João de Barros

Heinrich der Seefahrer


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nach Afrika zu dirigieren. Zwei Ziele standen nunmehr im Mittelpunkt seines Denkens: die Eroberung der zwischen Portugal und Kastilien nach wie vor umstrittenen Kanarischen Inseln68 und weitere Erkundungen entlang der westafrikanischen Küste, dabei möglichst weit nach Süden vorstoßend. Über diesen Abschnitt der von Heinrich inspirierten Entdeckungsreisen besitzen wir in dem Reisebericht von Alvise Cà da Mosto ein ausgezeichnetes Dokument, das in diesem Buch nachzulesen ist.

      Alvise Cà da Mosto, ein aus Venedig stammender Kaufmann und Seefahrer, unternahm in den Jahren 1455 und 1456 im Auftrag Heinrichs zwei Erkundungsfahrten nach Afrika. In Heinrichs Dienste war er durch einen reinen Zufall gekommen: Als das Schiff, mit dem er nach Flandern segeln wollte, im Winter 1454/55 durch Stürme daran gehindert wurde, die Fahrt von der Südspitze Portugals aus nach Norden fortzusetzen, entschloss sich der gerade 22 Jahre alte Cà da Mosto, getrieben von Abenteuerlust und der Hoffnung, durch eine Afrikafahrt zu Reichtum zu kommen, den in Sagres weilenden Heinrich aufzusuchen und sich ihm als Kapitän anzudienen.69 Heinrich willigte ein und so konnte Cà da Mosto mit einem ihm vom Prinzen zur Verfügung gestellten Schiff bereits am 22. März 1455 zu einer Reise aufbrechen. Zunächst wurde Madeira angesteuert und von dort aus Kurs auf die Kanarischen Inseln genommen. Nach einem kurzen Besuch der Inseln Gomera und Teneriffa segelte Cà da Mosto weiter die afrikanische Küste hinab, über Arguim hinaus zum Kap Blanco, dann weiter nach dem Senegal und Kap Verde, wo er einen Monat im Land von Häuptling Budomel zubrachte. Anschließend erkundete er das Gebiet um die Mündung des Gambia-Flusses. Cà da Mosto wäre gerne noch weiter in Richtung Süden vorgestoßen, aber da seine Mannschaft zu meutern drohte – man war schließlich inzwischen schon fast ein Jahr unterwegs –, entschloss er sich widerwillig, die Heimfahrt anzutreten.

      Nach Portugal zurückgekehrt, brach Cà da Mosto – zusammen mit Antoniotto Usodimare – alsbald zu seiner zweiten Entdeckungsfahrt auf, die ihn zu den Kapverdischen Inseln führte und zum Geba-Fluss, an dem heute die Stadt Bissao liegt. Ebenfalls zu den Kapverdischen Inseln und zum Fluss Geba, dem südlichsten Punkt der bisherigen Entdeckungen, gelangte eine Expedition unter dem Kommando von Diogo Gomes im Jahr 1456 oder 1457.

      Die Berichte von diesen Expeditionen ließen Heinrich zu dem Schluss kommen, dass nach Kap Verde die afrikanische Küste nicht mehr in südlicher, sondern in östlicher Richtung verlaufe, für ihn ein Zeichen, nun bereits ganz nahe an der Südspitze Afrikas zu sein. Der Seeweg in den Indischen Ozean und nach Indien schien offen zu liegen. Davon, dass die Küste unterhalb des Golfes von Guinea sich weiter nach Süden erstreckte, wusste Prinz Heinrich nichts. Viele Entdeckungsreisen mussten noch unternommen werden, bis es Bartolomeu Dias im Jahr 1488, 28 Jahre nach Heinrichs Tod, endlich gelang, das Kap der Guten Hoffnung zu umsegeln.

      Was veranlasste Portugal und andere europäische Länder im 15. Jahrhundert, den Seeweg nach Indien um Afrika herum zu suchen? Die großen Anstrengungen, die speziell die Portugiesen im Zeitalter Heinrichs des Seefahrers70 mit diesem Ziel unternommen hatten, erscheinen erst dann im rechten Licht, wenn man Folgendes berücksichtigt: Der Glaube, um Afrika herum auf dem Seeweg nach Indien gelangen zu können, setzte voraus, dass man das ptolemäische Weltbild über Bord geworfen hatte, wonach der Indische Ozean gänzlich von Land umgeben, also ein Binnenmeer war, das folglich mit dem Schiff nicht erreicht werden konnte. Gestützt wurde der Glaube an einen möglichen Seeweg nach Indien vor allem dadurch, dass der Landweg nach dem Orient seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zunehmend erschwert war. Dazu beigetragen haben verschiedene historische Entwicklungen: die aufstrebende Macht der Mamelucken in Ägypten, der Aufstieg des Osmanischen Reichs und das Vordringen der Türken auf dem Balkan, der Zerfall des Mongolenreichs, insbesondere die Beendigung der Mongolenherrschaft in China durch die neue nationalchinesische Dynastie der Ming im Jahr 1368. Unter den Ming-Kaisern wurde China systematisch von der Außenwelt abgeschottet, was im Ost-West-Handel zu schweren Einbrüchen führte. Ein weiteres Moment kam hinzu: Angeregt von dem Mythos des Priesters Johannes und der Vorstellung eines großen Christenreichs im Osten, machte sich die abendländische Christenheit, voran der Papst, auf die Suche nach einem christlichen Verbündeten jenseits des islamischen Herrschaftsbereichs, der sich bereits von Nordafrika bis nach Mittelasien erstreckte. Aus all diesen Gründen war das Abendland sehr darauf aus, einen möglichen Seeweg nach Indien ausfindig zu machen.71

