Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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bald zurückschicke; sonst weiß ich nicht, wie mir helfen!

       Am 24. Dezember.

      Man kann doch auch beim wenigsten recht froh sein. Wir haben tausend Freuden an Jennys neuem Rock. Sie steht darin, schön wie eine Braut. Aber sie will ihn erst zum Neujahrstage das erstemal öffentlich in der Kirche tragen.

      Sie rechnet mir jeden Abend vor, mit wie geringen Unkosten sie den Tag die Haushaltung bestritten hat. Freilich müssen wir schon abends sieben Uhr ins Bett, um Lampenöl und Kohlen zu sparen. Daran liegt auch nicht viel. Die Mädchen sind am Tage desto fleißiger und plaudern im Bette bis Mitternacht. Wir haben von Rüben und Gemüse schönen Vorrat. Jenny meint, sechs bis acht Wochen wolle sie uns durchhelfen, ohne Schulden zu machen. Das wäre nun wohl ein Kunststück ohne gleichen, und bis dahin hoffen wir alle, werde Herr Fleetmann als ehrlicher Mann Wort halten und mein Darlehn zurückzahlen. Wenn ich zu der Hoffnung eine bedenkliche Miene mache, kann Jenny wahrhaftig in Eifer geraten. Sie läßt auf den Komödianten nichts kommen.

      Er ist unser Gespräch; besonders machen sich die beiden Mädchen mit ihm zu schaffen. Seine Erscheinung brachte in die Einförmigkeit unseres Lebens etwas neues, ein halbes Jahr lang giebt er uns wohl zur Unterhaltung Stoff. Lustig ist besonders Jennys Zorn, wenn die mutwillige Polly sagt: »Aber er ist ein Komödiant!« Dann erzählt Jenny von den berühmten Schauspielern in London, die sogar bei den Prinzen des königlichen Hauses essen dürfen, und will sogar beweisen, Fleetmann werde einer der besten Schauspieler von der Welt werden. Er habe große Anlagen, vielen Anstand und wohlgewählte Redensarten. »Ja freilich,« sagte die schelmische Polly heute sehr witzig, »schöne Redensarten! Er hat Dich ja einen Engel Gottes genannt.«

      »Und Dich auch!« rief Jenny ärgerlich.

      »Ganz gut: ich ging mit in den Kauf,« erwiderte ihr Polly, »aber Dich sah er dazu an.«

      Die Plaudereien und kindischen Neckereien meiner Kinder erwecken mir doch Besorgnis. Polly wächst heran, Jenny ist achtzehnjährig. Welche Aussichten habe ich, die armen Kinder versorgt zu sehen? Jenny ist ein wohlerzogenes, hübsches Mädchen, aber ganz Crekelade kennt unsere Armut; daher sind wir wenig geachtet und es wird sich schwerlich ein Mann für Jenny finden. Ein Engel ohne Geld ist heutiges Tages nicht halb so viel wert, als ein Teufel mit einem Sack von Guineen. Das einzige hat Jenny von ihrem zarten Gesicht, es sieht sie jedermann freundlicher an. Hat ihr doch sogar der Krämer Loster, als sie ihm das Geld brachte, ein Pfund Rosinen und Mandeln zum Geschenk gegeben und die Versicherung, er bedaure sehr, von mir das Geld nehmen zu müssen; aber er wolle mir wieder, wenn ich bei ihm Ware nehme, bis Ostern kreditieren. So viel versprach er mir selbst nicht einmal.

      Wenn ich mit Tode abginge, wer würde sich meiner verlassenen Kinder annehmen? Wer? . . . Nun doch ihr Vater im Himmel! Sie sind zum Glück soweit, daß sie irgendwo in Dienst treten können. Ich will mich nicht um das Künftige härmen.

       Am 26. Dezember.

      Das waren zwei saure Tage Das Weihnachtsfest ist mir noch nie so schwer geworden. Ich hielt meine zwei Predigten in zwei Tagen fünfmal, in vier verschiedenen Kirchen. Der Weg in die Dörfer war abscheulich, Wind und Wetter fürchterlich. Das Alter läßt sich allmälich in mir verspüren. Es geht nicht mehr so frisch und kräftig wie ehemals. Freilich, Kohl und Rüben täglich, mager geschmalzt . . . das Glas frischen Wassers dazu . . . geben nicht viel Nahrung.

      Ich habe aber beide Tage beim Pächter Hurst zu Mittag gespeist. Die Leute sind doch auf dem Lande bei weitem gastfreundlicher, als hier im Städtchen, wo seit einem halben Jahre niemand daran gedacht hat, mich zu sich einzuladen.

      Ach, hätte ich meine Töchter bei mir am Tische haben dürfen! Welch ein Überfluß! Hätten sie am Weihnachtsfeste nur haben können, was von dem Überreste der Mahlzeit des Pächters Hunde bekamen! Nun, sie haben ja doch am Ende noch Kuchen bekommen und ergötzen sich jetzt, während ich schreibe, recht herrlich daran. Es war gut, daß ich den Mut hatte, als mir der Pächter und seine Frau noch mehr zu essen aufdrangen, ihnen zu sagen: wenn sie es erlauben wollten, möchte ich meinen Töchtern das Schnittchen Kuchen mitbringen. Die herzensguten Leute packten mir ein Säckchen voll und ließen mich, weil es erbärmlich regnete, in ihrem Wagen nach Crekelade fahren.

