Michael Siefener

Der schwarze Atem Gottes


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den Teufel geraten? Ihr schauderte.

      Dann schüttelte sie den Kopf, wie um ihre Gedanken zu befreien. Wer glaubte denn noch an einen solchen Unsinn? Angewidert warf sie die Blätter und die Zähne fort und ging zurück auf den Marktplatz. Was sollte sie nun tun? Ihr Magen knurrte lauter denn je und verdrängte durch seine Begehrlichkeit alle befremdlichen Gedanken.

      »So allein, schönes Kind?«

      Sie fuhr zusammen. Wessen meckernde Stimme war das?

      Neben ihr stand ein kleiner, schäbig gekleideter Mann, der beinahe genauso breit wie hoch war. Sein Wams glänzte vor Fettflecken und abgescheuerten Stellen, seine Hose schien im Bund fast zu platzen, seine bis über die Knie reichenden Strümpfe waren durchlöchert, und an seinen Kuhmaulschuhen fehlten die Schnallen. Alles in allem: ein Krämer. Und ein sabbernder dazu. In seinen Augen lag ein gieriges Glitzern.

      »Ich wüsste nicht, was es Euch angeht, ob ich allein bin oder nicht«, gab Maria schnippisch zurück, doch sie hütete sich davor, allzu verletzend zu sein. Wie oft hatte sie schon erfahren müssen, dass gerade die widerwärtigsten Menschen ihr für einige Zeit das Überleben gesichert hatten.

      »Oh, Ihr habt ganz recht, meine Schöne, es geht mich gar nichts an, doch ich habe Euch noch nie in unserer herrlichen Stadt gesehen.«

      »Ich bin erst seit gestern hier.«

      »Da seid Ihr sicherlich auf Besuch? Haben Euch Eure Gastgeber schon die Sehenswürdigkeiten unserer Stadt gezeigt? Das Rathaus? Die Kirche? Nein? Darf ich Euer Fremdenführer sein?«

      Ein einziger Blick in seine Augen hatte Maria verraten, was er von ihr wollte. Sie konnte nicht gerade behaupten, dass ihr der Gedanke, dieses stinkende und schmuddelige Wesen aus nächster Nähe betrachten zu müssen, angenehm war, aber in der Not fraß der Teufel halt Fliegen. Ihr knurrender Magen duldete keine andere Entscheidung. Sie war schon einige Male in derselben Lage gewesen, und es hatte sich für sie immer ausgezahlt. Also beschloss sie, es kurz zu machen.

      »Wie wäre es denn, wenn Ihr mir Eure Schlafkammer zeigt?«

      Dem Männchen blieb der Atem weg. Mit einer solch dreisten Offenheit hatte er nicht gerechnet. Er fing sich jedoch schnell wieder und sagte, während er seinen grauen Stoppelbart betastete: »Du gehst aber ran, meine Kleine. Doch es soll dein Schaden nicht sein, das verspreche ich dir. Komm.«

      Er führte sie durch zahlreiche gewundene Straßen, bis sie schließlich vor einem schmalen, heruntergekommenen Haus in einer der schmutzigsten Gassen standen, die Maria je gesehen hatte. Kot und Waschwasser schwammen in der Gosse, die keinen Ablauf hatte, und Mist und Heu war über ihre gesamte Länge verteilt. Einige Hühner fühlten sich hier sehr zu Hause, genauso wie zwei winzige, magere Schweine, die in den Abfällen nach etwas Essbarem suchten.

      Plötzlich drückte der kleine Mann Maria zur Seite. Kurz nachdem sie ein Quietschen wie vom Öffnen eines Fensters gehört hatte, ergoss sich auch schon aus dem ersten Stock des Nachbarhauses der Inhalt eines Nachttopfes beinahe genau auf die Stelle, wo Maria und ihr zeitweiliger Beschützer eben noch gestanden hatten. Mit einem lauten Schlag wurde das Fenster wieder zugeworfen.

      »Diese Schmidtlin!«, zeterte der Mann aufgeregt und schwenkte seine kleine, schorfige Faust dem stoischen Nachbarhaus entgegen. »Diese Hexe! Eines Tages wird sie brennen, das verspreche ich dir.«

      »Versprich mir lieber etwas anderes«, sagte Maria, die es nicht mehr erwarten konnte, diese Gasse wieder zu verlassen.

      Statt einer Antwort drückte der Mann die schiefe Tür auf, hinter der sich ein dunkler Raum mit einem Tisch darin befand, an dem ein schmächtiger, bleichgesichtiger Junge saß. »Das hier ist mein Kontor«, sagte der kugelige Mann und warf sich stolz in die Brust. »Ich kaufe und verkaufe Gewürze.« Er sackte wieder zusammen. »Leider gehen die Geschäfte im Augenblick nicht so gut. Aber meine Frau, das alte, gerissene Luder, ist zu ihren Verwandten nach Würzburg gereist und will dort neue Geschäftsbeziehungen für mich knüpfen. Stoffe, ha! Das ist doch Weiberkram. Das will ich nicht. Aber jetzt werden wir es uns erst einmal schön machen.« Er drängte Maria durch das finstere Kontor. Sie sah, wie der Junge ihr schmachtende Blicke nachwarf. Er wäre ihr lieber gewesen.

