Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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seiner Klementine schien dem liebenswürdigen Dulder die schönste Ausgleichung aller seiner überstandenen Leiden zu werden. Er hoffte mit Sehnsucht ihrer Ankunft entgegen. Er, dem bei so vieler Tugend so wenig Freude zuteil geworden war, sollte aber auch diese Seligkeit nicht genießen.

      Er starb. Ich ward eines Morgens in der Frühe zu ihm gerufen. Als ich zu ihm trat, war er schon verblichen. Auf seinem blassen Antlitze ruhte ein sanftes Lächeln. Er schien mit dem Gedanken an Klementinen entschlummert und in ein besseres Leben übergegangen zu sein. Ich warf mich weinend zu den Füßen seines Bettes auf die Kniee nieder und war trostlos, wie um einen verstorbenen Vater.

      Einen Tag später, nachdem er begraben war, kam Klementine. Sie war sehr krank, und in ihrem Wagen vom Arzte begleitet. Sie mußte sogleich wieder das Bett hüten. Ich ward zu ihr gerufen. Sie war schwach und abgezehrt, trug aber unverkennbar noch die Spuren ehemaliger Schönheit.

      Als sie den Tod des geliebten Sklaven erfahren hatte, hob sie ihre matten Augen stumm, mit einem sehnsuchtsvollen Blick gen Himmel. Ich zeigte ihr Alamontades Bild. Sie küßte es und ließ es für sich abzeichnen. Auch mußte ich ihr aus Alamontades Nachlaß sein Messer und den blechernen Löffel geben, aus welchem sie von nun an allein die Arznei und die wenige Speise nahm, die sie genoß.

      Sie sprach selten, doch schien sie heiter zu sein. Ich mußte ihr von ihm erzählen. Ihre Augen hingen unverwandt an Alamontades Bild, bis sie im Tode brachen. Auf ihren ausdrücklichen Befehl ward die Dulderin an der Seite ihres Freundes begraben, dem sie treu bis zum Tode war, und welchen sie, durch falsche Nachrichten getäuscht, schon längst tot geglaubt hatte.

      Jetzt sind schon über fünfzig Jahre verflossen, seitdem dies alles geschah, aber Alamontades Andenken blieb mir gleich heilig und frisch.

      Lasset uns, Ihr Lieben, leben, wie er! Lasset uns die Selbstständigkeit unseres Geistes, seine Befreiung von der Gewalt des Vergänglichen, als seine Bestimmung erkennen und in der Stunde der Versuchung die wankende Hoheit desselben durch den Blick auf die Ewigkeit und den Gedanken retten. Sei rein, wie Gott!

      Blätter aus dem Tagebuche des armen Pfarr-Vikars von Wiltshire

       Inhaltsverzeichnis

       Am 15. Dezember 1764.

      Ich erhielt von Herrn Doktor Snart, meinem Patron, zehn Pfund Sterling als den Betrag des halbjährigen Gehalts.

      Ich mußte den sauer verdienten Lohn noch unter manchen Unannehmlichkeiten in Empfang nehmen. Nachdem ich anderthalb Stunden im kühlen Vorzimmer des Herrn Rektors hatte warten müssen, erlaubte man mir endlich, in sein Gemach zu treten. Er saß gemächlich im großen Lehnstuhle am Schreibtische; das Geld war schon gezählt. Er erwiderte meine Verbeugungen mit einem majestätischen Kopfnicken seitwärts, indem er seine schöne schwarzseidene Hausmütze ein wenig aus dem Nacken empor und wieder zurückschob. Wirklich hat er viel Würde. Ich kann mich ihm nie ohne Ehrfurcht nahen. Ich glaube, ich würde zu dem Könige selbst nicht mit größerer Ehrerbietung hintreten. Er nötigte mich nicht zum Sitzen, obwohl er wissen konnte, daß ich den Morgen schon elf (englische) Meilen bei schlechtem Wetter gemacht und vom anderthalbstündigen Stehen im Vorzimmer auch nicht viel Trost für die müden Beine gehabt hatte. Er wies mit der Hand auf das Geld.

      Mir schlug das Herz gewaltig, als ich nun mit der lange überlegten und wohleingelernten Bitte um einige Gehaltsvermehrung hervortreten wollte. Daß ich doch meine Schüchternheit auch in den allerunschuldigsten, ja ich darf sagen, in den gerechtesten Sachen nicht ablegen kann! Mit einer Angst, als wollt' ich ein Verbrechen begehen, hob ich zweimal vergebens an. Gedächtnis, Worte und Stimme verließen mich. Der Schweiß stand mir plötzlich in großen Tropfen auf der Stirn.

      »Was wollen Sie eigentlich?« fragte er leutselig.

