Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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seinen Stellvertreter verließ, fiel es ihm aber doch aufs Herz, der junge Herr könnte vielleicht aus Uebermut die nachtwächterliche Würde entweihen. Er drehte sich noch einmal um und sagte: »Ich hoffe, Sie werden meine Gutmütigkeit nicht mißbrauchen und Unfug treiben. Das könnte mir Verdruß zuziehen und den Dienst rauben.«

      »Was denkst du denn, närrischer Kerl?« rief der Vikar. »Meinst du, ich wisse nicht, was meines Amtes sei? Dafür laß mich sorgen. Ich bin ein Christenmensch, so gut wie du. Packe dich, oder ich werfe dir die Stange zwischen die Beine. Um zwölf Uhr bist du unfehlbar bei der Gregorienkirche und gibst mir meine Kleidung wieder. Adieu! Das ist ein Teufelsspaß für mich.«

      Trotzig ging der neue Nachtwächter seines Weges. Philipp eilte, ein nahegelegenes Bierhaus zu erreichen.

      3.

       Inhaltsverzeichnis

      Indem er um die Ecke des königlichen Palastes bog, fühlte er sich von einer maskierten Person berührt, die soeben vor diesem Palaste aus einem Wagen stieg. Philipp blieb stehen und fragte nach Maskenart, nämlich mit gedämpfter, leiser Stimme: »Was steht zu Befehl?«

      »Gnädiger Herr, Sie sind in Gedanken hier vor der Tür vorübergegangen!« erwiderte die Maske. »Wollen Ihre königliche Hoheit nicht –« »Was? Königliche Hoheit?« sagte Philipp lachend. »Ich bin keine Hoheit. Wie kommen Sie zu dem Einfall?«

      Die Maske verbeugte sich ehrfurchtsvoll und schielte nach der strahlenden Diamantschleife auf Philipps Federhut: »Ich bitte um Gnade, wenn ich Maskenrecht verletze. Aber in welches Gewand Sie sich hüllen mögen, Ihre edle Gestalt wird Sie immer verraten. Belieben Sie gefälligst vorzutreten. Werden Sie tanzen, wenn ich, fragen darf?«

      »Ich? Tanzen? – Nein. Sie sehen ja, ich habe Stiefel an!« antwortete Philipp.

      »Also spielen?« fragte die Maske weiter.

      »Noch weniger, ich habe kein Geld bei mir!« erwiderte der Nachtwächter-Adjunkt.

      »Mein Gott, disponieren Sie doch über meine Börse, über alles, was ich bin und habe!« rief die Maske und bot dem bestürzten Philipp einen vollen Geldbeutel an.

      »Aber wissen Sie denn, wer ich bin?« fragte dieser und schob die Hand mit dem Geldbeutel zurück.

      Die Maske flüsterte mit einer graziösen Verbeugung: »Königliche Hoheit, Prinz Julian.«

      In diesem Augenblicke hörte Philipp seinen Stellvertreter in einer benachbarten Gasse vernehmlich und laut die Stunde rufen. Jetzt erst merkte er die Verwandlungen, Prinz Julian, in der Residenz als ein junger, wilder, liebenswürdiger und geistvoller Mann bekannt, hatte den Einfall gehabt, die Rollen mit ihm zu vertauschen. »Nun,« dachte Philipp, »spielt er den Nachtwächter gut, so will ich ihm auch in meiner Prinzenmaske keine Schande machen und zeigen, daß ich wohl eine halbe Stunde lang Prinz sein kann. Es ist seine Schuld, wenn ich allenfalls einen Bock schieße.« – Er wickelte sich fester in den feuerroten Talar, nahm die Geldbörse an, steckte sie ein und sagte: »Maske, wer sind Sie? Ich gebe Ihnen morgen Ihr Geld zurück.«

      »Ich bin der Kammerherr Pilzow.«

      »Gut. Gehen Sie voran! ich folge Ihnen.«

      Der Kammerherr gehorchte, flog die breiten Marmorstufen hinan; ihm behend nach Philipp. Sie traten in einen unermeßlichen Saal, von tausend Kerzen erleuchtet, deren Strahlen sich an den Wänden in einer Menge Spiegel, an der Decke in den schwebenden Kristalleuchtern brachen. Ein buntes Gewühl von Masken wogte durcheinander, Sultane, Tirolermädchen, Papagenos, geharnischte Ritter, Nonnen, Galanteriekrämer, Liebesgötter, Mönche, Faunen, Juden, Perser und Meder. Philipp war eine Weile ganz verblüfft und verblendet. Solch ein Schauspiel hatte er sein Lebtag nicht gehabt. In der Mitte des Saales schwammen hundert Tänzer und Tänzerinnen in den harmonischen Wellen der Musik.

