Michael Siefener

Der schwarze Atem Gottes


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den anderen Tischen johlten und grölten Zunftmitglieder, kleine Kaufleute, Bauern aus dem Umland, die ihr Vieh und ihr Gemüse auf dem Markt mehr oder weniger gewinnbringend verkauft hatten, und allerlei Gesindel, dem der Wein niemals schnell genug floss. Nur am Tisch der drei Mönche herrschte eisiges Schweigen. Martin sah, wie vereinzelte Blicke zu ihnen herübergeworfen wurden – dunkle Blicke, angewiderte Blicke. Natürlich hatte es sich bereits herumgesprochen, dass der Zauberer auf der Folter gestorben war. Zwar weinte ihm niemand eine Träne nach, aber einige Bürger fühlten sich offenbar in ihrer Geringschätzung des Klerus bestätigt.

      Wenn doch nur Pater Hilarius dieses schreckliche Schweigen durchbrechen und etwas sagen würde!

      Schließlich hielt Martin es nicht mehr aus. Während er nervös mit dem weißen Zingulum spielte, das seine Kutte über der Hüfte zusammenhielt, fragte er Pater Hilarius: »Habt Ihr dem schändlichen Zauberer wichtige Informationen entlocken können? Werden wir uns nun nach Burgebrach aufmachen, um auch seinen Spießgesellen zu verhören?« Insgeheim schauderte es ihn bei dem Gedanken, eine weitere Tortur erleben zu müssen.

      Pater Hilarius schaute Martin offen an. Der junge Mönch zuckte zusammen. Teufel schienen in den geweiteten, finsteren Pupillen des Heiligmäßigen zu tanzen. Er sagte kein Wort.

      Suitbertus schlürfte den letzten Tropfen aus seinem Humpen und rief lautstark nach der Magd, damit sie ihm Nachschub bringe. Sie kam schnell mit einem neuen Krug heran und stellte ihn mit einem unverbindlichen Lächeln vor den Mönch, der ihr bei dieser Gelegenheit rasch unter den langen Rock griff. Das Mädchen kreischte auf. Es klang gekünstelt. Auch wurde sie nicht rot. Aber sie entfernte sich schnell wieder vom Mönchstisch. Suitbertus nahm sofort einen großen Schluck; dann sagte er:

      »Unsere Mission ist erledigt, nicht wahr, Pater Hilarius? Was gehen uns die Zauberer im Osten an, die nicht einmal mehr zur Hoheit unseres Klosters gehören. Sollen sich doch unsere eifrigen Brüder, die Dominikaner von Bamberg, darum kümmern. Ich für meinen Teil …«

      Ein einziger Blick von Hilarius brachte ihn zum Schweigen.

      Martin ging nicht aus dem Kopf, was der Zauberer auf der Folter gesagt hatte. »Was hat er mit dem Untergang der Welt gemeint?«, fragte er leise, eigentlich eher an sich selbst als an den Pater gerichtet.

      Der Pater schaute wieder in seinen Humpen und faltete die Hände um den klobigen Steinkrug. Dann zuckten seine Mundwinkel wie in einem plötzlichen Schmerz. Er ließ den Krug los und fasste sich an den halb von der Tischplatte verborgenen Bauch. Es war Martin, als habe sich die Kutte des Paters wie von selbst bewegt. Sicherlich war es nur ein Luftzug gewesen, vielleicht auch ein widriger Wind.

      Der Lärm in der Schankstube schwoll immer stärker an. Jemand hatte eine Fiedel hervorgekramt und entlockte ihr nun entsetzlich quietschende und klagende Töne. Martin sah, wie einer der Tische beiseitegeschoben wurde, wie einer der Männer aufsprang und sich die Magd schnappte. Sie ließ den Bierkrug, den sie gerade in der Hand hielt, fallen und drehte sich zusammen mit dem Mann in einem plumpen Tanz, dass ihre Röcke rauschten und wie toll wirbelten.

       Es ist, als wollten sie sich in Lärm und Rausch versenken, dachte Martin. Es ist, als hätten sie alle die Schreie des sterbenden Zauberers gehört.

      Und als hätten sie alle seine letzten Worte verstanden; jene Worte, die aus Pater Hilarius einen anderen Menschen gemacht hatten. Aber anstatt wie er zu schweigen, versuchten sie, die ganze Welt mit all ihren Farben, Lauten und Gerüchen in diese kleine Stube hineinzuzerren.

      Doch mit einem Schlag war alles still – so still wie Pater Hilarius.

      Die Stille war wie ein Schock.

      In sie hinein fiel das leise Knirschen von Stiefelabsätzen. Es musste weiches, teures Leder sein, das diese Laute verursachte, und keine der harten, klappernden Kuhmaulschuhe, die die Bauern und kleinen Händler und Handwerker trugen.

