João de Barros

Heinrich der Seefahrer


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portugiesischen Königshauses, also dessen Bestreben, Portugals Entdeckungspläne und Entdeckungserfolge aus Furcht vor ausländischer Konkurrenz nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, und der hieraus resultierende Quellenmangel für die beschriebene Unterbewertung der portugiesischen Geschichte mitverantwortlich sind, so vermag Diffie den Historikern dennoch den Vorwurf nicht zu ersparen, ihre Argumentation in Bezug auf Portugals Entdeckungsleistungen sei ausgesprochen destruktiv«.2 Umgekehrt freilich sei manchen betont nationalistischen portugiesischen Historikern, z.B. Gago Coutinho und Armando Cortesão, vorzuhalten, die entdeckungsgeschichtlichen Meriten Portugals größer gemacht zu haben, als sie es in Wirklichkeit waren: durch die Behauptung nämlich, es habe bereits vor Heinrich dem Seefahrer groß angelegte Entdeckungsreisen, vor Vasco da Gama schon geheim gehaltene Vorstöße in den Atlantik und den Indischen Ozean, vor Columbus Fahrten nach Amerika und vor Cabral Expeditionen nach Brasilien gegeben. Solche von keiner Quelle abgestützten Thesen seien lediglich ein »ausgetüfteltes Ratespiel«, das in Verdrehung der historischen Wahrheit dazu führe, all die genannten großen Entdeckerpersönlichkeiten zu »Pygmäen« zu degradieren, die nur den Spuren der vorgeblich »ersten« anonymen Entdecker gefolgt seien.3

      Welche Antriebskräfte ließen Portugal zur

      Pioniernation der Entdeckungen werden?

      Es ist auf den ersten Blick in der Tat erstaunlich, dass ausgerechnet das kleine, bevölkerungsarme und wirtschaftlich vergleichsweise schwache Portugal, erst 1139 unter Afonso, dem Sohn des Grafen Heinrich von Burgund, im Kampf gegen die Mauren und unter Beseitigung der Oberhoheit Kastiliens zu einem selbstständigen Königreich aufgestiegen4, im 15. und 16. Jahrhundert zur führenden Seefahrer- und Entdeckernation Europas wurde. Dass dieses Königreich, das im Rahmen der innereuropäischen Geschichte über die Jahrhunderte hinweg nur eine untergeordnete Rolle spielte, solches zu vollbringen imstande war, lässt sich auf eine Reihe von Gründen zurückführen: Wesentlich ist zum einen die geografische Position Portugals am äußersten Südwestzipfel Europas, die für maritime Unternehmungen sehr günstig war und dem Land gegenüber den Ländern Mittel- und Nordeuropas auf diesem Terrain deutliche geostrategische Vorteile bot. Eine zweite Voraussetzung war die Existenz eines Handelsbürgertums und einer eigenen Schiffsbauindustrie. Die Aussicht auf wirtschaftlichen Gewinn5 und die Befriedigung von Abenteuerlust waren weitere Antriebskräfte. Jungen Adligen versprach die Seefahrt Ehrgewinn und Reichtum, während andere, vor allem das portugiesische Königshaus und die Kirche, in Übersee-Expeditionen in erster Linie die Möglichkeit sahen, die Ungläubigen zum Christentum zu bekehren. Unabhängig davon aber sind die herausragenden Erfolge der portugiesischen Seefahrt nicht zuletzt das ganz persönliche Verdienst von Heinrich dem Seefahrer, der 1394 als vierter Sohn König Johanns I. geboren wurde und im Mannesalter zum »Chef-Promotor«6 der portugiesischen Entdeckungen werden sollte. Denn während die anderen europäischen Länder zu Beginn des 15. Jahrhunderts in nicht enden wollende Kriege und dynastische Machtkämpfe verstrickt waren, übernahm Portugal, getrieben von Heinrichs unbändigem Entdeckungseifer, die Führung bei der Erforschung der außereuropäischen Welt und leitete damit eine neue Epoche der Weltgeschichte ein.