      Am Essen und Trinken ist zwar im grunde wenig gelegen, wenn man nur hat, den Hunger und Durst notdürftig zu stillen, doch läßt sich nicht läugnen, daß auch die behagliche Pflege des Leibes eine angenehme Sache ist. Man denkt klarer, man fühlt wärmer.

      Ich bin sehr müde. Meine Gespräche mit dem Pächter Hurst waren merkwürdig, ich will sie morgen anschreiben.

       Am 27. Dezember.

      Da haben wir nun die volle Freude erlebt . . . aber man muß sich auch in der Freude mäßigen. Die Mädchen müssen das auch lernen und sich darin üben. Darum lege ich das angekommene Geldpäckchen unentsiegelt hin, das mir der Herr Fleetmann schickt. Ich mache es nicht auf, bis nach dem Mittagessen.

      Meine Töchter sind Evenstöchter; sie sterben bald vor Neugier, zu wissen, was Herr Fleetmann schreibt. Nun lesen sie die Aufschrift und das Päckchen läuft in einer Minute dreimal von der Hand der einen in die der andern.

      In der That, ich bin mehr bestürzt, als erfreut. Ich habe Herrn Fleetmann nicht mehr als zwölf Schilling geliehen und er schickt mir fünf Pfund Sterling zurück. Gott sei Dank! Er muß eine gute Anstellung haben.

      Wie doch Freud' und Leid wechseln! . . . Ich war diesen Morgen zum Alderman, Herrn Fieldson, gegangen, weil man mir gestern als Gewißheit erzählt hatte, der Fuhrmann Brook zu Wotton-Basset habe sich Schulden halber um's Leben gebracht. Ich hatte ihm vor elf oder zwölf Jahren wegen weitläufiger Verwandtschaft mit meiner seligen Frau um hundert Pfund Sterling bei einem Kauf, den er gemacht, Bürgschaft leisten müssen. Nun habe ich die Bürgschaft noch nicht zurück. Der Mann hat in den letzten Jahren viel Unglück gehabt und sich dem Trunk ergeben.

      Der Herr Aldermann beruhigte mich aber sehr. Er sagte, daß er zwar auch von dem bösen Gerüchte vernommen, doch sei es sehr unwahrscheinlich, daß sich Brook entleibt habe, auch wäre noch keine Nachricht eingelaufen. So ging ich getrost nach Hause und betete unterwegs, Gott solle mir ferner gnädig sein.

      Da sprang mir Polly schon von weitem auf der Straße entgegen und sagte ganz atemlos: »Ein Brief von Herrn Fleetmann, Vater, mit fünf Pfund Sterling! Das Päckchen hat aber auch sieben Pence gekostet.«

      Jenny überreichte mir mit feuerrotem Angesicht das Geldpäckchen, ehe ich noch Stock und Hut ablegen konnte, die Kinder waren vor lauter Seligkeit halb närrisch. Da schob ich ihre Messer und Scheren zurück und sagte:

      »Nun sehet Ihr wohl, Kinder, daß es weit schwerer ist, eine große Freude mit Gleichmut und Gelassenheit zu ertragen, als ein großes Übel. Ich habe Euern Frohsinn oft bewundert, wenn wir in der tiefsten Not lebten und nicht wußten, wovon wir uns den andern Tag ernähren sollten. Nun seid Ihr beim ersten Lächeln des Glückes ganz außer Fassung. Zur Strafe öffne ich das Päckchen und den Brief erst nach dem Mittagessen.«

      Jenny wollte mir zwar behaupten, sie freue sich nicht sowohl über das viele Geld, ob es uns gleich not thue, als über Herrn Fleetmanns außerordentliche Dankbarkeit, über seine Rechtschaffenheit; sie wünsche nur zu wissen, was er schreibe, wie es ihm ergangen sei. Ich blieb bei meinem Ausspruche: die kleine Neugier soll sich in Geduld üben lernen.

       An demselben Tage abends.

      Die Lust hat sich in Traurigkeit verwandelt; der Brief mit dem Gelde kam nicht von Herrn Fleetmann, sondern vom Herrn Doktor Snart. Er kündigte mir laut unseres bestehenden Vertrages, als Antwort auf meinen Brief, meine Stelle bis Ostern auf, womit unsere Rechnung für immer abgethan sei. Er meldete, ich könne mich bis dahin nach einer anderen Versorgung umsehen und er habe deswegen mir nicht nur das Gehalt zu etwaigen Reisen vorausbezahlt, sondern auch dem neuen Vikar, als meinem Nachfolger befohlen, falls ich nichts dawider hätte, meine kirchlichen Verrichtungen zu besorgen.

      Also war das Geschwätz der Leute hier im Flecken doch nicht ungegründet, und so mag auch wahr sein, daß man sagt, der neue Vikar habe seine Anstellung darum so geschwind erhalten, weil er eine nahe Verwandte