João de Barros

Heinrich der Seefahrer


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nach Portugal mitzubringen, war Heinrichs Kapitänen mittlerweile – so John Ure – »zur zweiten Natur geworden«.51 G.G. Kinzel hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass mit dem Aufschwung des Sklavenhandels die für die portugiesische Volkswirtschaft »sich später so verhängnisvoll auswirkende Einfuhr billiger Arbeitskräfte« begann, die dann im 16. Jahrhundert zur Verachtung der Handarbeit führte – mit der Konsequenz, dass die handwerklichen Fertigkeiten der Portugiesen allmählich verkümmerten.52 Fragt man sich nun, warum Prinz Heinrich diese grausame Verschleppung von Menschen zuließ, dann ist dabei zunächst zu berücksichtigen, dass er die Entdeckungsfahrten entsprechend seinem religiösen Eifer und als Oberhaupt des Christusordens auch als Weiterführung der christlichen Reconquista gegen die Ungläubigen verstand. Er glaubte, in einem gerechten Krieg zu stehen, woraus er das Recht ableitete, Gefangene zu machen. Und es passte zusätzlich in das Bild vom christlich motivierten Vorgehen Heinrichs, dass fast alle der nach Portugal verschleppten Sklaven getauft wurden.53 Zurara berichtet auch, dass er »nie einen dieser Gefangenen in Eisen gesehen« habe.54 Für John Ure sind die genannten christlichen Motive nicht überzeugend. Man müsse Prinz Heinrich zwar von der Anklage freisprechen, den Sklavenhandel an sich in Gang gebracht zu haben, doch könne man ihn andererseits nicht einfach damit entlasten, dass er das in seinem Zeitalter Übliche getan habe. Vielmehr müsse man fragen, wie es dazu kommen konnte, »dass dieser engagierte christliche Kreuzfahrer, der in mancher Hinsicht ein aufgeklärter Denker war, dem ersten Sklavenmarkt in Europa Vorstand«? Ure kommt zu dem Schluss, dass Heinrich in diesem Punkt »ein Opfer jener Verzerrung der Wirklichkeit« geworden sei, die man »als eine der Illusionen des Zeitalters des Rittertums« bezeichnen könne. Er habe in einer ritterlichen »Traumvision« gelebt und von daher Kämpfe mit afrikanischen Stämmen »als ritterliche Geniestreiche aufgefasst«.55

      Ure zufolge spielten hierbei auch handfeste materielle Gründe eine gewichtige Rolle: »Als die Entdeckungsreisen immer weiter führten, war es nicht mehr wie früher möglich, Kapitäne nur aus dem Hofstaat von Prinz Heinrich zu rekrutieren. Eine neue Schicht von Abenteurern musste dafür gewonnen werden, in jene entfernten Gewässer aufzubrechen. Während aber Gold auch weiterhin ein Trugbild blieb, waren Sklaven zu einer Realität geworden, die den Zustrom an solchen Abenteurern förderte. Mit jedem neu entdeckten Vorgebirge stieg Prinz Heinrichs Hunger nach Entdeckungen; mit jeder neuen Sklavenladung wurde es einfacher, Kapitäne und Mannschaften für Entdeckungsreisen aufzutreiben. Die beiden Vorgänge – Entdeckungen und Sklavenhandel – ergänzten einander nunmehr. Und der Markt für Sklaven in der unterbevölkerten Algarveregion schien unerschöpflich zu sein.«56 Ures kritisches Fazit zu diesem dunklen Kapitel in Heinrichs Leben lautet: »Aber die Tragödie des Sklavenmarktes in der Stadt Lagos lag darin, dass Prinz Heinrich seine christliche Nächstenliebe von seinen verzerrten ritterlichen Idealen und seinem Entdeckerehrgeiz niedertrampeln ließ. Als er auf seinem stolzen Ross das Auseinanderreißen afrikanischer Familien überwachte und sich über die Rettung ihrer Seelen freute, bemerkte er anscheinend gar nicht, wie unchristlich das war, was er tat. Er zahlte damit den Preis für die ruhmreiche Illusion, die er seit und auch schon vor Ceuta genährt hatte. Sein militärischer Ruf hatte bei Tanger gelitten (…); nun litt auch sein Ruf als Mensch in gleicher Weise.«57

