Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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des Rechtshandels, in welchem ich anfänglich über meinen Gegner, Herrn Menard, einen so glänzenden Sieg davon getragen hatte, und der meinen Ruf im ganzen Lande begründen sollte, hatte niemand erwartet. Während meiner Rede malten sich Erstaunen und Grausen in allen Gesichtern umher. Als ich aber schwieg, entstand ein Gemurmel, und das Gemurmel ward zum lauten Jauchzen. Das Volk rief meinen Namen mit schwärmerischer Freude, und die Augen der Umstehenden waren mit Thränen gefüllt.

      Es war an keine Ordnung im Saale mehr zu denken. Ohnmächtig war Madame Bertollon unter den Glückwünschen der sie Umringenden hingesunken. Der Unterstatthalter der Provinz, welchen Zufall oder Neugier heute in den Gerichtssaal geführt hatte, ein Verwandter des Marschalls Montreval, stieg von seinem erhobenen Sitz und umarmte mich öffentlich. Herr Menard folgte seinem Beispiel, unter dem Zujauchzen des entzückten Volkes.

      Ich ließ mich zu Madame Bertollon führen. Meine Kniee brachen. Ich sank entkräftet vor ihr nieder, und drückte meine nassen Augen auf ihre Hand.

      »Können Sie mir verzeihen?« stammelte ich.

      Mit einem Blick voll unaussprechlicher Liebe, mit einem himmlischen Lächeln sah sie auf mich nieder.

      »Alamontade!« seufzte sie leise und Thränen verhinderten sie, mehr zu sagen.

      Die Sitzung des Gerichts mußte aufgehoben werden. Die Richter umarmten mich. Vergebens wünschte ich zu Madame Bertollon zurück zu kommen. Das Getümmel war zu groß. Man führte mich durch die gedrängte Menschenmasse, welche mich mit Ehrenbezeugungen überhäufte, die Stufen des Gerichtsgebäudes hinab.

      Im Begriff, in die Sänfte zu steigen, ward ich von einem jungen, wohlgekleideten Manne angehalten.

      »Sie können, mein Herr,« sagte er, »unmöglich mit angenehmen Empfindungen in das Haus zurückkehren, das noch den Leichnam eines Selbstmörders beherbergt und Sie allenthalben an die schrecklichen Ereignisse erinnern muß. Gewähren Sie mir die Ehre, ich bitte Sie, mein Herr, Sie wenigstens einstweilen in meinem Hause bewirten zu dürfen!«

      Diese, mit so herzlicher Innigkeit gemachte Einladung kam mir unerwartet. Dem jungen Manne glänzten noch die Thränen in den Augen. Er bat so anhaltend, daß ichs nicht mehr ablehnen konnte. Er drückte mir mit freudiger Dankbarkeit die Hand, gab den Sänfteträgern einen Befehl und verschwand.

      Immer vom Volk mit Freudengeschrei durch die Straßen der Stadt begleitet, langte ich endlich, aber sehr langsam, vor dem Hause meines unbekannten Freundes an. Ich bemerkte nun, daß es in der Nachbarschaft von Bertollons Hause, und in der Straße war, worin Klementine wohnte, was mir, so verwirrt und betäubt ich auch war, keine unangenehme Entdeckung sein konnte.

      An der Treppe im Innern des Hauses ward die Sänfte geöffnet. Der freundliche Unbekannte erwartete mich schon. Ich sah mich in einem großen, prachtvollen Gebäude; zwei Bediente führten mich die Marmortreppe hinauf.

      Eine Flügeltür ward geöffnet. Einige Damen traten ein, mir entgegen. Die Älteste derselben redete mich an: »Ich bin meinem Neffen sehr verbunden, daß er mir die Ehre verschafft, den edelmütigen Retter der Unschuld in meiner Wohnung zu sehen.«

      Wer schildert meine Bestürzung! Es war Madame de Sonnes, und Klementine trat hinter ihrer Mutter hervor. Ich wollte auf die mir gesagten Artigkeiten eine Erwiderung stammeln, allein ich war allzu entkräftet. Der Blutverlust am Morgen nach einer traurig durchwachten Nacht, und der Wechsel der allerfremdartigsten und heftigsten Empfindungen, deren Beute ich bisher gewesen, hatten mich gänzlich erschöpft. Klementinens Erscheinung machte mich sprachlos. Ich sah nur sie, bis Gestalten und Farben vor meinem brechenden Auge in ein verworrenes Dunkel zusammenflossen.

      Mehrere Wochen lang mußte ich Bett und Zimmer hüten. Mit den Schmerzen meiner Wunde hatte sich ein Fieber verbunden. Der junge Herr de Sonnes verließ mich nie; er hatte meine wenige Habe aus dem Bertollonschen Hause herbeischaffen lassen . . . auch die Harfe. Aber der Kranz fehlte. Man wußte ja nicht, welchen Wert er für mich hatte!

      Unterdessen war Madame Bertollon freigesprochen worden. Herr de Sonnes erzählte mir, daß die schöne Unglückliche sogleich von Montpellier abgereist und in ein entferntes Kloster gegangen sei. Dabei überreichte er mir einen Brief, der durch Einschluß an Madame de Sonnes für mich angekommen war.

