Decke?«
Josef pfiff anerkennend durch die Zähne. »Er hatte recht. Du bist nicht nur schön, geschickt und gewissenlos, sondern auch schlau.«
»Ich bin nicht gewissenlos«, schmollte Maria und zog eine Schnute. Jetzt sah sie wie ein kleines, ertapptes Mädchen aus. »Was ich tue, tue ich nur, um nicht zu sterben. Ich nehme mir bloß das, was ich unbedingt brauche.«
»Genau wie wir«, gab Josef zurück. »Na ja, das heißt, manchmal nehmen wir vielleicht ein ganz klein wenig mehr – aber wirklich nur ein ganz klein wenig.« Es hatte lustig klingen sollen, aber es lag etwas in seinen Worten, das Maria eine Gänsehaut verursachte. »Weißt du, dir hätte gar nichts Besseres passieren können, als dem Meister aufzufallen.«
»Dem Meister?«
»So nennen wir alle den Grafen. Er ist ein hochvornehmer Herr, und wir sind froh, dass er uns in seine Dienste genommen hat.«
»Was sind das für Dienste?«
»Na, du weißt schon …«
Auf einem Ast geradewegs über Maria hatte sich eine kecke Amsel niedergelassen und sang nun ihr abwechslungsreiches Lied. Der laue Frühlingswind spielte durch Marias Haar und streichelte ihr über die Wangen, als wolle er sie beruhigen. War das hier nicht die Gelegenheit, auf die sie so lange gewartet hatte? Lag in Josefs Bande nicht die höchste Sicherheit, die sie je haben konnte? »Wie viele seid ihr?«, fragte sie nach einer längeren Pause, während der Josef sie unverwandt aus seinen seltsamen blauen Augen angestarrt hatte.
»Mit mir acht«, sagte er. »Den Grafen natürlich nicht eingerechnet. Es sind alles prächtige Burschen, und eine solche Lilie wie du wäre der passende Schmuck für uns – abgesehen davon, dass wir deine Fertigkeiten ganz dringend brauchen. Deshalb hat der Graf dich ja ausgesucht.«
»Ausgesucht?«
»Du warst ihm schon recht früh aufgefallen, und da hat er dich auf die Probe gestellt. Er sagte mir, er sei sehr beeindruckt von deiner Fingerfertigkeit, aber er musste unbedingt auch wissen, wie weit du zu gehen bereit bist. Deshalb hat er den armen Kaufmann heiß auf dich gemacht.«
Jetzt fiel Maria wieder ein, dass ihr jämmerlicher Liebhaber von einem »vornehmen Herrn« gesprochen hatte. Plötzlich hatte sie den Eindruck, als habe sie sich in einem Spinnennetz verheddert, und jede ihrer Bewegungen führe nur dazu, dass sie fester von den klebrigen Fäden umsponnen wurde.
»Und warum soll ich für ihn oder für euch von so großem Nutzen sein?«
»Weil wir etwas Großes vorhaben. Wenn du mich fragst, geht es dabei um mehr als nur um Gold und Silber. Aber wir vertrauen dem Meister blind. Wir fragen nicht. Wir sind sein Eigentum.« Josefs Blick war starr in die Ferne gerichtet.
Maria spürte das Prickeln des Abenteuers. Warum sollte sie eigentlich nicht herauszufinden versuchen, warum dieser merkwürdige Graf sich so viel Mühe mit ihr gemacht hatte? »Was bleibt mir denn anderes übrig, als mich zu euch zu gesellen?«, sagte sie schließlich.
Josef spuckte den zerkauten Grashalm aus. »Ich wusste ja, dass du ein kluges Kind bist. Wirst es nicht bereuen. Schon morgen Nacht geht es los. Wir werden es mit leichten Gegnern zu tun haben: mit drei Benediktinermönchen …« Er füllte das Geld wieder in die Säckchen und stand auf. Auch Maria erhob sich aus dem weichen Gras. Die Amsel über ihrem Kopf flog laut schimpfend davon.
An ihre Stelle setzte sich ein fetter Rabe. Sein Krächzen hallte schauerlich durch den Buchenhain.
4. Kapitel
Immer wieder warf Bruder Martin einen Blick auf den Reiter neben sich. Auch Suitbertus, der vorausritt, schaute andauernd über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war.
Nichts war in Ordnung!
Als Martin am vergangenen Abend Pater Hilarius reglos am Boden seines Zimmers gefunden hatte, hatte er zuerst befürchtet, der Geistliche sei tot. Der junge Mönch war neben ihm niedergekniet und hatte ihm den Puls gefühlt, so wie der heilkundige Pater Jakobus es ihm früher einmal im Kloster gezeigt hatte. Der Puls des Paters Hilarius hatte noch ganz schwach geschlagen. Gemeinsam mit Suitbertus, der sich schließlich aus seinem Zimmer herausgetraut hatte, als er sicher gewesen war, dass ihm keine Gefahr mehr drohte, hatte Martin den heiligmäßigen Geistlichen wieder zu Bewusstsein gebracht, indem sie ihm leichte Klapse auf die Wangen gegeben hatten. Martin hatte sich dabei wie jemand gefühlt, der einen Heiligen beleidigt und demütigt, doch er hatte nicht gewusst, was er sonst hätte unternehmen sollen. Schließlich war Hilarius aufgewacht und hatte seine beiden jungen Gehilfen und Beschützer aus dem Zimmer gejagt, ohne auch nur ein einziges Wort der Erklärung abzugeben.
