ist unnötig. Die beiden Konfratres haben mein volles Vertrauen.«
Das machte Martin mächtig stolz. Er war der Vertraute eines Heiligen! Er würde es noch weit bringen, wenn er sich nur an solch schreckliche Dinge wie Folterungen und Zaubereien gewöhnen konnte. Nun war er plötzlich sehr neugierig, was der Edelmann von Hilarius wollte.
»Ich achte Euer Vertrauen, doch Euch selbst achte ich noch viel höher«, gab der Graf zurück. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das, was ich Euch zu sagen habe, in anderen Ohren als den Euren möglicherweise einen seltsamen Klang haben wird. Einen sehr seltsamen Klang.«
»Wollt Ihr mir etwa drohen?«, schnappte Pater Hilarius. »Ihr sagt, Ihr kennt meinen Ruf. Dann wisst Ihr auch, dass es nichts gibt, mit dem Ihr mir drohen könnt.«
»Ach, wirklich nicht?« Der Graf lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Martin blickte ihn von der Seite an und sah, dass der vornehme Adlige den Mund zu einem ungeheuer breiten Grinsen verzogen hatte. Er sagte:
»Das, was ich Euch zu sagen habe, könnte Euch durchaus erhebliche Magenschmerzen bereiten. Magenschmerzen; versteht Ihr?«
Der Pater wurde blass. Martin begriff überhaupt nichts mehr. Suitbertus hatte inzwischen wenigstens den Mund zugeklappt, doch in seinem Blick lag nicht das geringste Fünkchen Verständnis.
Der Graf fuhr fort, während er sich den sorgfältig gestutzten Bart kraulte: »Wenn ich mich nicht gewaltig irre, habt Ihr heute Dinge gehört, die Euch sehr verwirrt haben. Ich sehe es in Eurem Blick. Gäbet Ihr denn gar nichts darum, zu erfahren, was es mit diesen Dingen auf sich hat?«
Allerdings, dachte Martin, kratzte sich verstohlen an der tonsurierten Stelle seines Schädels und stellte beiläufig fest, dass sein Haupthaar dort wieder in lustigen Stoppeln spross. Bald würde es erneut die unangenehme Bekanntschaft mit dem Messer machen müssen. Der Gedanke an das Barbiermesser aber brachte ihm die Erinnerung an all die Folterwerkzeuge in den Gewölben des Rathauses zurück.
»Ich glaube nicht, dass ich etwas darum gäbe«, sagte Pater Hilarius zögerlich, »aber ich sehe, dass es mir nicht gelingen will, Euch loszuwerden. Ich gewähre Euch ein paar Minuten – oben in meiner kleinen Kammer. Ich muss um Vergebung bitten, dass es in ihr recht ungemütlich ist.«
»Oh, Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, an welch ungemütlichen Orten ich bereits war«, entgegnete der Graf. »Verglichen mit ihnen wird Eure Kammer mir wie Abrahams Schoß erscheinen.« Er stand auf und nickte kurz. Es war der Befehl eines Herrn an seinen Hund.
Langsam erhob sich auch der Pater und verließ den Tisch. Der Graf folgte ihm. Bald waren sie zwischen den vielen Farben in der Schankstube verschwunden.
»O gütiger Herr im Himmel«, sagte nun Suitbertus, der wirkte, als sei er aus einem Albtraum aufgewacht. »Was war denn das für ein Fürst der Finsternis?«
»Meinst du das ernst?«, fragte Martin unsicher. Er hatte immer stärker das Gefühl, dass die Welt ein verwirrendes, undurchdringliches Labyrinth war, und er sehnte sich stärker denn je nach der engen und manchmal unbequemen Geborgenheit seines Klosters zurück.
Suitbertus schien seinen Mitbruder zunächst nicht zu verstehen, doch dann lachte er kurz auf. »Glaubst du wirklich, dass das der Teufel war?«, fragte er. »Der Teufel bist du selbst – und zwar ein armer. Mir kann der heiligmäßige Pater Hilarius nichts mehr vormachen. Ich zähle zwar gerade erst fünfundzwanzig Sommer, aber ich habe mindestens genauso viel von der Welt gesehen wie er und weiß, dass es keinen Teufel gibt.«
Bruder Martin war entsetzt. So hatte er Suitbertus noch nie reden gehört. »Wenn es, wie du sagst, keinen Teufel gibt, dann gibt es auch keinen Gott«, keuchte er und kam sich sofort unrein vor, weil er einen so blasphemischen Gedanken ausgesprochen hatte.
