Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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die ich erspart habe. Ich kann sie wohl entbehren. Nehmt sie zum Neujahrsgeschenk. So können wir alle drei das neue Jahr wohlgemut und sorgenlos antreten. Gott gebe, daß wir es gesund und fröhlich durchleben. Der Himmel wird ferner für euch und mich sorgen.«

      Frau Käthe traten die Tränen in die Augen, und sie küßte ihn. Der alte Gottlieb sagte: »Philipp, du bist wahrhaft der Trost und Stab unsers Alters. Gott wird dir's vergelten. Fahre fort, redlich zu sein und deine Eltern zu lieben. Ich sage dir, der Segen bleibt nicht aus. Zum Neujahr wünsche ich dir nichts, als dein Herz fromm und gut zu bewahren. Das steht in deiner Macht. Dann bist du reich genug. Dann hast du deinen Himmel im Gewissen.

      So sprach der alte Gottlieb, ging und schrieb die Summe von zweiundzwanzig Gulden ins große Hausbuch und sagte: »Was du mich als Kind gekostet, hast du beinahe schon alles abbezahlt. Jetzt haben wir aus deinen Ersparnissen schon dreihundert und siebzehn Gulden empfangen und genossen.« »Dreihundert und siebzehn Gulden!« rief Frau Käthe mit großem Erstaunen. Dann wandte sie sich mitleidig zu Philipp und sagte mit weicher Stimme: »Herzenskind, du jammerst mich. Ja, recht sehr jammerst du mich. Hättest du die Summe für dich sparen und zurücklegen können, so würdest du jetzt ein Stück Land kaufen, für eigene Rechnung Gärtnerei reiben und die gute Rose heiraten können. Das geht nun nicht. Aber tröste dich. Wir sind alt; du wirst uns nicht mehr so lange unterstützen müssen.«

      »Mutter,« sagte Philipp und runzelte die Stirn ein wenig, »was redest du? Röschen ist mir zwar lieb wie mein Leben. Aber hundert Röschen gäbe ich für dich und den Vater hin. Ich kann in dieser Welt keine Eltern mehr haben als euch; aber wenn es sein muß, wohl noch manches Röschen, wenn ich schon unter zehntausend Röschen kein anderes als Bittners Röschen möchte.«

      »Du hast recht, Philipp!« sagte der Alte; »Lieben und Heiraten ist kein Verdienst; aber alte, arme Eltern ehren und unterstützen, das ist Pflicht und Verdienst. Sich selbst opfern mit seinen Leidenschaften und Neigungen für das Glück der Eltern, das ist kindliche Dankbarkeit. Das erwirbt dir Gotteslohn; das macht dich im Herzen reich.«

      »Wenn nur,« sagte Frau Käthe, »dem Mädchen die Zeit nicht zu lang oder es dir abtrünnig wird! – Denn Röschen ist ein schönes Mädchen, das muß man sagen. Es ist freilich arm; aber an Freiern wird es ihm nicht fehlen. Es ist tugendhaft und versteht die Haushaltung.«

      »Fürchte dich gar nicht, Mutter!« versetzte Philipp; »Röschen hat mir's feierlich geschworen, sie nehme keinen andern Mann als mich; und das ist genug. Ihre alte Mutter hat eigentlich auch nichts an mir auszusetzen. Und könnte ich heute mein Gewerbe für mich treiben und eine Frau ernähren, morgen hätte ich Röschen am Altar; das weiß ich. Es ist nur verdrießlich, daß die alte Bittnerin uns verbietet, einander so oft zu sehen, wie wir gern möchten. Sie sagt, das tue nicht gut. Ich aber finde, und Röschen findet das auch, es tue uns beiden gewiß sehr gut. Auch haben wir verabredet, uns heut um zwölf Uhr vor der Haupttür der Gregorienkirche zu sprechen; denn Röschen bringt den Sylvesterabend bei einer ihrer Freundinnen zu. Dann führe ich sie des Nachts heim.«

      Unter diesem Gesprächen schlug es im benachbarten Turme drei Viertel. Da nahm Philipp den Nachtwächtermantel seines Vaters vom warmen Ofen, auf den ihn Käthe vorsorglich gelegt hatte, hing ihn um, nahm das Horn und die Stange, wünschte den Eltern gute Nacht und begab sich auf seinen Posten.

      2.

       Inhaltsverzeichnis

      Philipp schritt majestätisch durch die beschneiten Gassen der königlichen Residenz, auf welchen noch viel Volks umherwandelte, als wär's am Tage. Kutschen fuhren her und hin. Alles war in den Häusern hell und licht. Unsern Nachtwächter belustigte das heitere Leben. Er sang und blies im angewiesenen Stadtquartier die zehnte Stunde recht frohmütig ab, am liebsten und mit mancherlei Nebengedanken vor dem Hause unweit der Gregorienkirche, wo er wohl wußte, daß Röschen bei ihren Freundinnen war. »Nun hört sie mich,« dachte er, »nun denkt sie an mich und vergißt vielleicht Gespräch und Spiel. Wenn sie nur um zwölf Uhr nicht bei der Kirchtür fehlt!«