Den gesamten Morgen hatte Hilarius im Gebet verbracht, und erst gegen Mittag waren sie aus dem Wirtshaus in Volkach abgereist und hatten sich auf den Rückweg zum Kloster Eberberg gemacht. Hilarius war bleich wie der Tod persönlich, und andauernd las er in seinem zerfledderten Brevier oder leierte Gebete herunter. Er konnte zwar reiten, aber er saß sehr unsicher im Sattel, und Martin hatte Angst, dass der Pater vom Pferd fallen und sich den Hals brechen könnte. Hilarius indes duldete keinerlei Hilfestellung, die ihm zu nahe kam. Dabei hatte er Schwierigkeiten mit seinem Pferd, das immer wieder bockte und den Kopf wiehernd hochwarf. Martin hatte schon früher bemerkt, dass Pferde den Pater nicht besonders mochten.
Sowohl Suitbertus als auch Martin hatten mehrfach versucht, das Gespräch auf den Besuch des edlen Herrn am gestrigen Abend zu lenken, doch Hilarius hatte sie jedes Mal mit finsteren Blicken bedacht und geschwiegen.
Schließlich hatte Martin zu fragen gewagt: »Wäre es nicht besser, wenn wir nach Burgebrach reisen und diesen Erzzauberer Laurenz Hollmann ergreifen?«
»Schweig, Satan!«, lautete die vernichtende Antwort. Mehr war aus dem glühenden Hexenschnüffler nicht herauszubekommen. Martin verstand die Welt nicht mehr. Aber insgeheim war er froh, wieder in sein Kloster und in sein enges, verständliches Zuhause zurückkehren zu können. Er hatte einen winzigen Zipfel der großen, gefährlichen, voll und ganz in der Macht der Hexen und Zauberer befindlichen Welt gelüpft, und das reichte fürs Erste.
Die Landstraße war staubig; schon lange hatte es nicht mehr geregnet. Zu beiden Seiten lagen Weizenfelder, deren Halme noch niedrig waren, und weit im Westen schloss sich ein dichtes Waldband an. Die Sonne hing bereits in den höchsten Wipfeln und schwärzte deren Umrisse, sodass sie wie rätselhafte Buchstaben gegen den dunkelblauen Himmel standen. Im Osten dagegen war nichts als Feld und Wiese; der Blick wurde erst in großer Ferne von einigen Hügeln unterbrochen.
Die Luft war erfüllt vom Abendgesang der Vögel. Weit und breit war niemand sonst zu sehen. Die drei Reiter nahmen einsam ihren Weg und hatten sich in ihr Schweigen wie in schwere Pelzmäntel gehüllt. Martin wollte nicht an die Berichte denken, denen zufolge eine Räuberbande diese Gegend unsicher machte. Er hoffte, dass sie noch vor der Nacht die Herberge erreichten, in der sie auch auf der Hinreise genächtigt hatten. Es war ein elendes Loch, aber er zog es allemal einer Nacht im Wald vor.
Immer drückender legte sich die Dämmerung über die stille Welt. Nach und nach verstummten die Vögel, und nur noch das Klappern der Pferdehufe unterbrach die Ruhe des Abends. In solchen Augenblicken fühlte sich Martin Gott besonders nahe. Oder wollte er sich nur in die Obhut des Herrn flüchten, damit dieser ihn vor den Gefahren des Unbekannten bewahrte, die von jeder Stille und jeder Dunkelheit ausgingen?
Zuerst war es nur ein schwarzer Fleck, wie ein riesiges, sprungbereites Tier – wie ein kauernder Dämon, der unvorsichtigen Reisenden auflauerte. Martin hörte, wie Pater Hilarius neben ihm wieder laut den Rosenkranz betete. Suitbertus befahl seinem Pferd, langsamer zu gehen, und setzte sich an die andere Seite von Hilarius. Offensichtlich wollte der lebenslustige Mönch nun nicht mehr die Vorhut übernehmen.
Als sie dem Fleck etwas näher gekommen waren, sah Martin die beiden gelblichen Augen. Er hielt den Atem an und zerrte an den Zügeln. Sein Pferd schnaubte und wieherte, aber es gehorchte und hielt an. Auch Hilarius’ Reittier blieb stehen. Suitbertus tat es ihnen gleich.
»Jesus und Maria, was ist das?«, fragte er leise.
Hilarius