Michael Siefener

Der schwarze Atem Gottes


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die Truhe gelegt hatte – enthielt neben Kleingeld auch gute Silber- und zwei Goldmünzen.

      »Hab ich dich, du nichtswürdige Hure!« Eine Hand packte sie am Arm und riss sie herum. Der kleine Kaufmann war aufgewacht und hatte bemerkt, dass sein Schlüssel fehlte.

      Maria reagierte sofort. Sie riss sich aus dem Griff des Mannes los, der offensichtlich keine Gegenwehr erwartet hatte, und versetzte ihm einen Schlag gegen die breite, gewölbte Brust, sodass er rückwärts auf das Himmelbett fiel. Rasch hob sie ihren Rock, ihr Hemd, ihr Mieder und die beiden Ärmel vom Boden auf. Ihr blieb nur noch Zeit, den Rock hastig überzustreifen; die restlichen Kleidungsstücke warf sie sich über den Arm, während der Kaufmann bereits wieder aus dem Bett krabbelte. Sie griff nach den beiden wohlgefüllten Geldkatzen und rannte aus dem kleinen Zimmer. Der Kaufmann folgte ihr sofort. Er schien nicht einmal zu bemerken, dass er nackt war.

      Maria stolperte die hohe, enge Stiege herunter, rannte durch das Kontor, in dem der bleiche Jüngling Stielaugen angesichts ihrer hüpfenden Brüste bekam, und als sie gerade bei der Haustür angekommen war, hörte sie, wie der Junge vor Lachen losprustete. Offenbar hatte auch der Kaufmann die Arbeitsstube erreicht.

      Maria kümmerte sich nicht darum, welche Erscheinung sie abgab, und hastete hinaus in die übel riechende Gasse. Erregte Pfiffe gellten aus einigen Läden; ein Schmied schlug gar vor Überraschung neben seinen Amboss, und ein Schuster ließ den Stiefel fallen, den er gerade pfeifend reparierte.

      »Haltet die Diebin!«, kreischte es da aus dem Haus des Kaufmanns. Maria warf einen Blick hinter sich. Er verfolgte sie nicht; sein Adamskostüm war ihm doch wohl zu peinlich.

      Gerade als sie gehofft hatte, dass ihr die Flucht glücken würde, bemerkte sie, dass der Schuster aufgesprungen war. Er hastete hinaus in die Gasse und nahm die Verfolgung auf. Quiekend stoben die beiden mageren Schweine vor ihm auseinander. Hühner rannten aufgeregt umher und schlugen mit den Flügeln. Dieser Aufruhr zog immer mehr Menschen auf die Straße.

      Und immer mehr verfolgten sie.

      Der Schuster, der der Erste gewesen war, hatte bereits gefährlich aufgeholt. Maria kam an eine Kreuzung, huschte nach links in eine Seitenstraße – und stolperte über etwas. Beinahe wäre sie zu Boden gefallen, doch starke Arme fingen sie auf. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hörte sie eine gepresste, raue Stimme: »Bück dich und beweg dich nicht«. Sie gehorchte sofort. Dann fiel etwas Schweres, Kratzendes auf sie und nahm ihr jede Sicht. Es musste eine härene Pferdedecke sein. Zumindest stank sie entsetzlich nach Pferd.

      Aus ihrem Versteck, das sich doch mitten auf der Straße oder zumindest am Rand der Häuser befinden musste, hörte Maria aufgeregtes Schritteklappern. Dann eine hektische Stimme: »Wo ist sie?«

      »Wer?« Das war die Stimme, die ihr geholfen hatte.

      »Das halbnackte Weib.«

      »Hab kein halbnacktes Weib gesehen, sonst wär es jetzt ganz nackt, das könnt ihr mir glauben. Steh nur hier mit meinen Stoffballen unter der Decke und wart auf meine Frau. Dieses zänkische Luder, ob sie mich wieder versetzt hat?«

      Die Schritte entfernten sich.

      Trotzdem dauerte es noch einige Zeit, bis sich die Decke hob.

      »Komm hoch.«

      Maria reckte und streckte sich. Vor ihr stand ein junger, verwegen aussehender Mann. Er war nach der Art der Bauern gekleidet und trug einen langen, blauen Kittel aus grobem Leinen. Das kurze, blonde Haar war ins bartlose Gesicht gekämmt. Trotz seiner Jugend durchzogen tiefe Falten seine Wangen, als ob er bereits bis in die Hölle und zurück gewandert wäre. Seine hellblauen Augen blickten trotzig und zugleich belustigt drein.

      »Was für ein hübscher Anblick«, sagte er mit seiner rauen Stimme. »Es tut mir zwar leid, es sagen zu müssen, aber du solltest dir jetzt besser etwas anziehen. Schließlich scheinst du schöne Kleider zu haben.« Er befühlte kennerhaft den schweren Stoff des Mieders.