      Die Schritte waren hinter Martin; sie kamen auf ihn zu; irgendwo in seinem Rücken befand sich die Eingangstür der Schänke. Mit ihnen kam ein eisiger Hauch. Er sah, dass die beiden Tänzer mitten in ihrer Bewegung erfroren waren und mit großen Augen auf das glotzten, was sich Martin von hinten näherte.

      Auch Pater Hilarius starrte an Martin vorbei. Er runzelte die Stirn.

      Bruder Suitbertus bemerkte erst mit einiger Verzögerung, dass etwas nicht stimmte. Er legte langsam das fetttriefende Messer zur Seite und starrte in dieselbe Richtung wie der neben ihm sitzende Pater. Martin drehte sich endlich um.

      Der Mann, der nun fast schon neben Martin stand, war keineswegs so beeindruckend, als dass seine bloße Erscheinung eine derart erstaunliche Wirkung auf die anderen Gäste hätte hervorrufen können. Er war groß und sehr hager, trug einen Vollbart, der ihm ein verwegenes Aussehen verlieh, und steckte in sündhaft teurer Kleidung. An seinem Pelzbarett hing eine grotesk lange, grün schillernde Pfauenfeder herab. Sein Wams war wie ein Feuer: grellrot mit schwarzen Schlitzen. Wenn man ihn von Weitem auf der Straße gesehen hätte, hätte man ihn zwar für einen reichen Mann gehalten, ihn aber nicht weiter beachtet. Doch hier, in der Beengtheit der billigen Schankstube, war seine Gegenwart so beherrschend und erdrückend, dass sie Martin fast den Atem nahm. Er hätte nicht sagen können, aus welchen Attributen des vornehmen Mannes dieses Gefühl herrührte, aber es war unleugbar da.

      Langsam erhoben sich wieder die gewohnten Geräusche in der Stube. Die Fiedel setzte erneut ein, doch ihre Töne waren noch schriller und falscher als zuvor. Der Tanz ging weiter, aber ihm fehlte jegliche Freude; die beiden Tänzer waren wie Figuren in einer jener großen Domuhren, von denen Martin schon viel gehört hatte.

      »Habe ich das Vergnügen, vor dem heiligmäßigen Pater Hilarius zu stehen?«, fragte der Fremde mit einer sanften Stimme, deren Klang bei Martin allerdings sofort eine Gänsehaut hervorrief. »Man versicherte mir, dass ich Euch hier finden kann, und ich freue mich, dass man mir die Wahrheit sagte.«

      Der Pater starrte den eleganten Mann unverwandt an. Martin glaubte in seinem Blick sowohl Trotz und Überheblichkeit als auch Furcht zu erkennen.

      »Wer will Pater Hilarius sprechen?«

      »Mein Name ist …«, hier machte der Neuankömmling einen kurze Pause, als müsse er sich erst einen Namen überlegen, »… Graf Albert von Heilingen. Stets zu Euren Diensten, ehrwürdiger Vater.« Er machte eine übertriebene Verbeugung, die jeder wahren Höflichkeit frech spottete.

      »Was wollt Ihr von mir?« Hilarius hatte die Hände wieder um den Weinhumpen gelegt. Er hatte so fest zugepackt, als wolle er Flüssigkeit aus dem Steingut pressen.

      »Euer Ruf durchdringt die ganze zivilisierte Welt«, sagte der Graf und zog sich den einzigen freien Stuhl heran, der neben Martin gestanden hatte. Er setzte sich und beugte sich über den Tisch, um dem Pater noch näher zu sein. Martin bemerkte einen zwar schwachen, aber eindeutig unangenehmen Geruch an dem Grafen. War es der Unterricht bei Pater Hilarius gewesen, der ihn nun überall Teufel sehen – und riechen – ließ? Er rückte mit seinem Stuhl so weit wie möglich von dem Grafen fort.

      Suitbertus hatte seinen Schweinebraten vollkommen vergessen, ja er hatte sogar vergessen, den Mund zu schließen. Wie ein Verzauberter saß er da und starrte den Grafen an.

      »Ich frage Euch noch einmal: Was begehrt Ihr von mir?«, wollte Pater Hilarius wissen.

      »Nur die Gunst einer Unterredung.«

      »Und worüber wollt Ihr mit mir reden?«

      »Über …« Der Graf unterbrach sich und blickte von Hilarius zu Suitbertus. Dann drehte er sich zu Martin um und sah ihm tief in die Augen. In diesem Moment hatte der junge Mönch den Eindruck, als sehe er zum zweiten Mal an diesem Tag einen abgrundtiefen Schatten. Er legte sich dicht und dick über den Tisch und den ganzen Schankraum. Die verzweifelt fröhlichen Zecher schienen es ebenfalls zu spüren. Mit einem schrecklichen Misston riss eine Saite der Fiedel. Der Tanz war vorüber. Das Johlen war in ein erschrockenes Murmeln übergegangen. Die Magd huschte aus dem Raum.

      »Wenn Ihr mir nichts zu sagen habt, dann lasst mich in Ruhe und zieht Eures Weges«, sagte der Pater. Seine Stimme schwankte.

      »Oh,