      Die Schlafkammer war eng und stickig. Nur ein kleines Fenster ging auf die Straße hinaus, und das Fensterglas, das einmal in ihm gesteckt haben mochte, war inzwischen durch Ölpappe ersetzt worden. Offenbar gingen die Geschäfte wirklich schlecht.

      Das Männchen warf seinen Umhang auf den Boden, nahm seine Geldkatze, die recht mager war, in die Hand und wog sie ab. »Wenn du hältst, was dein Aussehen verspricht, wirst du dich hinterher daraus bedienen können. Doch so lange werden wir das gute Stück hier in dieser Truhe verstauen.« Er lachte meckernd, stöberte unter seinem Wams herum und zog sich eine Kordel über den Kopf, an dem ein kleiner Schlüssel hing. Damit öffnete er die Truhe, die neben dem Himmelbett und einem wackeligen Stuhl die einzige Einrichtung des Zimmers bildete. Er legte das Säckchen auf die gefaltete Wäsche, die Maria mit einem kurzen Blick bemerkte, schloss danach die Truhe ab und streifte sich den Schlüssel wieder über den Kopf. Dann entkleidete er sich.

      Maria hatte genau gesehen, dass neben der neu hinzugekommenen Geldkatze noch zwei andere in der Truhe gelegen hatten – offenbar Notgroschen. Der Gedanke an diese Reichtümer, die sie hier angesichts der nur allzu deutlichen Armut nicht erwartet hatte, gab ihr neue Kraft, als sie sah, wie der Mann sich seines Hemdes entledigte und nun in seiner ganzen zweifelhaften Herrlichkeit vor ihr stand. Die Kordel mit dem Schlüssel daran trug er inzwischen wieder wie eine Kette um den Hals; er hatte offenbar nicht vor, sie abzulegen.

      Nun zog auch Maria sich aus. Mit jedem Kleidungsstück, das zu Boden fiel, stand der Mund des Mannes weiter offen, und auch andere Körperregungen bewiesen, dass ihm gefiel, was er da sah.

      Maria wusste, dass sie einen schönen Körper hatte. Ihr Bauch war flach, ihr Hintern hing noch nicht, und ihre Brüste waren voll, rund und straff. Wie lange würde sie dieses Kapital noch haben? Schließlich war sie bereits vierundzwanzig; ein Alter, in dem viele Frauen schon dem Grabe sehr nahe waren. Sie legte sich auf das Bett. Die strohgefüllte Matratze stach und pikste.

      Das Männchen konnte sich an der Herrlichkeit ihres Körpers nicht sattsehen. Er betastete sie überall, und sein Schweiß und sein Gestank ekelten sie an. Denk an die Geldbeutel, sagte sie sich und schloss die Augen. Dann wälzte er sich auf sie.

      Es war schnell vorüber. Das Männchen hatte sich vollkommen verausgabt; es kullerte wie eine Kanonenkugel von Maria herunter, murmelte noch: »Da hat der vornehme Herr mit der Pfauenfeder aber nicht zu viel versprochen«, und blieb dann laut schnarchend neben ihr liegen. Sie öffnete die Augen, seufzte erleichtert auf und betrachtete ihren feurigen Liebhaber. Welchen »vornehmen Herrn« hatte er gemeint? Doch nicht etwa denselben, den sie so erfolglos ausgeraubt hatte? Nein, wahrscheinlich hatte sie sich verhört.

      Die Kordel mit dem Schlüssel daran hing noch immer um den Hals des erschöpften Schnarchers, doch der Schlüssel selbst hatte sich seitlich unter seine mächtige Brust geschoben und befand sich damit außerhalb von Marias Reichweite. Sie zupfte leicht an der Kordel. Ihr Liebhaber stieß ein Grunzen aus und rollte sich noch mehr auf den Bauch.

      Maria hätte am liebsten vor Enttäuschung aufgeschrien. Warum, verdammt, stach ihn das Metall nicht so sehr, dass er sich auf den Rücken rollte? Es blieb ihr nichts anderes übrig: Sie musste nachhelfen.

      Maria richtete sich vorsichtig in dem engen, muffigen Bett auf. Dabei fuhren die Spitzen ihrer Brüste sanft über den Rücken des Schlafenden. Als errege diese Berührung höchst angenehme Traumbilder in ihm, begann er zu lächeln und rekelte sich auf der harten Matratze. Dann drehte er sich endlich!

      Mit einem Griff hatte Maria ihm den heiß ersehnten Schlüssel über den Kopf gezogen, und mit zwei Sprüngen war sie bei der Truhe. Sie öffnete sie rasch und lautlos und packte das erste Säckchen. Sie war vorsichtig geworden; also warf sie zunächst einen Blick hinein.

      Knöpfe, Kieselsteine, ein paar wertlose Kupfermünzen. Sonst nichts.

      Maria schleuderte die Geldkatze wütend zurück in die Truhe und schnappte sich den zweiten Lederbeutel.