Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Prediger und noch andere von den eingeschlossenen Ketzern wollten sich durchs Fenster retten; da winkte der Marschall und die Dragoner gaben Feuer.«

      »Gaben Feuer?« schrie ich »Wurde einer getötet?«

      »Ihrer vier liegen tot auf dem Platze!« antwortete der Bediente.

      Ohne weiter zu fragen, ergriff ich Stock und Hut.

      Ich kam vor's Thor. Ungestüm drängte ich mich durch das in ungeheurer Zahl zusammenströmende Volk, welches mit brennender Neugier, und mit Schaudern, Freude und Erwartung, Kopf an Kopf, gaffend dastand.

      Kalt vor Entsetzen sah ich über die Menge die blitzenden Gewehre der Dragoner emporragen, welche in dreifachen Reihen die Mühle meines lieben Oheims umstellt hatten. Erhaben über alle, auf seinem Pferde, von einigen vornehmen Herren umringt, sah ich den Marschall von Montreval.

      Er wandte sich um, sah mich an, und indem er mit dem Krückstock auf die Mühle zeigte, sagte er, ohne eine Miene zu verändern: »Die Elenden! Nun sind sie ertappt!«

      »Was denken Sie zu thun, gnädigster Herr?« fragte ich.

      »Darüber sinne ich schon seit einer Viertelstunde nach.«

      »Seien Sie großmütig, gnädigster Herr, und die Irrenden werden reuig zu Ihren Füßen sinken und nie wieder . . .«

      »Was?« unterbrach mich der Marschall. »Die Menschen sind unbekehrbar! Rebellen sind sie, wütige, tollkühne Rebellen.«

      »Nein, gnädigster Herr,« sagte ich und ergriff flehend des Marschalls herabhängende Hand, »Sie sind allzu gerecht, als daß Sie diesen Unglücklichen dort eine Greueltat anrechnen könnten, die vor beinahe anderthalbhundert Jahren geschehen ist!«

      »Es ist Zeit, ein warnendes Beispiel aufzustellen« sagte der Marschall, welcher bisher unentschlossen gewesen. Er entzog mir seine Hand, ritt einige Schritte vor, ohne auf mich zu achten, und rief mit lauter Stimme: »Steckt die Mühle in Brand!«

      Halb erstarrt wankte ich ihm nach. Ich ergriff die Zügel seines Pferdes und schrie: »Um Gotteswillen, Barmherzigkeit!«

      Ich hörte das Rasseln und Knistern der Flamme, sah die dicken Rauchwolken sich über das Dach der Mühle wälzen, und hörte das dumpfe Zetergeschrei der Eingesperrten.

      Bald verklang meine Stimme unter dem wilden Getöse weit umher, unter dem kläglichen Geschrei der dem Tode Geweihten, und unter dem Donner der Flinten. Was den Flammen entrinnen wollte, wurde von den Dragonern niedergeschossen.

      Da raffte ich mich auf und stürzte zur Mühle hin. In demselben Augenblicke warf sich ein Mädchen aus dem Fenster. Ich fing es auf. Es war Antonie, meines Oheims jüngste Tochter.

      »Der Hund!« schrie der Marschall. »Ich sagt's doch immer, er sei einer von ihnen!«

      »Nieder mit ihr!« brüllte er wieder. Zwei Dragoner rissen mir die ohnmächtige Antonie aus den Armen, und indem sie am Boden lag, erschossen die Henkersknechte das unschuldige Geschöpf zu meinen Füßen.

      »O Du abscheuliches Ungeheuer! Wie willst Du diese That verantworten vor Deinem und unserm König, vor Deinem und unserm Gott?« schrie ich.

      Er sprengte gegen mich, gab mir einen Stockstreich über den Kopf und ritt mich nieder. Ich glaubte im Taumel, er habe Befehl gegeben, mich umzubringen. Ich raffte mich auf, riß einem Dragoner die Flinte vom Arm, um mein Leben zu schützen. Niemand wagte sich an mich, ungeachtet der Marschall mehrmals hintereinander schrie: »Packt ihn! Packt ihn!«

      Indem ich wild um mich her sah, erblickte ich – o entsetzliches Schauspiel! – über Antoniens Leiche meinen Oheim, Herrn Etienne, mit blutigem Haupte. Ich erkannte ihn nur noch an der Gestalt und an den Kleidern. Er stieß einen schrecklichen Schrei gen Himmel aus und sank unter Flintenschüssen über dem Leichnam seines geliebten Kindes zusammen.