      Natürlich hatte Maria diese Sachen nicht gekauft; dazu hatte sie kein Geld. Sie hatte sie vor einem Monat bei einer adligen Dame »ausgeborgt«, wie sie es nannte. Hastig zog sie zuerst das schlichte Hemd – ihr eigenes – und dann das Mieder an und befestigte zum Schluss die Ärmel an den Schultern.

      »Wir müssen uns beeilen. Komm! Und vergiss deine Beute nicht!« Der Mann zerrte an ihrem Arm.

      Maria stemmte sich gegen ihn. »Halt!«, rief sie. »Wer sagt denn, dass ich mit dir gehen will?«

      »Dein Verstand sagt es dir. Ohne mich hast du keine Möglichkeit, heil aus diesem Städtchen herauszukommen. Mein Pferd wartet schon. Komm doch endlich.«

      Maria gab seinem Drängen nach. Er geleitete sie in einen kleinen, stillen Hinterhof, in dem eine winzige Stallung lag. Der Mann führte eine kräftige Stute heraus, warf ihr die Decke über und schnallte dann einen alten Sattel darauf, der neben dem Pferd im Stall gestanden hatte. »So«, sagte er, »jetzt geht’s los.« Er hob Maria nach vorn in den Sattel, setzte sich hinter sie, ergriff die Zügel und trieb das Pferd an.

      Sie kamen an das Stadttor. Marias Retter winkte einem der Wächter zu, der die beiden anstandslos passieren ließ. Als sie das Tor gerade hinter sich gebracht hatten, sagte der junge Bauer: »Spätestens in einer Viertelstunde wäre hier kein Durchkommen mehr gewesen; dann nämlich werden die Wächter von deinem Verbrechen wissen.«

      Bei einem kleinen Buchenwäldchen, von dessen Rand aus man in der Ferne die Tore und Türme von Volkach sehen konnte, hielt Marias Retter das Pferd an. Sie stiegen ab und setzten sich ins hohe Gras.

      »Hat es sich denn gelohnt?«, fragte der junge Mann.

      Maria wollte ihm zunächst nicht ihre Beute zeigen, aber etwas in seinem Blick sagte ihr, dass sie es besser tun sollte. Schließlich war sie ihm vollkommen ausgeliefert. Sie war ohne ihren Willen in diese seltsame Situation hineingeraten, die ihr keineswegs gefiel. Widerwillig gab sie dem Mann die beiden Geldkatzen.

      Er schüttete ihren Inhalt ins Gras. »Sehr schön«, sagte er. »Das behalte ich als Lohn für deine Rettung, aber hab keine Angst, denn das Geld wird auch dir zugutekommen. Einer für alle und alle für einen. Schließlich gehörst du jetzt zu uns.«

      »Ich will zu niemandem gehören. Ich gehöre nur mir.«

      Der junge Mann lachte. »Du bist ein wildes Mädchen! Wie heißt du?«

      »Maria.« Ihr kam es plötzlich so vor, als gebe sie mit ihrem Namen ihr Innerstes preis.

      »Reist du ganz allein durch Gottes weite Welt?«

      »Was geht dich das an?«, gab Maria schnippisch zurück.

      »Verzeih«, sagte der junge Mann, »du hast recht. Es geht mich wirklich nichts an. Aber eigentlich würden wir gut zusammenpassen. Ich heiße nämlich Josef.« In seinen blassblauen Augen lauerte der Schalk. Er hatte etwas jungenhaft Liebenswürdiges an sich, aber gleichzeitig war er mit seinen eingefallenen Wangen und seinem durchdringenden Blick auch eine unheimliche Erscheinung. »Es wäre gut, wenn du niemanden auf der Welt hättest, denn wenn du einen Liebsten hast, dann musst du ihm jetzt Lebewohl sagen.«

      »Warum?«

      »Ich wiederhole mich nur ungern: Weil du jetzt zu uns gehörst.« Josefs Stimme hatte nun etwas Schneidendes an sich.

      »Ich bin allein. Schon seit vielen Jahren. Das heißt natürlich nicht, dass ich noch nie einen Mann gehabt hätte.« Sie warf ihr schönes, braunes Haar kokett in den Nacken, zog dann die Knie an und umfasste sie mit den Armen.

      »Das ist mir klar. Soweit ich weiß, hattest du vorhin noch ein besonders beeindruckendes Exemplar unserer Gattung.«

      Maria musste lachen, doch mitten in ihrem Gelächter fiel ihr etwas auf. Sie verstummte.

      »Woher weißt du das? Du warst nicht unter denen, die mich verfolgt haben.«

      »Oh, ich weiß sogar noch mehr. Das war nicht dein einziger Raubzug heute.« Josef streckte die Beine aus, lehnte sich an einen jungen Buchenstamm und riss einen Grashalm aus. Er kaute genüsslich daran herum, während