den wirtschaftlichen Motiven wie Währungsproblemen aufgrund des Goldmangels etc. vgl. Salentiny, a.a.O., S. 21 ff.

      6 Diffie, a.a.O., S. XIV.

      7 E. Prestage, Die portugiesischen Entdecker, S. 9.

      8 Diffie, a.a.O., S. 21 f.

      9 Prestage, a.a.O., S. 10.

      10 Hierzu und zum Streit zwischen Portugal und Kastilien um

      diese Inselgruppe vgl. Diffie, a.a.O., S. 27 ff.

      11 Prestage, a.a.O., S. 12/13.

      12 Diffie, a.a.O., S. 37 ff.

      13 Prestage, a.a.O., S. 15.

      14 Diffie, a.a.O., S. 39 ff.

      15 R. Romano, Die Grundlegung der modernen Welt, S. 69 ff.

      16 Zitiert nach Prestage, a.a.O., S. 19.

      17 Diffie, a.a.O., S. 45.

      18 Zitiert nach Diffie, a.a.O., S. 52.

      19 Diffie, a.a.O., S. 45 u. 53.

      20 Diffie, a.a.O., S. 53.

      21 Prestage, a.a.O., S. 15.

      22 Zitiert nach Prestage, a.a.O., S. 23.

      23 Prestage, a.a.O., S. 54 ff.

      24 Prestage, a.a.O., S. 55.

      25 Prestage, a.a.O., S. 56.

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