      Und als er seinen Gang durch das Stadtquartier gemacht hatte, kehrte er vor das beliebte Haus zurück und sah nach den erleuchteten Fenstern von Röschens Freundinnen hinauf. Zuweilen sah er weibliche Gestalten am Fenster, dann schlug sein Herz schneller. Er glaubte Röschen zu sehen. Verschwanden die Gestalten, so studierte er ihre verlängerten Schatten an der Wand und Zimmerdecke. um zu erkennen, welcher Röschens Schatten sei und was sie tue. Es war freilich gar nicht so angenehm, in Frost und Schnee dazustehen und Beobachtungen zu machen. Aber was fechten Frost und Schnee einen Liebhaber an! Und Nachtwächter lieben heutzutage so romantisch wie irgend zärtliche Ritter der Vorwelt in Romanzen und Balladen.

      Er spürte den Einfluß der Kälte erst, als es elf Uhr schlug und er von neuem die nachtwächterliche Runde beginnen sollte. Die Zähne klapperten ihm vor Frost. Er konnte kaum die Stunde anrufen und dazu blasen. Er wäre gern in ein Bierhaus eingekehrt, um sich wieder zu erwärmen.

      Wie er nun durch ein einsames Nebengäßchen ging, trat ihm eine seltsame Gestalt entgegen, ein Mensch mit schwarzer Halblarve vor dem Gesicht, in einen feuerroten Seidenmantel gehüllt, auf dem Haupte einen runden, seitwärts aufgeschlagenen Hut, phantastisch mit vielen hohen, schwankenden Federn geschmückt.

      Philipp wollte der Maske ausweichen. Diese aber vertrat ihm den Weg und sagte: »Du bist mir ein allerliebster Kerl, du! Du gefällst mir! Wo gehst du hin? Sag' mir's.«

      Philipp antwortete: »In die Mariengasse, da ruf' ich die Stunde.«

      »Göttlich!« rief die Maske. »Das muß ich hören. Ich will dich begleiten. So was hört man nicht alle Tage. Komm nur, närrischer Kerl, und laß dich hören,; aber das sag' ich dir, als Virtuose laß dich hören, sonst bin ich nicht zufrieden. Kannst du ein lustiges Stückchen singen?«

      Philipp sah wohl, der Herr war ein wenig weinselig und vornehmen Standes, und antwortete: »Herr, beim Glase Wein und in warmer Stube besser als bei solcher Kälte, die einem das Herz im Leibe erstarrt.« – Damit ging er seines Weges in die Mariengasse und sang und blies.

      Die Maske hatte ihn dahin begleitet und sprach: »Das ist kein Kunststück. Das kann ich auch, du närrischer Kerl. Gib mir dein Horn; ich will für dich blasen und singen. Du sollst dich halb zu Tode wundern.«

      Philipp gab auf der nächsten Station den Bitten der Maske nach und ließ sie blasen und singen. Es ging ganz in der Ordnung. So zum zweiten, zum dritten und zum vierten Male. Die Maske konnte nicht müde werden, Stellvertreter des Nachtwächters zu sein, und war in Lobeserhebungen seiner Geschicklichkeit unerschöpflich. Philipp lachte von ganzem Herzen über die wunderlichen Einfälle des lustigen Herrn, der vermutlich, aus froher Gesellschaft oder von einem Balle kam und sich mit einem Gläschen Wein über die gewöhnliche Höhe des Alltagslebens hinaufgestimmt hatte.

      »Weißt du was, Schätzchen? Ich hätte große Lust, ein Paar Stunden zu nachtwächtern. Ist es diesmal nicht, komm' ich mein Lebtag nicht zu der Ehre. Gib mir deinen Mantel und breitkrempigen Hut: ich gebe dir da meinen Domino. Geh in ein Bierhaus, trinke dir ein Räuschchen auf meine Rechnung; und hast du eins, so komm wieder und gib mir meinen Maskenanzug zurück. Hier hast du ein Paar Taler Trinkgeld. Was meinst du, Schätzchen?«

      Dazu hatte der Nachtwächter keine Lust. Die Maske aber gab mit Bitten nicht nach, und wie beide in ein finsteres Gässchen traten, wurde kapituliert. – Philipp fror erbärmlich; eine warme Stube hätte ihm wohlgetan, ein gutes Trinkgeld nicht minder. Er bewilligte dem jungen Herrn also das Nachtwächter-Vikariat auf eine halbe Stunde, nämlich bis zwölf Uhr; dann sollte er zur Hauptpforte der Gregorienkirche kommen und Mantel, Hut, Horn und Stange gegen den langen roten Seidenmantel, Larve und Federhut austauschen. Auch nannte er ihm noch vier Straßen, in denen er die Stunde abzurufen habe.

      »Herzensschatz!« rief die Maske entzückt, »ich möchte dich küssen, wenn du nicht ein Schmierfinke wärst. Nun, es soll dich nicht gereuen. Um zwölf Uhr stelle dich bei der Kirche ein und hole zum Trinkgeld dir noch ein Bratengeld. Juchhe, ich bin Nachtwächter!«

      Die