      »Wahrscheinlich wird Madame Bertollon ihrem Erretter danken!« sagte er.

      Ich nahm den Brief mit zitternder Hand. Sobald ich allein war, las ich ihn. Er hat mich seitdem durch all mein Wohl und Weh begleitet. Hier ist er:

      Abtei St. G** zu B*. Den 11. Mai 1702.

      Leben Sie wohl, Alamontade! Diese Zeilen, die ersten, die ich einem Manne schreibe, werden auch die letzten sein. Ich habe das stürmische Leben der Welt verlassen; die feierliche Stille geweihter Mauern umgiebt mich, ich habe mich ohne Mühe von allem, was mir einst lieb und unentbehrlich war, losmachen können; ich habe nichts aus der Welt genommen als die Wunden, die sie mir schlug.

      Ach, hätte ich auch diese Wunden und mein Gedächtnis dort draußen lassen können! Sie bleiben mir aber, um den letzten meiner Freunde, den Tod, desto reizender zu machen.

      In der Blüte meines Lebens umweht mich der schwarze Witwenschleier; ich zeige den Menschen damit eine Trauer, die ich nicht fühle, und verberge damit eine andere, die mich erdrückt. Ja, Alamontade, ich erröte nicht, es noch jetzt, aus dieser heiligen Stätte, zu bekennen, was ich Ihnen nicht verhehlen konnte, daß ich Sie liebte! Sie wußten es, Sie wissen es – ach, und Sie waren es, der den Dolch wider das Herz zücken konnte, das auf Erden nur für Sie allein schlug. O Mann, Sie haben mich belogen! Sie haben mich nie geliebt! Nicht daß mein unglücklicher Gemahl mich des schwärzesten Verbrechens zeihen wollte, hat mich betrübt – nein, daß Alamontade mich schuldig glauben, mein Ankläger werden konnte, er, für den ich freudig gestorben sein würde, das hat die Hoffnungen meines Lebens vernichtet!

      Doch nein! Kein Vorwurf! Edler, treuer und noch immer geliebter Mann, Du warst schuldlos! Geblendet vom Schein, brachtest Du der Freundschaft und der Gerechtigkeit Deine Neigung zum Opfer. Du wolltest lieber unglücklich als undankbar sein. Ich fühlte es wohl, die Gattin eines andern durfte Dich nicht lieben, und ich mit meiner sündigen Liebe war Deines reinen Herzens nie wert.

      Ich fühlte es immer, und immer begann ich mit allzu schwachen Kräften den Kampf gegen meine Leidenschaft. Elender war kein Wesen, als ich, und jeder Deiner Blicke, jeder Deiner Küsse erhöhten noch die Glut in mir, anstatt sie zu dämpfen. In einem Augenblick stiller Verzweiflung wollte ich der Gefahr, meine Tugend einzubüßen, den freiwilligen Tod vorziehen. Damals ward das Gift geholt. Ich hatte es mir bestimmt, weil ich Dich zu heftig liebte. Hier, Mann, hast Du das Geheimnis, welches die Scham mir verwehrte unter den Folter zu bekennen! Ach! Unglücklicher, mußtest Du es sein, der vor den Richtern mich darum befragte?

      Du hast mich nie geliebt! Meine Entfernung wird Dich nie betrüben. Ich hatte mich selbst getäuscht, und muß für die Hingebung meines arglosen Herzens leiden. Die Welt beklagt mich, aber ihre Klage läßt mich ohne Trost, und selbst Dein Mitleiden, o Freund, kann meinen Schmerz nur erhöhen, statt ihn zu lindern!

      Hier in diesen Klostermauern sehe ich das Ziel meiner kurzen Wallfahrt; die Linde vor dem Gitterfenster meiner Zelle verbreitet ihren Schatten auf das kleine Plätzchen, welches mein Grabhügel bedecken soll. Siehe da meinen Trost!

      Ach, wie traurig ist es, so einsam in der Welt dazustehen! Und einsam bin ich, denn mich liebt keiner. Meine Freundinnen haben mich schon in ihren fröhlichen Kreisen vergessen, meine Thränen stören ihre Lustbarkeiten nicht. Ich verblühe, wie die vereinzelte Blume im Gebirge, unbekannt und ungesehen: sie gab und empfing keine Freude, ihr Verschwinden läßt keine Spur zurück.

      Und Du, den ich einzig geliebt habe, empfange diese Zeilen, unsern Scheidebrief. Ein brechendes Wort hauchte die Worte; eine sterbende Hand schrieb sie – ich vollzog meine letzte Pflicht. Unterbrich meine Ruhe durch keine Antwort! Ich nehme keinen Brief an und will Dich selbst nicht sehen! Ich will zu Gott flehen für Dein Glück; ich will meinen letzten Seufzer Dir weihen, und mit dem Gedanken an Dich soll mich der Tod ins bessere Leben leiten!

      Amalie Bertollon.

      Und nie sah ich die