Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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dort ist die Mutter!«

      Lady Sandom ging zu Jenny und betrachtete sie lange stumm und angenehm überrascht, sah dann auf ihren Bruder zurück mit einem lächelnden Blicke und schloß Jenny in ihre Arme. Die gute Jenny in ihrer Demut wagte kaum aufzusehen. »Ich bin Ihre Schuldnerin!« sagte Mylady. »Was Sie meinem Mutterherzen wohlgethan, kann ich unmöglich vergelten. Machen Sie mich zu Ihrer Schwester, liebenswürdige Jenny, denn Schwestern sollen und dürfen nicht gegen einander rechnen!« Wie sich beide umarmten, trat der Baronet hinzu. »Da steht mein armer Bruder,« sagte Mylady. »Sind Sie nun meine Schwester, so darf auch er Ihrem Herzen näher stehen, liebe Jenny! . . . Darf er?«

      Jenny errötete und sagte: »Er ist meines Vaters Wohlthäter.« Die Lady erwiderte: »Wollen Sie nicht die Wohlthäterin meines armen Bruders sein? Blicken Sie ihn freundlich an! Wenn Sie wüßten, wie er Sie liebt!«

      Der Baronet nahm Jennys Hand, küßte sie und sagte, als Jenny sie sträubend zurückziehen wollte: »Miß, wollen Sie mich unglücklich sehen? Ich bin es ohne diese Hand!« Jenny, in Verwirrung, ließ ihm die Hand. Da führte der Baronet meine Tochter zu mir und bat, ich solle ihn als meinen Sohn segnen.

      »Jenny,« sagte ich, »es geht Dir wie mir! Träumen wir? . . . Wirst Du ihn lieben können? Entscheide Du!«

      Sie schlug die Augen zum Baronet auf, der in banger Unruhe vor ihr stand, und warf einen großen, durchdringenden Blick auf ihn; dann nahm sie seine Hand in ihre beiden Hände, drückte dieselbe an ihre Brust, blickte gen Himmel und sagte leise: »Gott hat entschieden!«

      Ich segnete meinen Sohn und meine Tochter. Beide umarmten sich. Es war eine feierliche Stille. Aller Augen waren naß. Plötzlich sprang Polly, mit thränenvollen Augen, lachend vor und hing sich an meinen Hals, indem sie rief: »Da haben wirs! Alles Neujahrsgeschenk! Siehst Du, Bischofsmützen über Bischofsmützen!«

      Es ist umsonst . . . ich beschreibe diesen Tag nicht. Mein glückliches Herz ist zu voll. Und immer werde ich gestört!

      Das Abenteuer der Neujahrsnacht

       Inhaltsverzeichnis

       1.

       2.

       3.

       4.

       5.

       6.

       7.

       8.

       9.

       10.

       11.

       12.

       13.

       14.

       15.

      1.

       Inhaltsverzeichnis

      Mutter Käthe, des alten Nachtwächters Frau, schob am Silvesterabend um neun Uhr das Zugfensterlein zurück und steckte den Kopf in die Nacht hinaus. Der Schnee flog in stillen, großen Flocken, vom Fensterlicht gerötet, auf die Straßen der Residenz nieder. Sie sah lange dem Laufen und Rennen der frohen Menschen zu, die noch in den hell erleuchteten Laden und Gewölben der Kaufleute Neujahrsgeschenke einkauften oder von und zu Kaffeehäusern und Weinkellern, Kränzchen und Tanzsälen strömten, um das alte Jahr mit dem neuen in Lust und Freuden zu vermählen. Als ihr aber ein paar große, kalte Flocken die Nase belegten, zog sie den Kopf zurück, schob das Fensterlein zu und sagte zu ihrem Manne: »Gottliebchen, bleib zu Hause und laß die Nacht den Philipp für dich gehen. Denn es schneit vom Himmel, wie es mag, und der Schnee tut, wie du weißt, deinen alten Beinen kein Gutes, auf den Gassen wird es die ganze Nacht lebhaft sein. Es ist, als wäre in allen Häusern Tanz und Fest. Man sieht viel Masken. Da hat unser Philipp gewiß keine Langeweile.«