Bruder Suitbertus zuckte nur mit den Schultern, schnitt sich ein weiteres Stück Braten ab und stopfte es sich in den Mund. Dabei nuschelte er: »Aber mich würde trotzdem interessieren, was die beiden hohen Herren zu bereden haben.« Er schlang das Fleisch herunter und spülte mit Wein nach. »Es muss ja ganz schön wichtig sein. Das will ich wissen. Komm!« Er sprang plötzlich auf und lief durch den Schankraum, in den inzwischen wieder das übliche lärmende Treiben eingekehrt war. Martin wollte nicht allein hier unten bei den vielen Fremden bleiben. Also lief er Suitbertus nach, wobei er seine lange Kutte ein wenig raffte, um sich nicht in ihr zu verheddern.
»Schaut her! Ist er nicht kokett, der Kleine?«, rief grölend einer der Bauern und schlug sich auf die Schenkel. Martin lief rot an und sah starr vor Scham auf den Boden. Er war heilfroh, als er die Stiege nach oben zu den Zimmern erreicht hatte. Suitbertus hastete bereits die Stufen hoch.
Der Lärm der Schänke drang nur gedämpft nach hier oben in den engen, niedrigen Gang. Hinter der vorletzten Tür an der linken Seite lag die Kammer des Paters, während sich seine beiden Mitbrüder das Zimmer daneben teilen mussten.
Suitbertus legte das Ohr an Hilarius’ Zimmertür. Er lauschte angestrengt, wobei er den Mund so verzog, dass seine Zunge etwas heraushing. Martin überlegte kurz, ob er ebenfalls horchen sollte. Der Pater vertraute ihm; durfte er dieses Vertrauen so schändlich hintergehen? Aber die Neugier war stärker.
Martin hörte, dass im Zimmer gesprochen wurde, doch er konnte keines der Worte verstehen. Die Unterhaltung schien hektisch zu sein, aber die Redenden waren so sehr darauf bedacht, nicht gehört zu werden, dass es nur wie ein endloses Gemurmel klang.
Oder wie eine Beschwörung?, überkam es Martin. Er musste wieder an den Zauberer denken, der schließlich zugegeben hatte, dass er Dämonen beschworen hatte. Martin verspürte ein kribbelndes Gefühl im Bauch. Fast gegen seinen Willen bückte er sich, um durch das große Schlüsselloch zu spähen.
In diesem Augenblick wurde die Tür heftig nach innen gerissen. Martin verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach auf den Zimmerboden. Auch Suitbertus torkelte und drohte auf seinen Mitbruder zu stürzen; aus den Augenwinkeln heraus sah Martin jedoch, dass er sich fangen konnte.
Der Graf stand unverrückbar wie ein Baum vor dem am Boden liegenden Bruder. »Was bildet ihr euch ein, Gesindel!«, rief er. Martin rappelte sich sofort auf und taumelte zurück. Diese Stimme hatte nur noch wenig Menschliches an sich. Sie klang dumpf und schnarrend und tot. »Verschwindet!« Das Gesicht des Grafen war zu einer Maske des Hasses erstarrt.
Die beiden überrumpelten Mönche flohen in ihr eigenes Zimmer. Suitbertus verriegelte sofort die Tür hinter ihnen. Er zitterte am ganzen Leib, setzte sich auf seine Koje, vergrub die Hand in dem Stroh, das zur Auspolsterung diente, und zerkrümelte es geistesabwesend. Es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigt hatte. Immer noch drang von nebenan aufgeregtes Gemurmel.
Nun war es Martin, der einen zweiten Versuch wagte. Er kletterte neben seinen Mitbruder und horchte an der Wand. Doch hier war noch weniger zu hören als draußen an der Tür. Er gab es auf.
Gerade als er seufzend und mit noch immer reichlich wackligen Knien von dem Bett seines Mitbruders herunterkletterte, geschah es.
Martin sah Suitbertus mit schreckgeweiteten Augen an.
Suitbertus hielt den Atem an und glotzte zurück.
Aus dem Nachbarzimmer drang ein höllisches Getöse. Es war, als zische und pfeife eine Kanonenkugel wie eine unermesslich große, wild gewordene Hummel durch den angrenzenden Raum. Dann erhob sich ein Schrei, dunkel und verzweifelt zuerst, doch bald immer heller und wahnsinniger werdend, bis schließlich ein Knall ertönte, als sei dort drüben ein ganzes Bündel Blitze eingeschlagen.
Darauf wurde es still. So still wie auf einem Friedhof.
Martins Angst um den Pater war stärker als die Angst vor dem unheimlichen Grafen. Er stürzte auf den Gang hinaus.
Hier war alles ruhig. Martin winkte Suitbertus zu, er solle ihm folgen. Aber Suitbertus schüttelte nur völlig verängstigt den Kopf und kauerte sich auf seinem Bett so zusammen, dass Martin bald nichts mehr von ihm sehen konnte.
Er horchte an der Tür.
Nichts regte sich hinter ihr.
Vorsichtig