      Zur Frühgeschichte der

      portugiesischen Seefahrt

      Ohne die entscheidenden Impulse, die die portugiesische Seefahrt von Heinrich dem Seefahrer erhielt, in ihrer Bedeutung herunterspielen zu wollen, darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Portugiesen auch schon in früheren Zeiten auf seemännischem Gebiet Hervorragendes geleistet haben. Obwohl wir über die Frühgeschichte der portugiesischen Seefahrt nur relativ wenig wissen, ist bekannt, dass, vor allem von den portugiesischen Geschäfts- und Handelszentren Lissabon und Oporto aus, bereits im 12. Jahrhundert ein reger Seehandel mit dem Norden Europas und den Mittelmeerländern getrieben wurde. Auch besaß Portugal schon unter Alfons I. (1139–1185) eine, wenn auch noch recht kleine, Kriegsflotte, die immer wieder in Gefechte mit maurischen Geschwadern verwickelt war und mit deren Hilfe es gelang, die Herrschaft der Araber im Rahmen der portugiesischen Reconquista Zug um Zug nach Süden zurückzudrängen. Und im Jahr 1189 beteiligte sich König Sancho I. (1185–1211) mit 40 Galeeren an einer Kreuzfahrerflotte, die den Süden Portugals von den Mauren befreien sollte.7 Einen großen Schritt nach vorn machte die portugiesische Kriegs- und Handelsmarine unter König Diniz (1269–1325), dem wohl bedeutendsten portugiesischen Herrscher im Mittelalter. Um den Schiffsbau zu fördern, ließ er nicht nur bei Leira einen Fichtenwald zur Beseitigung des Holzmangels anlegen, sondern er rief im Jahr 1293 auch eine Schiffsversicherungsgesellschaft, die bolsa, ins Leben, aus der sich später die feitora, die lange Zeit führende portugiesische Überseehandelsgesellschaft, entwickelte.8 Neben einer Reihe von Steuerprivilegien, die er dem Handelsbürgertum gewährte, fiel in diesem Zusammenhang auch ins Gewicht, dass er die Schiffsbauer in den Ritterstand erhob. Dieser Beruf war also fortan mit einem außerordentlichen gesellschaftlichen Prestige und einem hohen sozialen Status verknüpft, was natürlich dazu führte, dass sich dieser Gewerbezweig besonders stark entwickelte. Und schließlich schuf König Diniz das Amt des Admirals, des Befehlshabers der Kriegsflotte, dessen Inhaber er ebenfalls mit großen Privilegien ausstattete. Betraut mit diesem Amt wurde ein Genueser namens Manoel Pezagno, der als Seefahrer in einem guten Ruf stand. Überhaupt war Genua damals die führende Seemacht, deren Kapitäne auch von den Königen Kastiliens und Frankreichs mit der Organisation ihrer Flotten beauftragt wurden.9

      Genueser, die mit besagtem Admiral nach Portugal gekommen waren, waren es auch, die die erste aktenkundige Ozeanfahrt unter portugiesischer Flagge anregten: Am 1. Juli 1341 brachen drei Schiffe zu den Kanarischen Inseln auf, die im Altertum als die »Glücklichen Inseln« bekannt und 1270 von dem Genueser Malocello neu entdeckt worden waren.10 Die portugiesische Expeditionsflotte besuchte auf dieser Fahrt die Inseln Fuerteventura, Gran Canaria, Ferro, Gomera und Teneriffa; einige Chronisten vermuten sogar, dass anlässlich dieser Expedition auch die Azoren erreicht wurden. Im November desselben Jahres trafen die drei Schiffe wieder in Lissabon ein, ohne allerdings eine nennenswerte Beute mitzubringen. Wenn dieser ersten Entdeckungsfahrt vorläufig keine weitere folgte, dann lag das vor allem daran, dass Papst Clemens VI. (1342–1352) – nach mittelalterlichem Recht oblag es der päpstlichen Gewalt, über neu entdeckte und bislang unbesetzte Länder zu verfügen – im Jahr 1344 die Kanarischen Inseln dem Grafen Luis de la Cerde, einem Verwandten des Königshauses von Kastilien, gegen eine jährlich zu entrichtende Tributzahlung verlieh.11 Hinzu kam, dass der fortdauernde Krieg gegen die Mauren den vollen Einsatz der portugiesischen Flotte verlangte.

      In der Folgezeit wurde unter den Königen Pedro I. (1357– 1367), der ausländischen Kaufleuten weitgehende Handelsprivilegien einräumte und somit Portugal zu einem Zentrum des europäischen Handels machte, und Ferdinand I. (1367–1383) die Kriegs- und Handelsflotte Portugals stetig ausgebaut und verbessert. Als jedoch Ferdinand I. vor dem Hintergrund der anhaltenden Erbfolgestreitigkeiten mit Kastilien immer mehr Geld in die Kriegsmarine steckte, stieß er mit dieser Politik auf den Widerstand der cortes, des ständisch verfassten Parlaments Portugals, in dem die Stimme des Handelsbürgertums ein großes Gewicht hatte. Beklagt wurde vom Parlament neben der Vernachlässigung der Handelsschifffahrt auch die Steuer- und Zollpolitik des Königs, die aus der Sicht des Handelsbürgertums nur den Adel und den Klerus und obendrein auch noch die ausländischen Kaufleute begünstigte. Da die Volksvertreter mit dem Steuerbewilligungsrecht ein wirksames Druckmittel in der Hand hatten, musste Ferdinand I. ihrem Begehren nach einer stärkeren Förderung der einheimischen Handelsschifffahrt schließlich nachgeben. 1377 gewährte er der portugiesischen Kaufmannschaft einen großzügigen Privilegienbrief, eine Maßnahme, die er drei Jahre später mit der Gründung einer Schifffahrtsgesellschaft, der Companhia das Naus, ergänzte. Beide Entscheidungen waren für die Zukunft der portugiesischen Seefahrt von größter Wichtigkeit: Mit dem Privilegienbrief erhielten die Handelsschifffahrt und der Handelsschiffsbau ein ganzes Bündel weitreichender Begünstigungen zugesprochen, das von der Gewährung von Steuer-und Zollfreiheit in bestimmten Fällen bis hin zu der Erlaubnis reichte, für den Bau von Schiffen über 100 Tonnen Holz in den königlichen Forsten kostenlos schlagen zu dürfen. Hauptzweck der neu geschaffenen Schifffahrtsgesellschaft war die