      Der alte Gottlieb nickte mit dem Kopfe und sprach: »Käthchen, ich laß es mir wohl gefallen. Mein Barometer, die Schußwunde über dem Knie, hat mir's schon zwei Tage vorausgesagt, das Wetter werde sich ändern. Billig, daß der Sohn dem Vater den Dienst erleichtert, den er einmal von mir erbt.«

      Nebenbei verdient hier gesagt zu werden, daß der alte Gottlieb vor Zeiten Wachtmeister in einem Regiment seines Königs gewesen, bis er bei Erstürmung einer feindlichen Schanze, die er als Erster im Kampfe für das Vaterland erstieg, zum Krüppel geschossen ward. Sein Hauptmann, der die Schanze bestieg, nachdem sie erobert war, empfing für solche Heldentat auf dem Schlachtfelde das Verdienstkreuz und Beförderung im Rang. Der arme Wachtmeister mußte froh sein, mit dem zerschossenen Bein lebendig davonzukommen. Aus Mitleid gab man ihm eine Schulmeisterstelle, denn er war ein verständiger Mann, der eine gute Handschrift hatte und gern Bücher las. Bei Verbesserung des Schulwesens ward ihm aber auch die Lehrerstelle entzogen, weil man einen jungen Menschen, der nicht so gut wie er lesen, schreiben und rechnen konnte, versorgen wollte, indem einer von den Schulräten dessen Pate war. Den abgesetzten Gottlieb aber beförderte man zum Nachtwächter und adjungierte ihm seinen Sohn Philipp, der eigentlich das Gärtnerhandwerk erlernt hatte.

      Die kleine Haushaltung hatte dabei ihr kümmerliches Auskommen. Doch war Frau Käthe eine gute Wirtschafterin und gar häuslich, und der alte Gottlieb ein wahrer Weltweiser, der mit Wenigem recht glücklich sein konnte. Philipp verdiente sich bei dem Gärtner, in dessen Lohn er stand, sein tägliches Brot zur Genüge, und wenn er bestellte Blumen in die Häuser der Reichen trug, gab es artige Trinkgelder. Er war ein hübscher Bursche von sechsundzwanzig Jahren. Vornehme Frauen gaben ihm bloß seines Gesichts wegen ein Stück Geld mehr als jedem andern, der eben solch ein Gesicht nicht aufweisen konnte.

      Frau Käthe hatte schon das Mäntelein umgeworfen, um aus des Gärtners Hause den Sohn zu rufen, als dieser in die Stube trat.

      »Vater,« sagte Philipp und gab dem Vater und der Mutter die Hand, »es schneit, und das Schneewetter tut dir nicht wohl. Ich will dich die Nacht ablösen, wenn du willst. Lege du dich schlafen.« »Du bist brav!« sagte der alte Gottlieb.

      »Und dann habe ich gedacht, morgen sei es doch Neujahr,« fuhr Philipp fort, »und ich möchte morgen bei euch essen und mir gütlich tun. Mütterchen, hast vielleicht feinen Braten in der Küche...«

      »Das eben nicht,« sagte Frau Käthe, »aber doch anderthalb Pfund Rindfleisch, Erdäpfel zum Gemüs und Reis mit Lorbeerblättern zur Suppe. Auch zum Trunk noch ein paar Flaschen Bier. Komm du nur, Philipp; wir können morgen hoch leben! Künftige Woche gibt es auch wieder Neujahrsgeld für die Nachtwächter, wenn sie teilen. Da können wir schon wohl leben.«

      »Nun, desto besser für euch. Und habt ihr schon die Hausmiete bezahlt?« fragte Philipp.

      Der