      Philipp, dem die milde Wärme wohltat, die ihn hier anhauchte, war von Verwunderung so gelähmt, daß er kaum mit einem Kopfnicken dankte, wenn unter den Vorbeischwärmenden ihn einige Masken bald neckend, bald ehrerbietig, bald zutraulich grüßten.

      »Befehlen Sie zum Spieltisch?« flüsterte ihm der Kammerherr zu, der nun, beim Lichte besehen, als Brahmine dastand.

      »Lassen Sie mich nur erst auftauen!« entgegnete Philipp: »Mich friert verzweifelt.«

      »Aber ein Glas warmen Punsch?« sagte der Brahmine und führte ihn in ein Seitenkabinett. Der Pseudo-Prinz ließ sich nicht bitten. Ein Glas um das andere ward geleert. Der Punsch war gut, und bald ergoß sich sein Feuer durch alle Adern Philipps.

      »Wie steht's, Brahmine, Sie tanzen heute nicht?« fragte er den Kammerherrn, als sie in den Saal zurücktraten.

      Der Brahmine seufzte und zuckte die Achseln: »Für mich ist Spiel und Tanz vorbei, das Lachen ist vorüber. Die einzige, die ich zum Tanz fordern möchte ... die Gräfin Bonau ... ich glaubte, sie liebe mich ... denken Sie sich meine Verzweiflung ... unsere Häuser waren einig ... plötzlich bricht sie gänzlich mit mir ab.«

      »Ei, daß ist das erste, was ich höre!« rief Philipp.

      »Mein Gott, Sie wissen nicht? Die ganze Residenz spricht davon!« seufzte der Kammerherr: »Schon seit vierzehn Tagen haben wir gebrochen, Sie erlaubt mir nicht einmal, mich zu rechtfertigen. Drei Briefe schickte sie mir unerbrochen zurück. Sie ist eine geschworene Feindin der Baronesse Reizenthal. Ich hatte ihr gelobt, jeden Umgang mit dieser zu meiden. Denken Sie sich mein Unglück; als die Königin Mutter nach Freudenwald zur Jagdpartie fährt, macht sie mich zum Kavalier der Baronesse – was sollte ich tun? Konnte ich widersprechen? Gerade am Namenstage der göttlichen Bonau mußte ich unerwartet fort ... sie erfuhr alles ... sie verkannte mein Herz.«

      »Wohlan, Brahmine, benutzen Sie den Augenblick. Die allgemeine Freude versöhnt alles. Ist die Gräfin nicht hier?«

      »Sehen Sie sie nicht dort drüben, links, die Karmeliterin neben den drei schwarzen Masken? Sie hat die Larve abgelegt. O mein Prinz, Ihr gnädiges Fürwort bei ihr ...«

      Philipp, den der Punsch begeistert hatte, dachte: Da ist ein gutes Werk zu tun! und machte sich ohne Umstände zur Karmeliterin. Die Gräfin Bonau betrachtete ihn eine Weile ernst und errötend, als er sich zu ihrer Seite niedersetzte. Sie war ein schönes Mädchen! doch bemerkte Philipp bald, sein Röschen sei noch zehntausend mal schöner.

      »Meine Gräfin ...« stammelte er und geriet in Verlegenheit, als sie ihren hellen, schwärmerischen Blick auf ihn lenkte.

      »Prinz,«, sagte die Gräfin, »Sie waren vor einer Stunde beinahe zu mutwillig.«

      »Schöne Gräfin, ich bin dafür jetzt desto ernsthafter.« »Desto besser; so darf ich Sie nicht fliehen, Prinz.«

      »Schöne Gräfin, eine Frage nur erlauben Sie mir: tun Sie auch in diesem Nonnenkleide aufrichtige Buße für Ihre Sünden?«

      »Ich habe nichts zu büßen.«

      »Aber doch, Gräfin, Ihre Grausamkeiten ... Ihr Unrecht gegen den lieben Brahminen, der dort drüben von Gott und aller Welt verlassen steht.«

      Die schöne Karmeliterin schlug die Augen nieder und ward ein wenig unruhig.

      »Wissen Sie auch, schöne Gräfin, daß der Kammerherr an der Freudenwalder Geschichte so unschuldig ist, wie ich?

      »Wie Sie, Prinz?« sagte die Gräfin, und runzelte die Stirn: »Was sagten Sie mir erst vor einer Stunde?«

      »Sie haben recht, liebe Gräfin, ich war zu mutwillig. Sie selbst sagen es ja. Nun schwör' ich, der Kammerherr mußte auf Befehl der Königin Mutter nach Freudenwald, mußte gegen seinen Willen dahin, mußte beständig der Kavalier der ihm verhaßten Reizenthal sein ...«

      »Der ihm verhaßten!« lächelte spöttisch und bitter die Gräfin.

      »Ja, er haßt, er verachtet die Baronin. Glauben Sie mir, er hat gegen die Baronesse fast alle Grenzen des Anstandes verletzt,