      »Ich bin . . . alles ist teuer . . . kaum im stande, mit dem geringen Gehalt in diesen Zeiten auszukommen.«

      »Geringes Gehalt, Herr Vikar? Wo denken Sie hin? Ich kann jeden Tag einen andern Vikar um fünfzehn Pfund Sterling Jahrgehalt haben!«

      »Um fünfzehn Pfund! Nun ja, wenn er ohne Familie ist, mag er's mit dem Gelde machen.«

      »Ihre Familie, Herr Vikar, hat sich doch nicht vermehrt, hoffe ich? Sie haben ja nur zwei Töchter.«

      »Ja, Eure Hochwürden! Aber diese wachsen heran. Meine Jenny, die älteste, ist nun achtzehn Jahre, und Polly, die jüngere, bald zwölf Jahre alt.«

      »Desto besser! Können die Mädchen nicht arbeiten?«

      Ich wollte antworten, er ließ mich aber nicht zum Worte kommen, sondern stand auf und sagte, indem er gegen das Fenster ging und mit den Fingern an den Scheiben trommelte: »Ich habe heute unmöglich Zeit, mich weiter einzulassen, Überlegen Sie's, ob Sie mit fünfzehn Pfund des Jahres die Stelle behalten wollen, und melden Sie mir's dann. Können Sie nicht, so wünsche ich Ihnen eine bessere Vikarstelle zum Neujahrsgeschenk.«

      Er verbeugte sich höflich gegen mich und schob wieder an der Mütze. Ich strich hastig das Geld ein und empfahl mich seiner Huld. Ich war wie angedonnert. So kalt hatte er mich noch nie empfangen und abgefertigt. Nicht einmal bot er mir, nach bisheriger Gewohnheit, ein Mittagessen an Ich hatte darauf gehofft, denn ich war nüchtern von Crekelade in aller Frühe fortgegangen. Nun kaufte ich mir in der Vorstadt bei einem Bäcker, an dem ich vorüberging, ein Brot und machte mich damit auf den Rückweg.

      Wie niedergeschlagen war ich auf dem Wege! Ich weinte wie ein Knabe. Die Thränen fielen auf das Brot, indem ich es hungrig verschlang.

      Pfui, Thomas! Schäme Dich Deines Kleinmutes! Lebt der alte Gott nicht mehr? Und wenn Du nun die ganze Stelle verloren hättest? Jetzt sind es ja nur fünf Pfund weniger. Freilich der vierte Teil des ganz kleinen Jahrlohns! freilich auf den Tag im Durchschnitt kaum zehn Pence, wovon drei Personen sich nähren und kleiden müssen . . . Was ist's denn weiter mehr? . . . Man muß vom alten Wohlleben etwas abbrechen.

       Am 16. Dezember.

      Ja, ich glaube, Jenny ist ein Engel. Ihre Seele ist noch schöner, als ihr Leib; beinahe muß ich mich schämen, ihr Vater zu sein: sie ist viel besser und frömmer, als ich.

      Gestern hatte ich nicht den Mut, den beiden Mädchen unser bevorstehendes Unglück zu verkünden. Als ich es heute that, ward Jenny ernst, dann plötzlich wieder freundlich, und sagte:

      »Bist Du unruhig, Vater?«

      »Sollte ich nicht?«

      »Nein, Du solltest nicht!«

      »Liebes Kind, wir kommen nie aus Schulden und Sorgen! Ich weiß nicht, wie wir bestehen werden. Es fehlt uns so vieles! Wer giebt es nun bei fünfzehn Pfund, die kaum für Lebensmittel ausreichen?«

      Statt der Antwort legte Jenny schmeichelnd ihren Arm um meinen Nacken und wies mit der andern Hand zum Himmel.

      »Der dort!« sagte sie.

      Polly setzte sich auf meinen Schoß, streichelte mir das Gesicht und sagte:

      »Ich will Dir was erzählen. Mir träumte diese Nacht, es sei Neujahr und der König sei nach Crekelade gekommen. Das war eine Pracht! Der König stieg vor unserer Hausthür vom Pferde und kehrte bei uns ein. Da hatten wir unsere Not mit Kochen und Braten. Der König aber ließ von seinen eignen Speisen bringen in goldenem und silbernem Geschirr. Draußen schollen Pauken und Trompeten. Und denke Dir, bei Pauken- und Trompetenklang brachte man Dir auf einem Atlaskissen zum Neujahrsgeschenk eine goldene Bischofsmütze. Sie sah etwas närrisch aus, ungefähr wie die spitzen Hauben der Bischöfe im alten Bilderbuch. Du nahmst Dich aber darin recht gut aus, doch mußte ich mich fast außer Atem lachen. Da weckte mich Jenny. Ich war recht böse darüber. Der Traum von dem Neujahrsgeschenk hat gewiß etwas zu bedeuten; bis Neujahr sind ja nur noch vierzehn Tage.«

      Ich sagte der Polly: »Träume sind Schäume.« Sie aber sagte: »Träume kommen von Gott.«

      Zwar glaube ich an so etwas nicht, doch will