      Über der Tatsache, dass »die Sklavenjagd immer häufiger, lukrativer und schmutziger wurde«58, sollte nicht vergessen werden, dass die Afrikafahrten vorrangig der Entdeckung neuen Landes dienten. Von den vielen Entdeckungsreisen dieser Jahre seien hier die wichtigsten herausgegriffen:59 1443 erreichte Nuno Tristão die Inseln Gete und Garças in der Bucht von Arguim, südlich von Kap Blanco; 1444 gelangte Gonçalo de Sintra nach Arguim, und im selben Jahr stieß Dinis Dias bis zum Kap Verde vor und betrat dort als erster portugiesischer Seefahrer »das Land der Schwarzen«. Ein Jahr später, 1445, entdeckte Álvaro Fernandes 96 Kilometer südlich von Kap Verde einen weiteren Landvorsprung, dem er wegen einiger Palmen, die dort wuchsen und die durch einen Tornado ihre Wedel verloren hatten, den Namen Cabo dos Mastos (Kap der Masten) gab. Und ein weiteres Jahr später entdeckte Nuno Tristão die Mündung des Gambia-Flusses. Tristão war in dieser Phase der produktivste Seefahrer Heinrichs. Von allen Kapitänen, die im Auftrag des Prinzen segelten, spiegelte er »am deutlichsten die intellektuelle Neugier seines Herrn« wider.60 Und eben dieser Entdeckergeist und Wissensdurst sollten ihm auf dieser Fahrt zum Verhängnis werden: An der Mündung des Gambia-Flusses angekommen, beschloss Tristão, mit zwei Booten, bemannt mit rund 20 Mann, flussaufwärts zu rudern, um dort Erkundungen anzustellen. Vom dichten Uferdickicht aus wurden die Portugiesen plötzlich von Eingeborenen mit Giftpfeilen beschossen. Unter denjenigen, die der Wirkung des Gifts umgehend erlagen, war auch Tristão. Dieser dramatische Zwischenfall gab Prinz Heinrich Gelegenheit, sein ritterliches Wesen von seiner uneingeschränkt positiven Seite zu beweisen. Er setzte nämlich den Witwen und Kindern der Expeditionsteilnehmer, die bei diesem Überfall ums Leben gekommen waren, eine Rente aus.61

      Heinrich war nun fast schon auf dem Zenit seines Ruhms angelangt. 1442 ließ ihn der englische König Heinrich VI. zum Ritter des Hosenbandordens schlagen und ihm dadurch die höchste Auszeichnung zukommen, die England zu vergeben hatte. Und im Februar 1446 gewährte ihm Regent Pedro in Anerkennung seiner Verdienste um die portugiesische Seefahrt und als Ausgleich für die Kosten der Entdeckungsfahrten ein Monopol über den südlich von Kap Bojador betriebenen Handel.62

      Die innenpolitische Krise Portugals von 1448/49

      Der Ausbruch einer politischen Krise, die 1448/49 das innere Gefüge Portugals in höchstem Maß erschütterte, sollte Heinrichs Kraft für einige Zeit voll in Anspruch nehmen, sodass er seine nautischen Ambitionen einstweilen beiseiteschieben musste.63 Ihren Ausgang nahm die Krise in den Machtkämpfen zwischen Prinz Pedro und Königin Leonore, die nach dem Tod von König Duarte im Jahr 1438 als Duumvirat die Regentschaft für den noch unmündigen Thronfolger Afonso übernommen hatten. Selbst nach dem Tod Leonores 1445 und der Thronbesteigung Afonsos im Jahr 1446 – der neue König war zu diesem Zeitpunkt gerade 14 Jahre alt – intrigierte die Partei der verstorbenen Königin, angeführt von dem Herzog von Braganza, weiter gegen Prinz Pedro und stachelte den jungen König Alfons V. regelrecht gegen diesen auf. Ein von den Gegnern Pedros angezetteltes Komplott, das in der völlig haltlosen Beschuldigung gipfelte, Pedro habe sowohl seinen Bruder Duarte als auch seine Schwägerin Leonore vergiften lassen, führte schließlich zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen König Alfons und seinem Onkel Pedro. Am 20. Mai 1449 trafen die Truppen der beiden Kontrahenten bei Alfarrobeira aufeinander, und Prinz Pedro, von einem Armbrustpfeil tödlich getroffen, war einer der Ersten, die bei dieser Schlacht fielen.

      Der 20. Mai 1449 war – so John Ure – »ein trauriger Tag für Portugal, für das Haus von Aviz und für die Idee von Einigkeit und Ritterlichkeit, in der Prinz Pedro und Prinz Heinrich erzogen worden waren und die sie, jeder auf seine Weise, so lange hochgehalten hatten«.64 Dieses dunkle Kapitel der portugiesischen Geschichte wirft auch auf Prinz Heinrich, dessen Ruf durch den fehlgeschlagenen Tanger-Feldzug und die unglücklich geendete Geiselaffäre um Prinz Fernando bereits angeschlagen war, einige Schatten. Er, der bei Alfarrobeira auf der Seite von König Alfons gekämpft hatte, muss sich hier die Frage gefallen lassen, warum er seinen Einfluss am Königshof nicht stärker zugunsten seines Bruders Pedro geltend gemacht hat. Der portugiesische Historiker Oliveira Martins wirft Heinrich in diesem Zusammenhang »sein völliges Aufgehen in seinen afrikanischen Projekten und die schnöde Missachtung der Gefahren für seinen Bruder« vor.65 Andere Kritiker gehen noch weiter, wenn sie Infant Heinrich anklagen, die Vernichtung Pedros bewusst gewollt zu haben, da er hoffte, so seinen Neffen Afonso, der später den Beinamen »der Afrikaner« erhalten sollte, besser für seine Entdeckungsvorhaben einspannen zu können.66 Zur Verteidigung Heinrichs meint John Ure, dass sich die Intrigen gegen Prinz Pedro in für Heinrich fremden Kategorien bewegt hätten. Denn die Lösung dieses Problems sei für ihn »keine Ehrensache, sondern eine machtpolitische Angelegenheit« gewesen, wobei ihn »seine Erziehung im Sinne ritterlicher Ideale (…) im Stich« gelassen habe.67

      Die Erkundung Guineas und der

      Kapverdischen Inseln

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