      Der Fall Konstantinopels 1453 und

      der portugiesische Kreuzzug gegen

      Marokko im Jahr 1458

      20 Jahre hatte Prinz Heinrich warten müssen, ehe er die Schmach von Tanger wettmachen konnte.72 Diese Gelegenheit verdankte er einem historischen Ereignis, das für die abendländische Christenheit zum Trauma wurde. Die Rede ist von der Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahr 1453. Angesichts dieser ernsten Bedrohung für die abendländische Zivilisation beschwor Papst Calixtus III. die christlichen Monarchen Europas, gemeinsam einen Kreuzzug gegen die Osmanen zu unternehmen mit dem Ziel, die Hauptstadt der Ostkirche wieder dem wahren Glauben zurückzugewinnen. Der Aufruf des Papstes stieß bei den Herrschern indes mehr oder weniger auf taube Ohren. Kaum einer von ihnen machte ernsthafte Anstrengungen, dem bedrohten Byzantinischen Reich zu Hilfe zu eilen, zumal die meisten europäischen Länder mit eigenen Problemen genug beschäftigt waren. England hatte, nachdem gerade der Hundertjährige Krieg gegen Frankreich beendet worden war, durch den Ausbruch eines Bürgerkriegs, des Kriegs der Rosen73, alle Hände voll zu tun; der französische König musste sich zu der Zeit ebenfalls der Machtansprüche einiger seiner Vasallen erwehren; und die italienischen Stadtstaaten waren an einem Kreuzzug gegen die Türken insofern nicht interessiert, als sie darauf hofften, mit dem aufstrebenden Osmanenreich besser ins Geschäft zu kommen als mit Byzanz jemals zuvor.

      Als einer der wenigen folgte Portugals jugendlicher König Alfons V. dem Ruf des Papstes. Er erklärte sich bereit, dem Kreuzzug eine Armee von 12000 Mann zur Verfügung zu stellen. Daraufhin wurde er im Februar 1456 von Calixtus ermächtigt, zur Finanzierung des Türkenkriegs eine Kreuzzugssteuer zu erheben, worauf Alfons aus afrikanischem Gold eine neue Goldmünze prägen ließ, den cruzado mit dem Kreuzfahrerkreuz. Nach dem Tod von Papst Calixtus im August 1458 zerschlugen sich die Kreuzzugspläne jedoch endgültig.

      Unterdessen hatte es Prinz Heinrich – ganz im Sinne seiner oben beschriebenen Doppelstrategie – mit großem diplomatischem Geschick verstanden, den Blick seines Neffen Alfons auf Marokko zu lenken und den König zu überzeugen, anstelle eines Feldzugs nach Konstantinopel einen Entlastungsangriff gegen die Ungläubigen in Marokko zu führen. Als Angriffsziel wurde schließlich die zwischen Ceuta und Tanger gelegene Küstenstadt Alcácer Ceguer auserkoren, damals ein Stützpunkt des maurischen Piratenunwesens und das Textilzentrum Marokkos. Ende September 1458 brach die portugiesische Armada – 220 Schiffe mit insgesamt 25000 Soldaten – auf und landete am 21. Oktober vor besagter Stadt. Obgleich schon 64 Jahre alt, übernahm Prinz Heinrich das Kommando über dieses militärische Unternehmen. Weitaus besser gerüstet als bei der misslungenen Eroberung Tangers, gelang es den Portugiesen innerhalb von zwei Tagen, die Stadt trotz heftiger Gegenwehr des Sultans von Fes einzunehmen.

       Afrikakarte von Sebastian Münster, 1550

      Nach der Rückkehr aus Marokko schien Heinrich zu spüren, dass sich sein ereignisreiches Leben dem Ende zuneigte. Aber noch war sein Entdeckergeist nicht erloschen. Kurz vor seinem Tode schickte er eine weitere Expedition aus, die unter dem Kommando von Pedro de Sintra bis nach Sierra Leone gelangte. Von diesem Erfolg, dem weitesten Vorstoß portugiesischer Seefahrer nach Süden bis dahin, erfuhr Prinz Heinrich allerdings nichts mehr. Er hatte bereits am 13. November 1460 für immer die Augen geschlossen. Über seinen Tod schreibt Diogo Gomes, einer von Heinrichs Kapitänen: »Im Jahre 1460 erkrankte der Infant in seiner Stadt am Kap São Vicente und starb am 13. November desselben Jahres, einem Donnerstag. Noch in der Nacht brachten wir die Leiche nach Lagos, in dessen kleiner Kirche sie beigesetzt wurde. Der König und das ganze Land trauerten wegen des Todes dieses edlen Herrn, der seine gesamten Einkünfte und allen Gewinn, den er aus Guinea bezog, für Entdeckungsfahrten und – um des christlichen Glaubens willen – für die Bekämpfung der Sarazenen verwandt hatte. Ende des Jahres schickte mir König Alfons