      Ich wollte zum Marschall reden, aber meine Zunge war gelähmt! Ich hob nur die Augen und den Arm mit der Flinte gen Himmel. Da fühlte ich mich getroffen und sank in dumpfe Empfindungslosigkeit nieder.

      20.

       Inhaltsverzeichnis

      Als ich wieder zu helleren Vorstellungen genesen war und die Dinge um mich her deutlicher erkannte, sah ich mich unter fremden Händen und mein verwundeter Kopf war verbunden.

      »Wo bin ich denn?« fragte ich. Ich erinnerte mich nun erst des unglücklichen Ereignisses wieder, dem ich wahrscheinlich mein Hiersein zu danken hatte. »Bin ich denn ein Gefangener?«

      »Allerdings, und das von Rechtswegen!« antwortete mein Wärter.

      »Weiß Madame de Sonnes davon? Hat sie nicht hergesandt?«

      »Kennst Du die Leute hier? Wo wohnt sie?«

      »In der Martinsgasse, im Hause Albertas.«

      »Du Narr! In ganz Marseille ist keine Martinsgasse.«

      »In Marseille? Wie? Seit wann bin ich hier?«

      »Es mögen drei Wochen sein, Du armer Teufel. Ich glaube es wohl, daß Du nicht drum weißt. Hast bis gestern Nacht in hitzigen Fiebern gerast.«

      »Was soll ich hier in Marseille?«

      »Wenn Du gesund bist, ziehst Du da den Kittel an.«

      »Das ist ein Galeerenkittel. Wieso denn? Sagt mir doch, bin ich denn . . . ich will, ich kann nicht glauben . . . hat man mich verurteilt?«

      »Wahrscheinlich! Wie man sagt, nur für neunundzwanzig Jahre an die Ruderbank.«

      Der Kerl sprach leider nur zu wahr. Sobald ich genesen war, eröffnete man mir das schreckliche Urteil. Wegen ausgestoßener Drohungen und mörderischen Angriffs auf das Leben des Marschalls von Montreval, ungerechnet, daß ich erwiesenermaßen ein geheimer Protestant sei und zum besten der Ketzer in der Kanzlei und wo ich vermöge Amtes Einfluß gehabt manchen Unterschleif begangen hätte, war ich zu neunundzwanzigjähriger Galeerenstrafe verdammt worden.

      Ich seufzte, doch im stolzen Gefühl meiner Unschuld zog ich ohne Schmerz den Sklavenkittel an. Meine Thränen flossen nur dem Schicksale Klementinens. Ich bemühte mich, ihr einige Zeilen zukommen zu lassen. Mit einer geborgten Bleifeder schrieb ich ihr auf einem halb zerrissenen Blättchen meinen Abschied. Ach, ich war zu arm, meinen Wächter zu bestechen! Er nahm meinen Brief, las ihn, und riß ihn lachend durch, indem er sagte: »Hier ist keine Post zu Liebesbriefen!«

      Man legte mir die Ketten an, und führte mich, nebst andern Unglücksgefährten, zum Hafen und auf die mir bestimmte Galeere.

      So sind nun neunundzwanzig Jahre vergangen! Was sind sie?

      Der Tod, mein oft, mein heiß ersehnter Freund, kommt mich zu erlösen. Ach, mein Herr, und Sie haben die Barmherzigkeit für mich gehabt, die letzten meiner Stunden noch angenehm zu machen! Unsere Geister sind verwandt, und berühren sich vielleicht wieder.

      21.

       Inhaltsverzeichnis

      Hier legte der Abbé Dillon sein Heft nieder. »Dies waren Alamontades Schicksale!« sagte er.

      Wir schwiegen. Unsere Seelen waren allzu sehr mit dem Unglück des edeln Mannes beschäftigt.

      »Aber, lieber Abbé,« sagte ich, »noch eins müssen wir wissen! Kam Klementine de Sonnes nach Marseille? Wie glücklich muß unser Alamontade beim Anblick dieses geliebten Wesens nach so langer Trennung geworden sein!«

      »Als ich ihm, erzählte Dillon, die Nachricht mitteilte, daß Klementine, sobald sie erfahren habe, er sei noch am Leben und in Marseille, den Entschluß gefaßt hätte, ihn zu sehen, war er tief erschüttert. Er schwieg lange. »So hat sie mich denn nicht vergessen!« rief er endlich